Wie stehen Sie zu der Forderung, dass auf Wahllisten abwechselnd Frauen und Männer gesetzt sein sollen?
Ich befürchte, dass eine solche Regelung eher Diskriminierungen fördert. Denn um eine Gerechtigkeit zu gewährleisten, müssten die Parlamente mit Personen hinsichtlich geschlechtlicher Identität, sexueller Orientierung, Alter, kultureller und ethnischer Herkunft, Relegionszugehörigkeit etc. gemäß der Demografe ihrer Bevölkerung besetzt werden. Da mir dies als unlösbare Aufgabe erscheint, sollte ein Parlament meiner Auffassung nach ausschließlich aufgrund der Wählerstimmen für eine Liste bzw. Einzelbewerber*innen besetzt werden, für die sich die Wähler*innen auf Basis der politischen Positionen und Kompetenzen der Bewerber*innen entschieden haben. Sind Sie nicht auch der Meinung, dass die Abgeordneten nicht unabhängig von ihrem eigenen Geschlecht alle ihre Wähler*innen bzw. Bürger*innen unabhängig von deren Geschlecht vertreten sollten und nicht das Geschlecht von Bewerber*innen wichtiger ist als ihre Kompetenz?
Sehr geehrter Herr W.,
vielen Dank für Ihre Frage.
Frauen sind beim passiven Wahlrecht immer noch strukturell benachteiligt. Diese Diskriminierung zu beseitigen ist als staatlicher Handlungsauftrag in unserem Grundgesetz verankert. Zu unserer Demokratie gehört auch, dass alle Geschlechter gleichermaßen die Chance haben, nominiert und gewählt zu werden – das ist aktuelle nicht der Fall. Parteiinterne Quoten und freiwillige Selbstverpflichtungen weniger Parteien reichen nicht aus.
Ich setze mich deshalb für ein Paritätsgesetz auf Bundes-, Landes und kommunaler Ebene ein. Paritätisch besetzte Listen sind dabei ein wirkungsvolles Instrument. Sie beseitigen nicht nur verfassungswidrige Zustände, sondern stellen sicher, dass Frauen nicht nur wählen, sondern auch gewählt werden.
Die verfassungswidrige Unterrepräsentation von Frauen könnte auch mit einem Modell beseitigt werden, bei dem ein Tandem aus einer Frau und einem Mann gemeinsam als Team mit einer Stimme gewählt wird. Dazu habe ich einen Vorschlag gemacht, nach dem bei der Bundestagswahl künftig drei Stimmen abgegeben werden sollen: Die Zweitstimme für die Landeslisten der Parteien sowie je eine Wahlkreisstimme für eine Frau und einen Mann. Gleichzeitig sollte die Anzahl der Wahlkreise massiv schrumpfen, von aktuell 299 auf 100. Somit würden künftig 100 direkt gewählte Frauen und 100 direkt gewählte Männer die Wahlkreise im Deutschen Bundestag vertreten. Das Wahlergebnis würde auch künftig nach dem Stimmenanteil der Listenmandate abgebildet – künftig eben mit der Drittstimme. Mit dieser einfachen, umfassenden und paritätischen Wahlrechtsreform könnten die existierenden Probleme, geringer Frauenanteil bei Rekordgröße, gelöst werden.
Damit auch die politische Teilhabe über 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts gerecht verteilt ist, brauchen wir verbindliche Vorgaben durch Paritätsgesetze.
Mit freundlichen Grüßen
Cansel Kiziltepe, MdB