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Christa Goetsch
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Frage von Andreas K. •

Frage an Christa Goetsch von Andreas K. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrte Frau Goetsch,

als sich die Enquete-Kommission für die Einführung des Zwei-Säulen-Modells aussprach, haben Sie dem Hamburg Journal gesagt, dass die soziale Spaltung nicht beseitigt werde und es gäbe
"eine verschärfte weitere Auslese" nach der sechsten Klasse. Ich würde gerne wissen, inwiefern sich diese verschärfte weitere Auslese aus Ihrer Sicht zeigt.
Der Vorteil dieses Modells - soweit ich es bisher verstanden habe - ist, dass sowohl das Gymnasium als auch die Stadtteilschule zum Abitur führen. Der Unterschied ist zwar, dass der Weg zum Abi bei der Stadtteilschule ein Jahr länger dauert, dafür aber praktisch orientierter arbeitet als das Gymnasium. Hierdurch erhalten Schüler, die mit praktischer Arbeit besser klar kommen als mit wissenschaftlicher, die Möglichkeit, ihr Abitur zu machen (und dies unanghängig ihrer sozialen Herkunft!). Außerdem würde die Einführung dieses Modells - im Gegensatz zur Einheitsschule - die historische Entwicklung des deutschen Bildungsgwesen wie dem Willen der Eltern berücksichtigen.

Mit freundlichen Grüßen
A. Kegel

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Kegel

vielen Dank für ihre Anfrage. Schon im bisherigen vielgliedrigem System werden die SchülerInnen nach der 4. und 6. Klasse sortiert. Wir gehen tatsächlich davon aus, dass in dem geplanten Zwei-Säulen-Modell sich die Auslese nach der 6. Klasse zusätzlich verschärfen wird. Im Gegensatz zur bisherigen Praxis werden die Gymnasien in Zukunft die SchülerInen ab der 7 Klasse nicht mehr an eine andere Schule abschulen dürfen. Gleichzeitig sollen sie keine Ressourcen erhalten, schwächere SchülerInnen in der Mittelstufe besonders zu fördern. Daraus ziehen wir den Schluss, dass die Gymnasien nach der 6. Klasse sehr genau überlegen werden, wen sie weiter in die 7. Klasse lassen wollen und wen nicht, denn dann gilt: Der/die SchülerIn, die im Gymnasium verbleibt muss dort auch erfolgreich bis zu einem ersten Schulabschluss nach der 9. oder 10. Klasse beschult werden. Die Folge: Die Kinder werden zweimal hart sortiert. Das frisst viel Energie bei allen Beteiligten, es demotiviert und schafft die heute in den Schulen bekannte Atmosphäre von Druck und Angst. Deshalb meinen wir: Fördern und Fordern - ja! Sortieren und Durchfallen - nein!

Die Basis des Sortierens nach der 4. oder 6. Klasse ist eine "Theorie der zwei Begabungen". Diese ist nirgendwo wissenschaftlich belegt und widerspricht dem dynamischen Begabungsbegriff von OECD und UN. Wer kann bei einem zehn- oder zwölfjährigen Kind sicher vorhersagen, ob es sich "wissenschaftsorientiert" entwickelt oder eher "praxisbegabt" ist, ob es in Zukunft eher langsam oder schneller lernen wird? Und wie passt eine Momentaufnahme durch einen Kompetenztest in der 4. Klasse zu den unterschiedlichen Phasen, die fast alle Kinder im Laufe ihrer Schulbiographie durchmachen: Phasen unterschiedlicher Motivation und Aufnahmebereitschaft oder etwa Phasen der Persönlichkeitsentwicklung? Sie passt nicht! Daher geht es darum, das Sortieren nach Schulformen zu beenden, denn wir halten es für eines der Hauptübel der deutschen Schule. Dies wird selbst bei aller Verfeinerung der Prognoseinstrumente auch im Zwei-Säulen-Modell zu vielen Fehlentscheidungen führen.

Das Zwei-Säulen-Modell wird die soziale Spaltung in der Stadt vertiefen. Das zeigt die soziale Verteilung der Schülerinnen und Schüler, wie sie in der KESS-4-Schulstudie erhoben wurde. Eine gesonderte Auswertung der aktuellen KEES-7-Studie nach Regionen bestätigt dies: Im Stadtteil Finkenwerder gibt es beispielweise bereits heute keine Haupt- oder Realschule mehr; praktisch alle SchülerInnen sind auf ein
Gymnasium und eine Gesamtschule verteilt, die zudem auf demselben Schulgelände stehen. Die soziale Spaltung ist eklatant. Zugespitzt könnte man am Schultor fragen: "Sag´ mir wie viele Bücher deine Eltern im Regal stehen haben und ich sage dir in welche Schule du gehst." Nicht genug: Das Zwei-Säulen-System wird drei Säulen haben. Wie in Sachsen werden die ca. 10 Prozent schwächsten SchülerInnen von der zweiten Säule in die Förderschulen abgeschoben. Damit entwickelt sich eine neue Form der Restschule und eine neue Dreigliedrigkeit. Anstelle der Hauptschulen werden neue Restschulen geschaffen.

Mit dem bereits 2003 veröffentlichten Programm "9 macht klug" hat die GAL dargestellt, dass Inhalt und Struktur zusammen zu diskutieren sind - genauso wie eine leistungsstarke Schule auch eine sozial gerechte Schule sein muss. Das bedeutet die Vermeidung der Auslese nach sozialer Herkunft und längeres gemeinsames Lernen aller Kinder. Alle Talente sind wichtig und werden individuell gefördert. Das Wiederholen von Klassen wird abgeschafft. Schließlich kann es sich die Gesellschaft weder sozial- noch bildungspolitisch oder ökonomisch erlauben, auch nur ein einziges Kind "hängen zu lassen". Eine ausführliche Position zur Frage "9 macht klug/Schule für alle oder Zwei-Säulen-Modell und viele weitere Informationen u.a. zur Enquete-Kommission finden Sie unter:
http://www.gal-fraktion.de/cms/default/dok/169/169712.hamburger_enquetekommission_konsequenzen.htm

Viele Grüße

Christa Goetsch