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Frage von Ernst Joachim Dr. G. •

Frage an Carola Reimann von Ernst Joachim Dr. G. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrte Frau Dr. Reimann!

Wie soll ein Gesundheitswesen funktionieren,

- dem 12000 Jungärzte entflohen sind...

- das aber gar keine doppelte Facharztschiene hat...

- dem es chronisch an Geldmitteln fehlt...

- in dem Ärzte fachlich gegängelt werden sollen...

es könnten hier noch viele weiter Frage-Anlässe genannt werden, sofern Sie sich drauf einlassen mögen... ???

Also: wie soll das Gesundheitswesen mit der geplanten Ges.-Reform funktionieren können???
Mit frdl. Gruß E.J. Germann, Tübingen

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Dr. Germann,

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 12. Dezember 2006. Bitte entschuldigen Sie die lange Bearbeitungsdauer Ihres Schreibens. Sie fragen in Ihrem Schreiben, wie unser Gesundheitswesen angesichts der von Ihnen angeführten Probleme funktionieren soll. Besonders interessiert Sie, wie die aktuelle Gesundheitsreform die attestierten Problemlagen aufnimmt.

Bevor ich auf die Gesundheitsreform zu sprechen komme, möchte ich kurz auf die Situation der Ärzteschaft eingehen. Entgegen dem Eindruck, der während der Verhandlungen zur Gesundheitsreform durch einige Ärztefunktionäre erweckt wurde, enthält die Gesundheitsreform für Medizinerinnen und Mediziner in unserem Gesundheitssystem Verbesserungen.

Wir werden mit der Reform das vor allem von den Ärzten so oft kritisierte Honorarsystem in der ambulanten Versorgung von Punktwerten auf Euro- und Centbeträge umstellen. Damit weiß in Zukunft jeder Mediziner, wie viel seine Leistung wert ist. Das entspricht einem seit langem vorgetragenen Wunsch der Ärztinnen und Ärzte im ambulanten Bereich.

Im Vorfeld der Gesundheitsreform haben wir das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz verabschiedet. Es flexibilisiert das Arztrecht so, dass die Situation der Ärzte im niedergelassenen Bereich verbessert wird. Daran erkennen Sie, dass es uns mit der Verbesserung der Situation der Ärzte, entgegen aller Polemik, sehr ernst ist. Mit dem Vertragsarztrechtsänderungsgesetz flexibilisieren und liberalisieren wir die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die vertragsärztliche und die vertragszahnärztliche Leistungserbringung. Unseren Vorstellungen entsprechend soll ein Arzt bzw. eine Ärztin mehr Entscheidungsfreiheit darüber haben, wie er bzw. sie sich niederlässt und Leistungen anbietet. So wird es künftig möglich sein, eine Praxis-Zweigstelle auch über KV-Grenzen hinweg zu eröffnen. Die Anstellungsmöglichkeiten von Ärzten und Zahnärzten werden erleichtert. Es wird Vertragsärzten ermöglicht, gleichzeitig auch als angestellte Ärzte in Krankenhäusern zu arbeiten. Wir heben die Altergrenze von 55 Jahren für den Zugang generell auf und in unterversorgten Gebieten auch die Altersgrenze von 68 Jahren für das Ende der vertragsärztlichen Tätigkeit. Damit ermöglichen wir den älteren Ärztekollegen länger den Zugang in die Niederlassung und wir schaffen Entlastung für die unterversorgten Gebiete. Mit dem Gesetz eröffnen wir darüber hinaus zusätzlich finanzielle Anreize für Ärzte die sich in solchen unterversorgten Gebieten niederlassen.

In der Tat weist unser Gesundheitssystem eine Reihe von Problemen auf. Es ist jedoch nicht richtig, einfach aus den vorhandenen Problemen auf die Gesamtleistung der gesetzlichen Krankenversicherung zu schließen. Denn jenseits aller Problemlagen besitzt Deutschland ein gut funktionierendes Gesundheitssystem mit einem hohen Versorgungsstandard. Zudem und das halte ich für besonders wichtig, steht dieses hohe Versorgungsniveau nahezu allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung, so dass es, verglichen mit anderen ähnlich ökonomischen leistungsfähigen Ländern, praktisch keine Leistungsausschlüsse aus Finanz- oder gar Altersgründen gibt. Dies belegen diverse internationale Studien und auch Umfragen unter den Versicherten untermauern diese Sichtweise.

Ich will damit keineswegs die vorhandenen Probleme und nicht ausgeschöpften Potenziale kleinreden. Wir müssen uns bei aller Kritik aber einmal die Dimensionen des Systems vor Augen führen. Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist das Herzstück unseres Sozialsystems. Sie sorgt dafür, dass eine medizinische Versorgung auf hohem Qualitätsniveau für alle Versicherten ohne Einschränkungen zur Verfügung steht. Um diesen guten Zugang zu medizinischen Leistungen werden wir von vielen anderen Ländern beneidet. Wir haben in Deutschland 125.317 niedergelassene Ärzte, 2.166 Krankenhäuser und 21.000 Apotheken. Bei der Arztdichte nehmen wir eine Spitzenstellung ein. Medizinische Hilfe steht uns auch außerhalb der gewöhnlichen Öffnungszeiten - abends, nachts, am Wochenende, während der Ferienzeit - zur Verfügung. In den Krankenhäusern wird man gut und ohne längere Wartezeiten behandelt. Diese gute Versorgung gehört zu unserem sozialen Selbstverständnis und trägt zur Lebensqualität in Deutschland entscheidend bei. Rund vier Fünftel aller deutschen Patienten bewerten die Qualität ihrer individuellen Gesundheitsversorgung als gut bis exzellent.

Die von Ihnen angesprochene Unterfinanzierung des Gesundheitssystem resultiert aus vielen Faktoren. Während oft und gern die Mär von einer Kostenexplosion im Gesundheitswesen verbreitet wird, verrät ein genauer Blick ins System, dass es andere Ursachen gibt. Der Anteil der gesetzlichen Krankenversicherung am Bruttoinlandsprodukt ist beispielsweise zwischen 1997 und 2005 nahezu konstant geblieben.

Große Probleme bereitet allerdings die Erosion der Einnahmebasis der GKV. Das System der gesetzlichen Krankenversicherung beruht hauptsächlich noch auf Beiträgen aus nichtselbständiger Arbeit. Dieses System wird durch eine Reihe von Faktoren in Frage gestellt. So erleben wir eine Veränderung der Erwerbsbiographien, in denen der Anteil von Einkommen aus klassischer, unselbständiger Arbeit immer weniger eine Rolle spielt und demgegenüber andere Einkommensarten an Bedeutung gewinnen. Auch der Rückgang von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen, der sich in der letzten Zeit glücklicherweise deutlich abgeschwächt hat, führt zu Einnahmeverlusten in der GKV. Zu weiteren Faktoren zählen die sukzessive Ausweitung des Versichertenkreises in der GKV, die politisch gewollte Hereinnahme versicherungsfremder Leistungen in das System der GKV und nicht zuletzt die historisch bedingte Zweiteilung des gesamten Krankenversicherungssystems in die GKV und in die private Krankenversicherung. Diese Zweiteilung führt dazu, dass dem System der solidarisch finanzierten GKV systematisch die – versicherungsmathematisch ausgedrückt – „guten“ Risiken, also die eher jungen, gesunden und gutverdienenden Versicherten, entzogen werden. Diese Zweiteilung ist zwar historisch gewachsen und auch so erklärbar, zu rechtfertigen ist diese Konstruktion vor dem Hintergrund eines modernen Sozialstaates allerdings nicht mehr.

Um dieses System nachhaltig zu reformieren, vertreten wir Sozialdemokraten das Konzept der Bürgerversicherung. In diesem System sollen alle Bürgerinnen und Bürger versichert sein und entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zur Finanzierung des Gesundheitssystems beitragen. Aufgrund der sich aus den letzten Bundestagswahlen ergebenden Mehrheitsverhältnissen, ist eine Umsetzung des Bürgerversicherungsprojekt nicht möglich. Stattdessen vertritt unser derzeitiger Koaltionspartner CDU/CSU ein der Bürgerversicherung entgegengesetztes Kopfpauschalenkonzept. Die unter diesen Bedingungen stattfindenden Verhandlungen zur Gesundheitsreform konnten deshalb immer nur ein Kompromissergebnis sein. Es liegt in der Natur des Sache, dass keiner der Koalitionspartner seine Vorstellungen eins zu eins umsetzen konnte.

Wir Sozialdemokraten wollten in vielen Bereichen noch wesentlich weiter gehen, beispielsweise in Fragen des Ausbaus einer steuerfinanzierten Säule in der GKV, was von Unionsseite leider nicht mitgetragen wurde. Auch ich hätte mir gewünscht, die privat Versicherten durch einheitliche Wettbewerbsbedingungen zwischen GKV und PKV vollständig in den Solidarausgleich einzubeziehen, denke aber, dass wir angesichts der politischen Rahmenbedingungen einen wichtigen Schritt zur Annäherung beider Systeme, u.a. mit der Einführung von GKV-Elementen getan haben. Abschließend möchte ich einige Maßnahmen der Gesundheitsreform hier gesondert anführen.

Besonders hervorzuheben ist die Einführung der Versicherungspflicht – dies war im Übrigen eine alte Forderung der Sozialdemokraten. Erstmals in der deutschen Sozialgeschichte werden wir einen dauerhaften und bezahlbaren Versicherungsschutz für alle haben – ich finde das kann man gar nicht hoch genug bewerten.

Wir werden gezielt Leistungen ausbauen, die in einer älter werdenden Gesellschaft benötigt werden, wie beispielsweise die palliativmedizinische Versorgung. Damit haben Schwerstkranke künftig Anspruch auf eine spezialisierte Schmerzbehandlung in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung. Das gleiche gilt für alle Rehabilitations-Leistungen, die in den Pflichtleistungskatalog aufgenommen werden. Insbesondere älteren Menschen soll dies zugute kommen.

Für uns gilt der Grundsatz Reha vor Pflege: Alte Menschen sollen auch nach Krankheit oder Unfall so lange wie möglich ihre Selbstständigkeit erhalten können – eine bessere Rehabilitation soll ihnen das ermöglichen. Wir werden die integrierte Versorgung fortführen und weiter ausbauen. Ziel der integrierten Versorgung ist es, die Kooperation unterschiedlicher Leistungserbringer zu stärken und somit eine bessere Verzahnung zwischen den verschiedenen Leistungsbereichen herzustellen. Auch die Pflege wird in die integrierte Versorgung eingebunden, denn sie spielt für den Behandlungserfolg gerade bei Älteren eine immer größer werdende Rolle.

Die Beitragszahler haben einen Anspruch darauf, dass ihre Beiträge nicht vergeudet werden. Die Reform macht es möglich, dass jeder Euro in der Krankenversicherung optimal genutzt wird. Die Krankenkassen, die kassenärztlichen Vereinigungen, die Apotheker, die Pharmaindustrie – sie alle müssen sich auf mehr Effizienz einstellen. Auch das ist ein alter sozialdemokratischer Standpunkt: Die Beiträge gehören den Kassenmitgliedern. Sie sind den Kassen anvertraut, damit eine möglichst umfangreiche und qualitativ hochwertige Versorgung erreicht werden kann. Zudem straffen wir die Verbandsstrukturen der Kassen. 250 gesetzliche Krankenkassen, die in 7 Spitzenverbänden auf Bundesebene und zahlreichen zusätzlich auf Landesebene organisiert sind – das gibt es nur bei uns. Ein System, das aus einer Zeit stammt, in der es keine Öffnung und keinen Wettbewerb gab. Und leider auch ein System, in dem sich allzu viele eingerichtet haben und jetzt hartnäckig versuchen, ihre Pfründe zu verteidigen. In Zukunft wird es einen Spitzenverband Bund geben, in dem alle Aufgaben, die gemeinsam und einheitlich organisiert werden, bearbeitet werden.

Auch die private Krankenversicherung wird einer großen Veränderung unterzogen. Im Übrigen konnten wir uns an dieser Stelle nicht mit unserer Vorstellung durchsetzen, die der PKV einen wesentlich höheren Solidarbeitrag abgefordert hätte. Dennoch konnten wir in den Verhandlungen erreichen, dass die privaten Krankenversicherungen, erstmals in der Geschichte der PKV, sich auch endlich um mehr Wettbewerb und mehr Fairness kümmern müssen. Mit der Einführung des Basistarifs halten auch Elemente aus der gesetzlichen Krankenversicherung Einzug, die das System der privaten Krankenversicherung verändern werden. Dazu gehört, dass die PKV den Basistarif nur ohne Risikozuschläge oder Leistungsausschlüsse anbieten darf und sie muss jeden, der das Recht auf Versicherung im Basistarif hat, auch aufnehmen.

Auch der oft und viel kritisierte Gesundheitsfond ist ein Schritt in die richtige Richtung. Mit der Einrichtung des Gesundheitsfonds zum 1. Januar 2009 werden die Finanzierungsstrukturen neu organisiert. Von besonderer Bedeutung ist hierbei, dass es nun mit dieser Reform einen neuen, zielgenauen morbiditätsorientierten also krankheitsbezogenen Risikostrukturausgleich zwischen den Kassen geben wird. Somit werden endlich auch die unterschiedlich verteilten Krankheitsrisiken der Kassen in den Ausgleich mit einbezogen. Damit beenden wir den schädlichen Wettbewerb allein um junge, gesunde und gut verdienende Versicherte und schaffen einen Wettbewerb zwischen den Krankenkassen um den besten Service, um die beste Qualität der Versorgung und um die beste Betreuung ihrer Versicherten.

Die teilweise Finanzierung von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben über Steuermittel wird mit der Gesundheitsreform fortgeführt und ausgebaut. Damit wird die gesetzliche Krankenversicherung auf eine langfristig stabilere, gerechtere und beschäftigungsfördernde Basis gestellt. In den Haushaltsjahren 2007 und 2008 wird ein Zuschuss aus Haushaltsmitteln in Höhe von 2,5 Milliarden Euro über das Bundesversicherungsamt (BVA) an die Krankenkassen gezahlt. Im Jahr 2009 wird ein Bundeszuschuss in Höhe von 4 Milliarden Euro aus Haushaltsmitteln in den Gesundheitsfonds fließen. Der Bundeszuschuss wird in den Folgejahren um jeweils 1,5 Milliarden Euro bis auf 14 Milliarden Euro weiter ansteigen. Die stärkere Steuerfinanzierung weist gegenüber dem jetzigen Finanzierungssystem Vorteile auf. Sie beseitigt die einseitige Bindung der GKV-Einnahmen an Beiträge auf Lohn- und Lohnersatzleistungen sowie Renten und trägt der sich verändernden Einkommensstruktur Rechnung, bei der Einkommen aus unselbständiger Beschäftigung einen immer geringeren Teil ausmachen. Zudem ist stärkere Finanzierung über Steuern gerechter, weil so der Personenkreis zur Finanzierung erweitert wird. Die mit der Reform vorgesehene Steuerfinanzierung kann aber nur ein Einstieg sein. Sie ist bei weitem nicht so umfassend, wie wir uns das vorgestellt hatten.

Mit der Gesundheitsreform gehen wir einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Es wird natürlich nicht der letzte Schritt gewesen sein, denn wir werden unser Gesundheitssystem immer wieder an neue Entwicklungen anpassen müssen. Unsere Aufgabe wird es dabei sein, dafür zu sorgen, dass unser Gesundheitssystem weiter solidarisch finanziert bleibt und Schritt für Schritt auf eine breitere finanzielle Basis gestellt wird.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Carola Reimann