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Carola Reimann
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Frage von Klaus R. •

Frage an Carola Reimann von Klaus R. bezüglich Familie

Sehr geehrte Frau Dr. Reimann,

ist die SPD, sind Sie gegen das Betreuungsgeld, weil Eltern ihre Kinder damit vorerst staatlicher Indoktrinierung entziehen könnten, die Kinder nach eigenen Wertvorstellungen erziehen und für die Zukunft prägen könnten? Eltern müssen sich ja nicht für ein Betreuungsgeld entscheiden. Doch es würde einer Uniformierung der Bürger (anstatt Individualisierung) entgegenwirken. Dann gehe ich wohl nicht falsch in der Annahme, daß Sie sich auch gegen Homeschooling (wie u.a. in Österreich praktiziert) aussprechen würden, falls dies auf der politischen Agenda erschiene?

MfG
Klaus Riesmeier

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Riesmeier,

vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetenwatch.de.

Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD und ich sowie rund 70% der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland lehnen das Betreuungsgeld ab, da es den Ansprüchen an eine sozial gerechte und moderne Gesellschaft nicht entspricht. Chancengleichheit, Bildungschancen von Anfang an, Integration und die Gleichstellung von Frauen und Männern – alle diese Grundsätze werden durch das Betreuungsgeld verletzt. Obendrein konterkariert es Elterngeld und den dringend benötigten Kitaausbau. Das können und wollen wir in der SPD nicht akzeptieren.

Beim Betreuungsgeld soll es um die „Anerkennung und Unterstützung der Erziehungsleistung der Eltern“ gehen. Gleichzeitig wird die Erziehungsleistung von Eltern, die soziale Unterstützung erhalten, anscheinend anders bewertet, da diese sich das Betreuungsgeld anrechnen lassen müssen. Die Bundesregierung unterstützt so aktiv die Spaltung der Gesellschaft.

Bisherige Anstrengungen, die öffentlich geförderte Kindertagespflege weiter zu qualifizieren, werden durch das Betreuungsgeld ebenfalls torpediert. Es hat außerdem zur Folge, dass vielen Kindern die Möglichkeit zur Teilhabe an frühkindlicher Bildung genommen wird.

Des Weiteren erschwert das Betreuungsgeld die Integration in Deutschland. Erfahrungen aus Ländern mit Betreuungsgeld wie Finnland, Norwegen und Schweden zeigen, dass vor allem Mütter mit Migrationshintergrund von der Erwerbstätigkeit abgehalten werden, deren Kinder dann zwangsläufig keine öffentliche Kita besuchen. Damit wird Kindern mit Migrationshintergrund der Erwerb der Landessprache, ein wesentlicher Meilenstein bei der Integration, erschwert.

Die Einführung von Elterngeld und Kitaausbau hatten bereits erste Erfolge gezeigt. Mütter kehren nach der Geburt schneller an ihre Arbeitsstelle zurück, immer mehr Väter nehmen die Partnermonate in Anspruch und beteiligen sich häufig dauerhafter an der Familienarbeit. Das Betreuungsgeld führt diese Erfolge ad absurdum und bewirkt eine Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse.

Außerdem bestehen weiterhin verfassungsrechtliche Bedenken, auf die von verschiedenen Juristinnen und Juristen hingewiesen wurde.

1. Das Betreuungsgeld schafft einen Anreiz für Eltern, ihr Kind nicht in eine öffentlich geförderte Kinderbetreuung zu geben. Damit verletzt das Betreuungsgeld das Gebot, dass – nach Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz – die Ausgestaltung der Kinderbetreuung Angelegenheit der Eltern ist und der Staat in diese Entscheidung nicht lenkend eingreifen darf.

2. Das Betreuungsgeld steht im Widerspruch zum Allgemeinen Gleichheitssatz (Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz). Familien, die ein staatliches Angebot wie Kitas nicht in Anspruch nehmen, dürfen nicht besser gestellt werden als Familien, die Kitas für ihre Kinder nutzen. Eine solche Regelung stellt unser gesamtes System der öffentlichen Infrastrukturfinanzierung auf den Kopf.

3. Und schließlich ist das Betreuungsgeld unvereinbar mit dem staatlichen Gleichstellungsgebot (Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz). Danach ist der Staat verpflichtet, mit positiven Maßnahmen die Gleichstellung von Frauen zu fördern – mit dem Betreuungsgeld tut die Bundesregierung das Gegenteil: Sie verfestigt traditionelle Rollenbilder.

Auch das von Ihnen angesprochene Homeschooling lehne ich ab. Kindern wird mit dem Homeschooling die Möglichkeit verwehrt, von Anfang an zu lernen, sich im sozialen Umfeld zurecht zu finden, soziale Kontakte zu knüpfen und Konfliktsituationen friedlich miteinander zu lösen. Auch lernen Kinder in der Schule im direkten Kontakt andere Kulturen kennen und können sich so leichter in unsere Gesellschaft einfinden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Carola Reimann MdB