Frage an Carsten Schatz von Thomas M. bezüglich Wirtschaft
Hallo Herr Schatz,
derzeit wird über ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten diskutiert. Ihre Partei lehnt eine solche Vereinbarung ab. Nun verspüre ich zwar keinen Appetit auf amerikanische mit Chlordioxid behandelte Geflügelteile, aber es scheint mir doch so, dass der Abbau von Handels- und Zollschranken und damit der vereinfachte Zugang zu Absatzmärkten, wirtschaftlich sinnvoll und im Interesse des Wohlstands in der Europäischen Union und besonders im exportorientierten Deutschland ist.
Wie ist Ihre Position zu diesem Abkommen?
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Michaelis
Sehr geehrter Herr Michaelis,
herzlichen Dank für Ihre Frage.
Wie meine Partei spreche ich mich für den Abbruch der Verhandlungen zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP aus und bin auch gegen die Ratifizierung des bereits ausgehandelten Abkommens CETA zwischen der EU und Kanada. Zölle machen nur noch einen Anteil von ca. 5% der sog. Handelshemmnisse zwischen den USA und der EU aus. Sie könnten übrigens auch anders beseitigt werden. Bei beiden Abkommen geht es um die sog. nichttarifären Handelshemmnisse. Das sind Regulierungen, also Gesetze und Verordnungen, die den Zugang zu Märkten regulieren.
Ich halte es, was Verbraucherschutz angeht, eben für richtig, dass Produzenten in der EU nachweisen müssen, dass ihre Produkte ungefährlich für Verbraucherinnen und Verbraucher sind und nicht, wie in den USA Verbraucherinnen und Verbraucher nachweisen müssen, dass ein Produkt gefährlich ist. Aufwendige Untersuchungen und Tests sind in der EU von den Produzenten zu leisten und nicht von Verbraucherinnen und Verbrauchern. Die - also wir - werden ja oft erst aufmerksam, wenn ein Spielzeug beispielsweise Allergien bei Kindern auslöst und dann kann es unter Umständen zu spät sein.
Auch das Arbeitsrecht ist betroffen. Die USA haben beispielsweise nur zwei der acht ILO-Kernarbeitsnormen ratifiziert. Konkret: Das Recht auf Vereinigungsfreiheit im Betrieb und das Recht auf Kollektivverhandlungen sind in den USA nicht garantiert. Beides macht aber den Kern der europäischen Sozialstaatsidee aus. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer organisieren sich in Gewerkschaften und verhandeln gemeinsam Löhne.
Beide Bereiche, Verbraucherschutz und Arbeitsrecht, würden bereits leiden, wenn man sich in den Verhandlungen nicht auf einen gemeinsamen Standard einigte, sondern nur gegenseitige Anerkennung von Standards vereinbarte. Das hieße nämlich, dass Produkte, die nach den Vorschriften der USA zugelassen sind, in Europa den Markt erobern könnten, wie auch dass Firmen, die Gewerkschaften nicht zulassen, hier tätig werden könnten. Lohndrückerei und und gefährliche Produkte auf dem Markt wären die Folge.
Zweitens: Der sog. Investorenschutz ISDS ist im CETA verankert, bei TTIP steht er im Mandat. Kern dieser Regelung ist, dass Firmen, denen durch staatliche Regelungen Gewinne entgehen, vor privaten Schiedsgerichten auf Schadensersatz klagen können. Diese Schiedsgerichte sind mit 3 Richterinnen oder Richtern besetzt, die in anderen Verfahren Konzerne vertreten. Nur 460 Kanzleien in der gesamten Welt stellen das Personal für diese Schiedsgerichte, ob als Anwälte von Konzernen oder als Richter. Und 80% der Verfahren gehen zugunsten der Firmen aus. Ein Beispiel ist die Klage eines amerikanischen Öl-Multis gegen eine kanadische Provinz, die Fracking (das Fördern schwerförderbaren Öles durch Verpressung von Chemikalien und Wasser in die Erdkruste) verboten hat. Dadurch sind dem Öl-Multi Gewinne entgangen, die müssen nun die kanadischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler tragen. In meinen Augen ein Unding.
Dritter und letzter Punkt: Die bilateralen Freihandelsabkommen wollen Standards für den Welthandel setzen, die in der WTO für den Westen nicht durchsetzbar sind, weil die Entwicklungsländer und die aufstrebenden Ökonomien der Welt ihre Interessen schützen wollen. Das Kalkül ist, die großen Märkte der Welt schreiten voran und der erst muss sich beugen. Zunehmende Armut und Unterentwicklung in den Ländern Lateinamerikas und Sub-Sahara-Afrikas werden die Folge sein. Studien sprechen von einem Einbruch der Wirtschaftskraft zwischen 5 und 7 %. Dadurch werden die Flüchtlinge der Zukunft produziert. Das kann nicht der Sinn unserer Politik sein, meine ich.
Ich hoffe, ich habe Ihnen einige meiner Beweggründe dargelegt, CETA abzulehnen und die die Verhandlungen zum TTIP abzubrechen.
Beste Grüße
Carsten Schatz