Frage an Cansel Kiziltepe von Jonas von W. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Kiziltepe,
mich würde Ihre Meinung zur Vorratsdatenspeicherung interessieren. Ihre Partei plant, gemeinsam mit der CDU/CSU ein derartiges Gesetz auf den Weg zu bringen.
Als Argument für ein solches Gesetz wird meist die Terrorismusbekämpfung vorgeschoben. Ich frage mich inwieweit dieses Argument bei Null Opfern des islamistischen Terrors in Deutschland angemessen ist. Darüber hinaus zweifeln zahlreiche Experten an der Sinnhaftigkeit eines solchen Instruments zur Terrorbekämpfung. Mich interessiert, inwieweit Sie sich innerhalb der Koalition für die Bürgerrechte engagieren.
Des Weiteren hat die Vergangenheit gezeigt, dass Geheimdienste (unsere und andere) in der Lage sind, annähernd alle Daten zu extrahieren und zu verwenden. Dem Bürger entsteht verstärkt das Gefühl, dass der Bundestag fachlich nicht in der Lage ist, diese Bedrohung einzuschätzen und Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Haben Sie persönlich das Gefühl, dass die Parlamentarier in der Lage sind, die Netzrisiken kompetent zu bewerten, oder sehen Sie da Nachholbedarf? Welche Schritte plant die Regierung in Richtung Netzsicherheit?
Herzlichen Dank und mit freundlichen Grüßen
Jonas von Wangenheim
Sehr geehrter Herr von Wangenheim,
ich sehe den Vorstoß zur Vorratsdatenspeicherung sehr kritisch. Das hier zugrunde liegende Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis wird in Art. 10 des Grundgesetzes sogar explizit aufgeführt. Nur schwerwiegende Gründe können eine Aufhebung von selbigem legitimieren. Der Gesetzentwurf liegt nun vor und wird in den Ausschüssen beraten werden. In diesem Prozess wird das Gesetz sicherlich noch Veränderungen erfahren. In seiner aktuellen Form fällt es mir sehr schwer, diesem zuzustimmen.
Positiv ist sicherlich zu erwähnen, dass der Gesetzentwurf in vielen Punkten den weitergehenden Wünschen der Union nicht nachkommt. Die wesentlichen Punkte sehen wie folgt aus:
- Die Speicherung ist klar begrenzt. Rufnummer, Beginn und Ende des Telefonats, im Fall von Internet-Telefondiensten auch die IP-Adressen. Diese Daten sollen zehn Wochen gespeichert werden.
- Deutlich kürzer, nämlich vier Wochen, werden die Funkzellendaten gespeichert, da damit Bewegungsprofile erstellt werden könnten. Für eine Abrufung dieser Daten muss im richterlichen Anordnungsbeschluss einzelfallbezogen begründet werden, warum der Abruf von Funkzellendaten erforderlich und angemessen ist.
- Kommunikationsinhalte und aufgerufene Internetseiten dürfen nicht gespeichert werden.
- Der Datenabruf ist nur zur Verfolgung schwerster Straftaten zulässig
- Für Daten von Berufsgeheimnisträgern wie Journalisten, Anwälten oder Ärzten gilt ein Verwertungsverbot.
Nichtsdestotrotz halte ich eine anlasslose Speicherung von Daten der Bürger für äußerst problematisch. Sowohl das Bundesverfassungsgericht (2010) als auch der Europäische Gerichtshof (2014) haben vorherige Versuche der Vorratsdatenspeicherung als verfassungswidrig zurückgewiesen. Die Ansprüche die daraus an eine Vorratsdatenspeicherung gesetzt werden, sind folglich sehr hoch. Ob der aktuelle Gesetzentwurf dem genügt, halte ich für zweifelhaft.
Abgesehen davon bin ich der festen Überzeugung, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie der Schutz der Informations- und Kommunikationsfreiheit in der digitalen Welt höchste Priorität hat und nicht einfach ausgehebelt werden darf. Vor diesem Hintergrund halte ich die präventive Speicherung von Daten, alleine zum Zwecke einer möglichen späteren Verwendung zur Strafverfolgung oder Prävention für einen schwerwiegenden Eingriff, der auch durch den Nutzen, der daraus entspringt, nur sehr schwer gerechtfertigt werden kann.
Zu Ihren weiteren Fragen bezüglich der Netzrisiken und Netzsicherheit:
In der letzten Wahlperiode gab es die Enquete Internet und digitale Agenda aus der auch der neue Ausschuss für Digitale Agenda hervorgegangen ist. In dieser Enquete wurden verschiedene Projektgruppen (bestehend aus hälftig Abgeordneten und hälftig aus externen Experten) damit beauftragt die Problemfelder im digitalen Zeitalter zu benennen, zu analysieren und Handlungsempfehlungen vorrangig an die Politik zu geben. Unter anderem gab es eine Projektgruppe Zugang, Struktur und Sicherheit im Netz (den Bericht findet man in BT-Drs. 17/12541). Ich denke man kann hier gut sehen, dass die Politik kompetent genug ist bzw. sich im Zweifel entsprechenden Sachverstand aus der Wissenschaft oder Wirtschaft holt.
Außerdem findet eine ständige Berichterstattung z. B. der Dienste und des BKA mit dem Innenausschuss statt. Die Parlamentarier können im Ausschuss Bericht von der jeweiligen Behörde oder dem zuständigen Ministerium über entsprechende Vorfälle verlangen. Außerdem besteht das Recht Untersuchungsausschüsse einzusetzen, wie dies ja gerade aktuell beim NSA-Untersuchungsausschuss der Fall ist.
Aktuelle parlamentarische Verfahren im Hinblick auf die Netzsicherheit sind beispielsweise das IT-Sicherheitsgesetz, welches bereits in 1. Lesung im Bundestag war und nun an die Fachausschüsse geleitet wurde. Ein weiteres Beispiel ist das geplante W-Lan-Gesetz welches die Störerhaftung regeln soll.
Ziel des IT-Sicherheitsgesetzes ist es, eine „signifikante Verbesserung der Sicherheit informationstechnischer Systeme in Deutschland“ zu erreichen und den „Schutz der Verfügbarkeit, Integrität und Vertraulichkeit datenverarbeitender Systeme zu verbessern und der gestiegenen Bedrohungslage anzupassen“. Der vorgelegte Gesetzentwurf enthält Regelungen zu folgenden Themenfeldern:
- Verbesserung der IT-Sicherheit bei Unternehmen, vor allem bei kritischen Infrastrukturen;
- Schutz der Bürgerinnen und Bürger in einem sicheren Netz;
- Schutz der IT des Bundes;
- Stärkung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik;
- Erweiterung der Ermittlungszuständigkeiten des Bundeskriminalamtes im Bereich Cybercrime
Mit dem W-Lan-Gesetzentwurf soll der Koalitionsvertrag umgesetzt werden, der vorsieht, die Potentiale von WLAN als Zugang zum Internet im öffentlichen Raum auszuschöpfen und Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber durch eine Klarstellung der Haftungsregelungen analog zu Anbietern von Internetzugängen (Access-Provider) zu schaffen, sowie rechtlich klarzustellen, dass Hostprovider, also Anbieter, die fremde Inhalte für Dritte speichern, sich nicht länger auf das Haftungsprivileg berufen können, wenn ihr Geschäftsmodell im Wesentlichen auf der Verletzung von Urheberrechten beruht.
Auch wenn wir uns eine weiter gehende Regelung für offene WLANs hätten vorstellen können, wird dieser Kompromiss der Bundesregierung im Ergebnis zu deutlich mehr öffentlichen WLAN-An-geboten führen, mehr Rechtssicherheit für alle Anbieter schaffen und das Kommunikations-geheimnis der Nutzerinnen und Nutzer von offenen W-Lans besser schützen.
Das alles zeigt, dass sich der Bundestag intensiv mit den von Ihnen aufgeworfenen Fragen beschäftigt.
Ich bedanke mich für Ihre Frage und verbleibe
Mit freundlichen Grüßen
Cansel Kiziltepe