Frage an Cansel Kiziltepe von Tatjana S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Kiziltepe,
mich beschäftigt die Flüchtlingskrise sehr und ich würde gerne Ihren Standpunkt als Abgeordnete zu meinen Fragen hören.
Schon jetzt sind in mehreren Hangars des ehemaligen Flughafens Tempelhof über 2000 Flüchtlinge unzureichend untergebracht (Sanitäre Einrichtungen, ärztliche Versorgung, soziale Betreuung). Bis Mitte Dezember sollen weitere Hangars, mit dann insgesamt 5000 Menschen, belegt werden. Wie soll eine menschenwürdige Unterbringung gewährleistet werden, wenn augenscheinlich jetzt schon die Mißstände groß sind?
Bürgermeister Müller und Senator Geisel haben eine Beschlußvorlage zur Änderung des "Tempelhofer Feld- Gesetzes" eingebracht. Sie sieht an vier Stellen eine (temporäre) Bebauung der Ränder des Feldes mit Traglufthallen zur Flüchtlingsunterbringung vor.Wie stehen Sie als SPD-Abgeordnete zu diesen Plänen, mit denen ein überaus erfolgreicher Volksentscheid gekippt wird? Wie stehen Sie dazu dass im Eilverfahren in Berlin das größte Flüchtlingslager auf dem Tempelhofer Feld entsteht? Welche andere Standorte wurden noch geprüft?
Ihrer Antwort sehe ich mit großem Interesse entgegen.
Mit freundlichen Grüßen,
Tatjana Saller
Sehr geehrte Frau Saller,
vielen Dank für Ihre Anfrage zur geplanten Änderung des Gesetzes zum Tempelhofer Feld sowie zur Unterbringung von Geflüchteten im ehemaligen Flughafen Tempelhof. Die Gesetzesänderung wurde durch das Abgeordnetenhaus von Berlin beschlossen. Da ich Mitglied des Bundestages bin, habe ich über die Änderung nicht abgestimmt. Dennoch möchte ich Ihnen gern meine Position hierzu erläutern.
Die Änderung ist notwendig, um die Kapazitäten der Flüchtlingsunterbringung auszuweiten. Im letzten Jahr sind über 80.000 Flüchtlinge nach Berlin gekommen, die untergebracht werden müssen. Da viel zu wenige Unterkunftsplätze und Wohnungen zur Verfügung stehen, sind derzeit auch über 50 Sporthallen in Berlin als Notunterkünfte eingerichtet worden. Auch der ehemalige Flughafen musste dafür genutzt werden.
Leider reichen die Kapazitäten in Berlin immer noch nicht aus. Insbesondere die Sporthallen sind alles andere als geeignet für die Unterbringung und verlangen Schulen und Sportvereinen ein großes Maß an Geduld ab, da in dieser Zeit keine Sportaktivitäten stattfinden können.
Aus diesem Grund hat sich der Senat entschieden, die Unterkunft im ehemaligen Flughafen auszubauen. Für den angestrebten Ausbau ist aber eine Änderung des Gesetzes zum Tempelhofer Feld notwendig, weil temporäre Bauten sonst nicht entstehen könnten.
Mir ist es ganz wichtig, zu betonen, dass diese Änderung befristet bis 2019 beschlossen wurde. Eine dauerhafte Bebauung ist - wie es auch Staatssekretär Gaebler auf der Diskussionsveranstaltung mit interessierten BürgerInnen am 21. Januar 2016 dargelegt hat - nur durch eine breite gesellschaftliche Debatte möglich. Zu diesem Zeitpunkt geht es um die Bewältigung der anhaltend hohen Zahl von Flüchtlingen und die Unterbringung.
Mir ist auch bewusst, dass es Kritik an der Größe der Unterkunft mit all den verbundenen Problemen gibt. Ich selbst habe mir Ende Januar die Unterbringung in den Hangars zeigen lassen. Ich fand es bedrückend, dass pro Kopf den Menschen sehr wenig Platz zur Verfügung steht und viele Verwaltungsschritte immer noch nicht so ablaufen, wie es geboten wäre.
Leider sind aber die kurzfristigen Alternativen rar. Die Unterbringung in Wohnungen für eine solch große Zahl ist bei der aktuellen Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht für alle zu schaffen und schon gar nicht in kurzer Zeit. Die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen ist nach wie vor hoch. Die Schulen und Sportvereine, die derzeit auf ihre Hallen verzichten müssen, haben ein enormes Maß an Geduld aufgebracht, das - fürchte ich - nicht endlos ist. All diese Gründe sprechen für mich dafür, dass wir den ehemaligen Flughafen Tempelhof temporär für die Unterbringung von Flüchtlingen brauchen und ausbauen müssen.
Davon unabhängig ist die dezentrale Unterbringung in Wohnungen die beste Form der Unterbringung und ein entscheidende Voraussetzung für Integration. Eine Entwicklung von Massenunterkünften zu Banlieus wie in Frankreich darf es nicht geben. Vor allem der Wohnungsbau in Berlin muss deshalb am Ziel der dezentralen Unterbringung ausgerichtet werden. Dennoch lässt sich das nicht kurzfristig verwirklichen.
Ich kann Ihnen aber auch versichern, dass ich an allen Stellen, auf die ich Einfluss habe, mich um die Verbesserung der Situation geflüchteter Menschen bemühe. Die Politik muss jetzt Konzepte und Maßnahmen auf den Weg bringen, um eine dezentrale Unterbringung zu organisieren, Arbeit zu vermitteln und weitere Voraussetzungen für die Integration der Menschen in die Gesellschaft zu schaffen. Einen Anfang haben die sozialdemokratischen Ministerinnen im Bundeskabinett schon mit einem Vorschlag gemacht, der auch in der Öffentlichkeit diskutiert wurde. Leider wird es auch hier nicht von heute auf morgen vorangehen.
Ich würde mich freuen, wenn Sie einige der Argumente in Betracht ziehen könnten.
Mit freundlichen Grüßen, Cansel Kiziltepe