Frage an Brigitte Zypries von Christian D. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Zypries,
in der letzten Zeit ist bekannt geworden, dass an den Aktienmärkten Abläufe (durch Leerverkäufe) stattfinden, die aus meiner Sicht nach dem BGB nicht zulässig sind.
A leiht sich von B Aktien und verkauft diese sofort an C. Beim Verkauf der Aktien ist A nicht der Eigentümer. Wenn der Kurs gefallen ist kauft A an der Börse die Zahl an Aktien, die ausgeliehen wurden. Diese Aktien werden dann von A an B zurückgegeben.
In § 812 BGB steht, dass jemand, der auf Kosten eines Anderen ohne rechtlichen Grund etwas erlangt, dem Eigentümer dies herausgeben muss. Bei Leerverkäufen haben wir den Fall, da A ohne rechtlichen Grund (A ist nicht Eigentümer der Aktien) einen Verkaufspreis der Aktien von C erlangt. Somit ist A verpflichtet den Verkaufspreis der Aktien an B herauszugeben.
Wenn dies richtig durchgezogen werden würde, könnte A mit dem Verkauf von Aktien, die ihm nicht gehören, keinen Gewinn machen, da er den Verkaufspreis an B geben muss (siehe BGB).
Warum ist dieses Verfahren bisher möglich gewesen, obwohl es gegen § 812 BGB verstösst?
Die ganzen Verkäufe, die an der Börse stattfinden, müssen nachvollziehbar sein (Dokumentation). Somit müsste gegen die Leerverkäufe vorgegangen werden können, da die Handelnden bekannt sind.
Vielen Dank
Christian Decker
Sehr geehrter Herr Decker,
um eine Antwort auf Ihre komplexe Frage geben zu können, ist es zunächst erforderlich, einige Grundlagen des Leerverkaufs zu erläutern. Insbesondere ist es notwendig, zwischen gedeckten und ungedeckten Transaktionen zu unterscheiden. Im ersten Fall liegt regelmäßig eine Wertpapierleihe zugrunde. Bei der Wertpapierleihe handelt es sich um ein Sachdarlehen im Sinne des § 607 BGB. Im Rahmen der Überlassung erwirbt der Darlehensnehmer nicht nur den Besitz an den Wertpapieren, sondern auch das Eigentum. Er ist jedoch verpflichtet, bei Fälligkeit eine entsprechende Anzahl an Wertpapieren, das Gesetz spricht hier von "Sachen gleicher Art, Güte und Menge", zurückzuerstatten. Der Verkauf dieser durch Wertpapierleihe erworbenen Wertpapiere wird als "Leerverkauf" bezeichnet, weil sich der Darlehensnehmer rechtzeitig vor Fälligkeit wieder mit entsprechenden Wertpapieren für die Rückerstattung eindecken muss. Der Begriff des Leerverkaufs ist hier insoweit irreführend, als dass zunächst ein Verkauf von im Eigentum befindlichen Aktien stattfindet. Bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise, die den Eindeckungsbedarf für die Rückerstattung berücksichtigt, wird er allerdings verständlich.
Anders liegen die Dinge bei einer ungedeckten Transaktion (sog. "Naked-Short-Geschäft"). In diesem Fall erfolgt der Wertpapierverkauf, ohne dass der Verkäufer sich Eigentum verschafft oder einen Anspruch auf eine Eigentumsübertragung hat. Ermöglicht werden solche Transaktionen, weil die geschäftsübliche Lieferung für Wertpapiere erst zwei bis drei Tage nach dem Verkauf erfolgen muss. In diesem Zeitraum kann sich der Verkäufer mit Wertpapieren eindecken, um der Lieferverpflichtung nachzukommen.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat mit Allgemeinverfügungen vom 19. August 2008 und 21. September 2008 ungedeckte Transaktionen mit Wertpapieren verschiedener Unternehmen des Finanzsektors untersagt. Diese Untersagung dient der Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Handels und stützt sich auf § 4 Abs. 1 des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG). Weitere Einzelheiten hierzu können Sie auf der Homepage der BaFin ( http://www.bafin.de ) nachlesen. Darüber hinaus unterliegen Leerverkäufe keinen weiteren Verboten. Insbesondere widerspricht der von Ihnen genannte § 812 BGB diesen Transaktionen aus vielerlei Gründen nicht. Diese Vorschrift vermittelt demjenigen, auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt wurde, einen Herausgabeanspruch. Im Fall der Wertpapierleihe hat der Darlehensnehmer den Kaufpreis des Leerverkaufes aber nicht "auf Kosten" des Darlehensgebers erlangt, weil der Vermögensvorteil des Darlehensnehmers zu keinem Vermögensnachteil des Darlehensgebers geführt hat. Außerdem kommt es hier ebensowenig wie bei ungedeckten Transaktionen zu einer rechtsgrundlosen Vermögensverschiebung, weil die Kaufpreiszahlung eben nicht ohne rechtlichen Grund, sondern aufgrund eines gültigen Kaufvertrages erfolgt. Im Übrigen enthält § 812 BGB kein Verbot, sondern dient dazu, rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen abzuschöpfen.
Unabhängig davon gilt ganz allgemein, dass der Verkäufer einer Sache nicht unbedingt deren Eigentümer sein muss. Solche Geschäfte sind nicht in jedem Fall gesetzwidrig.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Zypries