Frage an Brigitte Pothmer von Stefanie B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Pothmer,
kürzlich tauchte im Internet ein neues Video der El Kaida auf, in dem es heisst, Deutschland drohe nach der Bundestagswahl "ein böses Erwachen", wenn die Wähler sich nicht für einen Politikwechsel entscheiden. El Kaida fordert hier konkret einen sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, Zitat: "Mit Abzug des letzten deutschen Soldaten wird auch der letzte Mudschaheddin aus Deutschland abgezogen."
1. Wie bewerten Sie persönlich und Ihre Partei die Sicherheitslage Deutschlands?
2. Meine These "Terrorismus lässt sich nicht mit Krieg bekämpfen". Wie ist Ihre Meinung dazu?
3. Was sind Ihre Vorschläge, um die "Afghanistanfrage" endlich im Interesse der Weltgemeinschaft UND vor allem der afghanischen Bevölkerung zu lösen?
Sehr geehrte Frau Becker,
sie haben mir mehrere Fragen zur Sicherheitspolitik und zu Afghanistan gestellt, die ich Ihnen gerne beantworten möchte.
/Sicherheitslage in Deutschland/
Wie zuletzt in dem von Ihnen erwähnten Beispiel haben Terroristen in Videos und Reden Deutschland immer wieder als Ziel von Anschlägen genannt. Die Jahre seit dem 11.09.2001 haben aber gezeigt, dass die deutschen Sicherheitsbehörden diese Bedrohung unter Kontrolle haben. Mehrere Anschlagspläne wurden rechtzeitig aufgedeckt und die Dahinterstehenden verhaftet. Aus grüner Sicht ist Sorglosigkeit in diesem Bereich ebenso unangebracht wie übertriebene Panikmache. Deswegen dürfen politische Entscheidungsträger weder Gefahren verleugnen, noch mit der Angst vor möglichen Anschlägen Politik machen oder sie gar als Vorwand nutzen, ohne Sicherheitsgewinn Freiheiten einzuschränken.
/Terrorismus lässt sich nicht durch Krieg bekämpfen/
Terrorismus ist eine rücksichtslosesten und abscheulichsten Formen der Kriminalität. Kriminalität ist aber ein Fall für die Polizei, nicht für die Armee. Mit Militär und erst Recht mit Krieg lassen sich Konflikte nicht lösen. Sicherheitspolitik muss mit Augenmaß gemacht werden. Das gilt auch für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Die Erfahrung zeigt, dass Militär hierzu nur begrenzt beitragen kann; häufig ist sein Einsatz sogar kontraproduktiv. Um Konflikte friedlich zu lösen und ihre Ursachen zu bekämpfen, bedarf es anderer Anstrengungen. Darum wollen wir Grünen den Aufbau einer Infrastruktur für zivile Krisenprävention mit Nachdruck vorantreiben. Frieden braucht auf nationaler, auf EU- und UN-Ebene Fachleute, Kompetenzen und Geld. Darüber hinaus muss das Missverhältnis zwischen militärischen und zivilen Beiträgen zur internationalen Friedenssicherung abgebaut werden. Dem Terrorismus lässt sich nur mit einer Politik begegnen, die entwicklungs- und wirtschaftspolitische Schwerpunkte setzt und die für Menschenrechte und die gegenseitige Akzeptanz unterschiedlicher Kulturen wirbt. Wo kulturelle Differenzen durch Extremisten zur kriegerischen Auseinandersetzung eskaliert wurden, muss das Eintreten für eine solche Politik im Extremfall aber auch militärisch abgesichert werden.
/Lösung der "Afghanistan-Frage"/
Wir Grünen sind davon überzeugt, dass sich die Gewaltkonflikte in Afghanistan militärisch nicht lösen lassen. Um den schwierigen Aufbau in Afghanistan voranzubringen ist ein Kurswechsel notwendig, der dem Prinzip "Zivil vor Militär" folgt und den Schwerpunkt auf Maßnahmen legt, die die Lebenssituation der Afghaninnen und Afghanen verbessern und ihre verbrieften Grundrechte stärken. Wir wollen Afghanistan auf dem Weg zu einer friedlichen und demokratischeren Zukunft weiterhin unterstützen, fordern aber angesichts der verschlechterten Lage im Lande auch eine realistische und offene Diskussion über die Mittel und Instrumente. Das bedeutet auch, dass über die Dauer des Einsatzes gesprochen werden muss. Wir stehen grundsätzlich zur Fortführung der Bundeswehr-Präsenz in Afghanistan, wenn sie dazu da ist, den zivilen Aufbau abzusichern. Dafür haben wir folgende Grundsätze aufgestellt:
- Mit den kontraproduktiven Militäraktionen muss endlich Schluss sein
- Der zivile und entwicklungspolitisch orientierte Aufbau, insbesondere in den Bereichen Bildung, Landwirtschaft und Infrastruktur muss sofort massiv vorangetrieben und unterstützt werden.
- Damit die Afghanen zügig selbst für ihre Sicherheit Sorge tragen können, muss Europa 2000 Polizeikräfte (davon 500 deutsche) zur Verfügung stellen.
- Die Afghanen müssen in Schlüsselbereichen mehr Eigenverantwortung übernehmen. Korruption und Vetternwirtschaft müssen beendet, die Zusammenarbeit mit friedensbereiten oppositionellen Kräften gesucht werden.
Darüber hinaus fordern wir, dass nach der Wahl der Bundestag und die Bundesregierung - analog zum kanadischen Modell - eine überparteiliche Kommission zur Bewertung des Afghanistaneinsatzes einsetzen. Die Kommission soll außerdem einen zivilen Aufbauplan mit konkreten Zwischenzielen und darauf aufbauend eine militärische Abzugsperspektive entwickeln, die noch im Laufe der Legislatur eingeleitet werden soll. Um zu verhindern, dass Afghanistan nach einem Truppenabzug zum Spielball seiner Nachbarn wird, müssen begleitend internationale Verhandlungen mit allen Nachbarstaaten (auch mit dem Iran) über ein Friedens- und Stabilitätsabkommen in der Region aufgenommen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Pothmer