Frage an Brigitte Lösch von Uwe M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Lösch,
seit dem 5.3.13 wissen wir, dass die Entscheidung des Aufsichtsrats der DB AG zu Stuttgart21 nicht eine ordentliche Sachentscheidung eines Kontrollgremiums war, sondern, wie die Wirtschaftswoche geschrieben hat, auf Druck der Ministerien Verkehr, Wirtschaft und Finanzen und nicht zuletzt dem Kanzleramt zustande kam. Das heißt, dass ein für die Volkswirtschaft schädliches Projekt betrieben wird und durch Rechentricks dessen betriebswirtschaftlicher Vorteil vor einem Projektstopp zurechtgebogen wird, während alle Welt weiß, dass sich das Projekt volkswirtschaftlich nicht rechnen wird und der angebliche Nutzen einer Leistungssteigerung des Bahnhofs (von der Bahn unwiderlegt) in Frage gestellt werden kann.
Der Rechtsanwalt, Herr Dr. von Loeper hat diesen Vorgang als schweres Unrecht bezeichnet, gegen das eine Gruppe von Juristen auch mit rechtlichen Mitteln vorgeht. Nur - man weiß nicht, wann dieses Recht sich verwirklicht, das kann Jahre dauern. Gleichzeitig nehmen immer noch unverzagte Menschen dieses Unrecht zum Anlass, in friedlichen Aktionen des zivilen Ungehorsams dagegen protestieren und sich dadurch dem Risiko einer Bestrafung zB. wegen Nötigung aussetzen.
Hier stellt sich nun die Frage der politischen Opportunität. Mir ist bekannt, dass die Grünen in Baden Württemberg Gegner dieses Bahnprojektes sind, dass sie aber in eine Koalition machtpolitisch eingebunden sind. Wie Sie wissen, leidet die Glaubwürdigkeit der Grünen-Abgeordneten darunter, dass die grünen Minister in der Regierung nicht klar aussprechen, dass die angebliche Leitungssteigerung durch den Tunnelbahnhof eine Unwahrheit ist.
Fragen:
Sind Sie oder Ihre Partei bereit, angesichts dieser Betrügerei auf die politische Macht zu verzichten und Oppositionspartei zu werden. Können Sie dieses Unrecht weiterhin tolerieren?
Würden Sie sich für eine Amnestie für S21-Gegner, die nur friedlichen zivilen Ungehorsam geleistet haben, einsetzen?
Mit freundlichen Grüßen
Uwe Mannke
Sehr geehrter Herr Mannke,
ich kann Ihnen versichern, dass ich nach wie vor eine Gegnerin des Großprojekts Stuttgart 21 bin
Das mit Ihren genannten „Betrügereien“ ist leider nicht so einfach wie es sich anhört: Wenn es wirklich Betrügereien und Falschdarstellungen etc. wären, könnten wir rechtlich gegen diese Sachverhalte vorgehen und entsprechend Einhalt gebieten.
Diese offensichtlichen „Betrügereien“ von denen Sie sprechen, sind aber eben leider keine rechtlich angreifbaren Sachverhalte – sondern widersprechen eher unserem „normalen Rechtsempfinden.
Auch mein normaler Menschenverstand sagt mir, dass der Beschluss des Aufsichtsrats der DB AG keine objektive Entscheidung war, aber der Beschluss ist rechtlich nicht angreifbar
– Stuttgart 21 ist längst kein Bauprojekt mehr, sondern ein durch und durch verflochtenes Politikum geworden.
Eine Beteiligung des Landes an den zusätzlichen Kosten für den Filderbahnhof ‚plus‘ lehnen wir Grüne unverändert ab.
Es ist die der Deutschen Bahn AG funktionsfähige Bahnhöfe zu bauen.
Über den vertraglich vereinbarten Zuschuss des Landes in Höhe von 930 Mio. Euro für Stuttgart 21 gibt es keinen weiteren Euro.
Ich werde dieses Projekt nach wie vor kritisch begleiten.
Zur Ihrer Frage zur Amnestie für S21 GegnerInnen:
Den Vorschlag über Chancen und Risiken einer Amnestieregelung in Zusammenhang mit dem „Schwarzen Donnerstag“ vom 30.09.2010 nachzudenken und zu diskutieren, hat mein Kollege Ulrich Sckerl bei einer Veranstaltung des Stuttgarter Grünen-Kreisverbands am 5.12.2012 gemacht. Damit hat er ein Thema aufgegriffen, das längst schon von Bürgergruppen diskutiert wurde, die sich mit der Aufarbeitung des 30.9. beschäftigen.
Der Eindruck, es stehe eine Amnestieregelung durch die Landesregierung oder den Landtag unmittelbar bevor, ist aber falsch.
Es geht gerade nicht darum, jetzt eine Amnestie einzuleiten und damit die Aufarbeitung dieses einschneidenden Ereignisses zu beenden. Es geht vielmehr darum, mit der Bürgerbewegung und den gesellschaftlichen Gruppen in der Landeshauptstadt, die sich mit der politischen und juristischen Aufarbeitung des „Schwarzen Donnerstag“ beschäftigen, diese Diskussion fortzusetzen.
Das will ich ebenso zur Klarstellung beitragen wie die Feststellung, dass mit dem Denkanstoß noch gar nichts an konkreten Überlegungen zur Ausgestaltung einer Amnestie verbunden war - wer davon wie betroffen sein könnte, auf welcher Rechtsgrundlage, usw. steht dahin.
Mich bewegt der Hintergrund der Debatte, und das ist die anhaltend tiefe Spaltung in Stuttgart. Die Ereignisse am 30. September 2010 haben bleibende Gräben aufgerissen. Ich sehe es als Aufgabe auch der Grünen an, mitzuhelfen diese zu überwinden. Die zahlreichen extrem unterschiedlichen Reaktionen auf diesen Vorschlag zeigen, dass es hier auch mehr als zwei Jahre nach dem „Schwarzen Donnerstag“ noch viel zu tun gibt.
Der Denkanstoß für eine mögliche Amnestie richtet sich allerdings gerade nicht gegen die vollständige Aufklärung der Ereignisse des „Schwarzen Donnerstag“. Trotz des Untersuchungsausschusses sind heute immer noch wichtige Fragen offen. Da muss noch viel Aufklärung stattfinden, zu der ich mit meinen Möglichkeiten weiterhin beitragen möchte. Es geht mir nicht darum, etwa Polizisten, die sich im Schlossgarten Übergriffen schuldig gemacht haben - oder gar die frühere Landesregierung zu schützen oder aber auch Eskalationen bei künftigen Demonstrationen zu legitimieren. Sehr viele Bürgerinnen und Bürger erwarten dringend eine Aufklärung etwa beim Wasserwerfer-Einsatz – die muss auch unbedingt stattfinden.
Die jahrelange juristische Aufarbeitung wird aber hinter die Geschichte des 30.9.2010 aber erkennbar keinen Schlusspunkt setzen. Deshalb bleibt die Suche nach Wegen, wie die Situation auf Dauer befriedet werden könnte, eine wichtige Aufgabe. Unter Umständen ist am Ende eine Amnestieregelung ein sinnvoller Weg. Ich finde, wir sollten uns nicht scheuen, auch mal neue Wege zu gehen.
Im Rahmen des EnBW-Untersuchungsausschusses ist nun die Einsichtnahme in die Emails des ehemaligen MP Mappus möglich.
Wenn es bei der Durchsicht dieser Informationen zu neuen Erkenntnisse des sog. "Schwarzen Donnerstag" kommt, werden diese in die Aufarbeitung entsprechend einfließen.
Falls es in diesem Rahmen für uns zu keinen befriedigenden Ergebnis und einer restlosen Aufklärung kommt, behalten wir uns nochmals einen Untersuchungsausschuss zu fordern.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitte Lösch, MdL