Frage an Christian Flisek von Irene L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
"UNSERE VERFASSUNG IST UNSERE LEBENSVERSICHERUNG GEGEN DIE TYRANNEI.“ – (Konstantin von Notz-Zitat). Wir haben mit den Gesetzesänderungen pro geheimer staatlicher Überwachung in der letzten Legislaturperiode den Artikel 10 des Grundgesetzes praktisch verloren (BVerfG.: Third-Party-Rule > parl. Kontrolle, Datenschutzbeauftragte ausgeschlossen aus BND-Prüfung, Archiv-Ausnahme der Geheimdienste, 100% Geheimdienst-Abgriff erlaubt, statt max.20% an dt.Datenverkehrs-Knoten, Regierungs-Sonderbeauftragter vor PKGR, Trennungsgebot Polizei/Geheimdienste aufgegeben bei Anti-Terrordateien, bayr.Inlandsgeheimdienst darf an Vorratsdaten, … Link: https://netzpolitik.org/2017/behoerde-nimmersatt-geheimdienste-ausbauen-ohne-dass-es-jemand-merkt/ ).
Sichtbarster Verlust von Freiheit und Recht unseres Grundgesetzes allerdings ist der verweigerte Zeugenschutz für Edward Snowden im Untersuchungsausschuss: *WARUM* haben Sie nicht das BGH-Urteil aus dem November 2016 genutzt, um den benötigten Schutz für den Fehler-Meldenden herzustellen? Die Bundesregierung hätte mit dem BGH-Urteil ein einwandfreies Argument der US-Regierung gegenüber gehabt, warum sie nun den sicheren Aufenthalt gewährt, und nicht ausliefert.
Sehr geehrte Frau L.,
es oblag nicht dem NSA-Untersuchungsausschuss zu entscheiden, ob Herr Snowden in Deutschland „freies Geleit“ bekommt. Und anders als zum Teil berichtet, hat der BGH im November 2016 nicht darüber entschieden, ob die Bundesregierung eine Einreise von Edward Snowden nach Deutschland ermöglichen muss. Die Ermittlungsrichterin des BGH sah die Ausschussmehrheit nur in der Pflicht, die Bundesregierung um Amtshilfe zu bitten, eine Zeugenvernehmung zu ermöglichen.
Darum hatte der Untersuchungsausschuss die Bundesregierung zwar bereits ersucht, aber er hat dies im Anschluss an die Entscheidung der BGH-Richterin ein weiteres Mal getan – wie zuvor mit negativem Ausgang. Damit war auch dem Beschluss der Einzelrichterin genüge getan. Später wurde dieser Beschluss jedoch durch die Entscheidung eines Senats des BGH kassiert, weil von der Richterin offenbar wesentliche Aspekte der einschlägigen Gesetze und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht berücksichtigt worden waren.
Gestatten Sie mir darüber hinaus folgende Anmerkung: Edward Snowden war ein wichtiger Zeuge für uns SPD-Mitglieder im NSA-Untersuchungsausschuss und wir haben wiederholt versucht, mit ihm persönlich zu sprechen. Wir haben daher beschlossen, ihn als Zeugen zu vernehmen, sei es in Moskau, per Videoschaltung oder informell sogar als Sachverständigen. Er hat diese Vorschläge über seinen Rechtsanwalt abgelehnt. Der Versuch, die Zeugenaussage vor dem Untersuchungsausschuss als Hebel zur Erlangung politischen Asyls in Deutschland zu benutzen hat letztlich eine Vernehmung durch den NSA-Untersuchungsausschuss verhindert.
Die Bundesregierung musste bei ihrer Entscheidung abwägen, ob sie dem Interesse des Untersuchungsausschusses an einer Vernehmung von Edward Snowden nachkommt, und damit einen fundamentalen Konflikt mit den verbündeten USA riskiert, auch mit Blick auf das deutsche Interesse an einer engen sicherheitspolitischen Kooperation mit den USA, nicht zuletzt hinsichtlich der Terrorismusbekämpfung. Sie ist dabei zu der Auffassung gekommen, dass dieser Preis zu hoch wäre. Diese Überlegungen sind auch für die SPD Bundestagsfraktion nachvollziehbar.
Edward Snowden war für uns ein sehr wichtiger, aber kein unersetzbare Zeuge. Seit 2013 wurden in den USA viele Dokumente durch die Geheimdienste zur Veröffentlichung freigegeben. Daraus ließen sich ebenso wie aus den Akten des BND und BfV Rückschlüsse über deren Vorgehensweise schließen. Wir hatten darüber hinaus die Möglichkeit, Zeugen deutscher Dienste sowie Sachverständige aus den USA und Großbritannien zu befragen, und uns mit zuständigen Kollegen aus dem US-Kongress auszutauschen. Ich empfehle Ihnen die entsprechenden Abschnitte im Bewertungsteil des Abschlussberichts (BT-Drucksache 18/12850) nachdrücklich zur Lektüre.
Wie Ihnen vielleicht bekannt ist haben wir als Konsequenz aus dem NSA-Untersuchungsausschuss 2017 ein neues BND-Gesetz in Kraft gesetzt und die Kontrolle über die Nachrichtendienste erheblich gestärkt. Ich bin zuversichtlich, dass es uns in Zukunft mit diesem neuen Instrumentarium besser gelingen wird, unsere Aufsichtsfunktionen auszuüben.
Herzliche Grüße
Christian Flisek