Frage an Brigitte Pothmer von Henning L. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Pothmer.
Ich möchte von Ihnen wissen, wie Sie sich zum ESM-Vertrag (Europäischer-Stabilitäts-Mechanismus) stellen.
Meines Erachtens werden die Interessen des deutschen Steuerzahlers hier restlos ausverkauft.
Hierzu einige Inhalte aus dem ESM-Vertrag:
Nach Artikel 8 des ESM-Vertrages wird das Grundkapital auf 700 Mrd. Euro festgelegt, kann aber nach Art. 10 (Änderung des Grundkapitals) durch Beschluss des Gouverneursrates beliebig und unbegrenzt erhöht werden.
In Artikel 9 (Kapitalabrufe) steht geschrieben "… Die ESM-Mitglieder sagen hiermit bedingungslos und unwiderruflich zu, bei Anforderungen jeglichem … Kapitalabruf binnen 7 (sieben) Tagen nach Erhalt dieser Aufforderung nachzukommen."
In Artikel 27 (Rechtsstellung des ESM, Immunitäten und Vorrechte) steht:
"2. Der ESM … verfügt über volle Rechts- und Geschäftsfähigkeit für … das Anstrengen von Gerichts verfahren."
"3. Der ESM, sein Eigentum, seine Finanzmittel und Vermögenswerte genießen umfassende gerichtliche Immunität…"
"4. Das Eigentum, die Finanzmittel und Vermögenswerte des ESM sind von Zugriff durch Durchsuchung, Beschlagnahme, Einziehung, Enteignung und jede andere Form der Inbesitznahme … durch Regierungshandeln oder auf dem Gerichts-, Verwaltungs- oder Gesetzeswege befreit."
In Artikel 30 (Immunität von Personen) steht:
"1. Die Gouverneursratsmitglieder, Direktoren und Stellvertreter und das Personal genießen Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich ihrer … Handlungen und Unverletzlichkeit ihrer amtlichen Schriftstücke…"
Deswegen nochmals meine Frage: Sind Sie sich der Risiken für den deutschen Steuerzahler bewusst, sollten Sie der Ratifizierung des ESM-Vertrages zustimmen.
Aus meiner Sicht handelt es sich hier um eine vollständige Aushöhlung rechtsstaatlicher und demokratischer Prinzipien und um die Errichtung einer Finanzdiktatur.
Meine Bitte: Verhindern Sie diesen Wahnsinn mit Ihrer Stimme im Bundestag. !!!
MfG
H. Lentge
Sehr geehrter Herr Lentge,
vielen Dank für Ihr Schreiben und Ihre Frage zum Europäischen Stabilitäts-Mechanismus (ESM). Sie schreiben, dass der ESM-Vertrag rechtsstaatliche und demokratische Prinzipien aushöhle und eine Finanzdiktatur errichtet würde. Diese Ansicht teile ich nicht. Die detaillierte Position meiner Fraktion zum ESM möchte ich Ihnen gerne darstellen.
Die Ereignisse in der Eurozone stellen uns alle vor enorme Herausforderungen. Die momentane Situation verdeutlicht, wie sehr die Volkswirtschaften Europas miteinander verflochten sind. Deutschland hat von der gemeinsamen Währung und dem gemeinsamen Binnenmarkt bislang stark profitiert. Wir wollen, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird und engagieren uns deshalb für eine solide, realistische und nachhaltige Lösung zur Überwindung der Eurokrise.
In der Einrichtung des dauerhaften Rettungsschirms ESM sehen wir einen zentralen Baustein für die dauerhafte Stabilisierung der Euro-Zone. Wir halten es für unbedingt notwendig, ein stabiles und glaubwürdiges Instrument zu schaffen, mit dem Euro-Staaten geholfen werden kann, die sich in einer Notlage befinden und am Markt keine bezahlbaren Kredite mehr bekommen. Ohne ein solches Instrument kann die Schieflage eines einzelnen Mitgliedstaates schnell zu einem Problem der gesamten Euro-Zone werden. Zudem ist ein handlungsfähiger ESM auch ein wichtiges Zeichen gegenüber den Finanzmärkten. Die Euro-Staaten machen damit deutlich, dass sich die Spekulation gegen einzelne Euro-Staaten nicht lohnt.
Das Begleitgesetz zum ESM wird in seinen Einzelheiten in den nächsten Monaten beraten. Die grüne Bundestagsfraktion wird sich intensiv an dem Prozess beteiligen und setzt sich für eine starke Beteiligung des Deutschen Bundestags ein, wie sie auch kürzlich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil gefordert hat. Wir unterstützen den ESM, weil er ein zentrales Prinzip beinhaltet: Es gibt nur Hilfe gegen Auflagen. Diese Konditionierung bedeutet: Der ESM greift nur ein, wenn die hilfebedürftigen Mitgliedsstaaten vorab getroffene Vereinbarungen auch sicher einhalten. Außerdem werden die Kredite nur dann vergeben, wenn der Empfänger seine Schulden auch tatsächlich tragen kann. Das wird in einer sogenannten Schuldentragfähigkeitsanalyse überprüft.
Überdies steht die Gewährleistungshöhe fest. Ein Fass ohne Boden ist der ESM auch deswegen nicht, weil die Summe der deutschen Gewährleistungen klar begrenzt ist. Über diese Summe entscheidet der Deutsche Bundestag und sie kann nicht überschritten werden.
Im Gegensatz zur Koalition bekennen wir uns eindeutig dazu, dass ohne gemeinsame Gewährleistungen ein Ausweg aus der Krise nicht möglich ist. Die Koalition hat mit ihrem zögerlichen Verhalten bisher nur erreicht, dass der größte Teil der Krisenstrategie momentan durch die EZB ausgeführt wird. Dadurch werden de facto Risiken aus den nationalen Haushalten auf die EZB verlagert. Hinter der EZB stehen am Ende jedoch dieselben europäischen Steuerzahler. Die Risiken bei der EZB übersteigen mittlerweile das Volumen des ESM bei weitem. Somit ist die Bundesregierung nicht ehrlich gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, wenn sie behauptet, sie sei gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden. Diese gibt es bereits.
Deutschland allein hat in einer globalisierten Welt auf Dauer kein Gewicht – um politischen Handlungsspielraum zurückzugewinnen, brauchen wir eine handlungsfähige und starke Europäische Union.
Der ESM kann aber nur ein Baustein hin zu einer krisenfesten finanz-, haushalts- und wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit in der EU sein. Gleichzeitig brauchen wir einen starken Stabilitäts- und Wachstumspakt mit klaren Regeln zur Vermeidung von übermäßiger Verschuldung, eine Wirtschafts- und Solidarunion, die Fehlentwicklungen in einzelnen Staaten und somit wirtschaftliche Ungleichgewichte zwischen den Euro-Staaten frühzeitig erkennt sowie eine Kultur finanzpolitischer Verantwortung. Dafür muss sich die Bundesregierung in Brüssel einsetzen – ohne Wenn und Aber.
Mit freundlichen Grüßen nach Hildesheim
Brigitte Pothmer