Frage an Brigitte Lösch von Bettina S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Tag Frau Lösch,
im November 1918 erhielten Frauen in Deutschland das aktive und passive Wahlrecht. Seither haben Frauen viel erreicht. Sie selbst wurden gewählt, sind Abgeordnete und (stellvertretendes) Mitglied des NSU-Untersuchungsausschusses im baden-württembergischen Landtag.
--> Welche Bedeutung hat das Frauenwahlrecht für sie in Zeiten erstarkender rechter Gruppierungen / Parteien, die erzkonservative Frauen- und Familienbilder propagieren und ihre antifeministische Haltung kaum verbergen?
Ist die Kandidatur rechter Gruppen bei Betriebsratswahlen 2018 ein Thema, welche Position haben Sie als Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss dazu?
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrte Frau Stadtmüller,
vielen Dank für Ihre Fragen, die ich Ihnen gerne beantworten will.
Zunächst zum Frauenwahlrecht:
Wir feiern in diesem Jahr 100 Jahre Frauenwahlrecht! Ein Grundrecht, das auch bei der Aufstellung der Weimarer Reichsverfassung noch nicht selbstverständlich war. Konservative forderten gar, „dass die Frau nicht in das Schmutzige der Politik gezogen werde und der Ehe sowie dem Haushalt entfremdet werden solle“. Auch wenn wir heute über solchen Unsinn lachen, so war 1918 der erste Schritt auf dem weiten Weg zur Gleichberechtigung.
Leider sind wir nach wie vor noch nicht am Ziel. Wenn ich mir den Frauenanteil im Landtag von Baden Württemberg anschaue, so sind 24,5% durchaus beschämend und bilden keineswegs die gesellschaftliche Realität ab.
Während wir Grünen mit einem Frauenanteil von 47% die Mandatsverteilung nahezu geschlechtergerecht geschafft haben, liegen die anderen Parteien zwischen 8% bei der FDP und 17% bei der CDU. Daher fordern wir Grünen schon lange ein neues Landtagswahlrecht, das hier mittels Listenaufstellung weitere Gerechtigkeit schafft.
Auch nach 100 Jahren Einführung des Frauenwahlrechts ist die Diskriminierung noch nicht beendet, wir müssen weiterkämpfen! Weiterkämpfen auch gegen rechte und rechtskonservative Gruppen, die die gesellschaftspolitische Rolle rückwärts wollen. Egal ob sie das unverblümt zugeben oder dreist als vermeintlich „bürgerliche Revolution“ zu tarnen versuchen.
Zur Kandidatur rechter Gruppen und ihrem Versuch sich in Betriebsräten zu etablieren gilt folgendes:
Die Neue Rechte versucht unter Führung der vermeintlichen Alternative f. Deutschland den Marsch durch die Instanzen von rechts. So ist es auch selbstverständlich, dass diese Gruppierungen mit ihrem „des wird man wohl noch sagen dürfen“ auch bei Betriebsratswahlen antreten. Ein Beispiel ist der Rechtspopulist Oliver Hilburger als Betriebsrat bei Daimler in Untertürkheim.
Vom Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus/NSU BW“ wurde Hilburger wegen seiner jahrzehntelangen Zugehörigkeit als Gitarrist zur Neonaziband „Noie Werte“ am 7. November 2017 als Zeuge geladen. Zwei unter Beteiligung von Hilburger eingespielte Musiktitel der baden-württembergischen Rechtsrock-Gruppe „Noie Werte“ wurden bei einer ersten Version des NSU-Bekennervideos aus dem Jahr 2001 zur musikalischen Untermalung verwendet.
In diesem Zusammenhang hat die grüne Landtagsfraktion am 11.12.17 mit einem Abgeordnetenantrag einen Bericht eingefordert, ob und wie sich die Behörden des Landes Baden-Württemberg, inklusive des Landesamts für Verfassungsschutz, mit dem Verein „Zentrum Automobil e. V.“ und/oder dessen Mitgliedern befassen. Sie finden diesen Antrag unter folgendem Link:
http://www.landtag-Bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP16/Drucksachen/3000/16_3023_D.pdf
In der Antwort führt das Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration aus, dass der Verein „Zentrum Automobil e. V.“ sich nach eigenen Angaben als „alternative Arbeitnehmervertretung für Mitarbeiter in der Automobilindustrie“ sieht mit dem Hauptanliegen, die beruflichen, sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Interessen seiner Mitglieder zu wahren und zu fördern. Gegründet wurde der Verein laut Internetauftritt im Jahre 2009 von Beschäftigten der Daimler AG aus dem Stuttgarter Stammwerk. Demnach gilt für „Zentrum Automobil“ der gleiche Schutz vor Überwachung durch den Verfassungsschutz wie für alle anderen Gewerkschaften. Auch die Polizei befasst sich nicht aktiv mit dem in Rede stehenden Verein. Er ist darüber hinaus als grundgesetzlich geschützte Vereinigung zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen (Art. 9 Abs. 3 GG) kein Beobachtungsobjekt des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg. Zu seinen Mitgliedern liegen keine Erkenntnisse vor, die über öffentlich zugängliche Informationen hinausgehen
Insgesamt stellt für mich das sogenannte „Zentrum Automobil“ ein rechtsradikales Sammelbecken aus ehemaligen Skinheads, Angehörigen der seit 1994 verbotenen Wiking-Jugend und ähnlichen Organisationen dar. Teilweise waren die führenden Köpfe vorher auch bei der „Christlichen Gewerkschaft Metall“ (CGM) aktiv und werden dort sicher auch weiter auf Stimmenfang gehen.
Deshalb halte ich es für dringend notwendig über das „Zentrum Automobil“ aufzuklären und zu informieren. Alle gesellschaftlich relevanten Gruppen, Parteien und in diesem Fall natürlich zuvorderst die Gewerkschaften müssen im Betriebsratswahlkampf aufklären und informieren, damit die rechten Gruppen bei der Betriebsratswahl so wenig Stimmen wie möglich bekommen.
Ich hoffe ich konnte mit diesen Zeilen Ihre Fragen beantworten
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Lösch MdL