Frage an Birgitt Bender von Joachim H. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Bundestagsabgeordnete Bender,
ich möchte nicht auf die vom Spiegel, unter der Überschrift "Neger gesucht", kolportierte Geschichte eingehen. Dennoch stelle ich Ihnen in diesem Zusammenhang folgende Frage: "Haben Sie bei Ihrer Reise Anregungen gefunden, wie man unser Gesundheitssystem reformieren kann?"
Mit freundlichen Grüßen
Joachim Hahn
Sehr geehrter Herr Hahn,
ja, ich habe bei der Reise viel gelernt, manchmal eine Bestätigung meiner Ansichten gefunden, einiges sehe ich in neuem Licht und ich habe auch gute Ideen mitgenommen.
Ich will an dieser Stelle nur wenige Beispiele herausgreifen. Der Besuch in Kanada hat gezeigt, dass dort das steuerfinanzierte Gesundheitssystem bei knapper Haushaltslage auf ähnliche Probleme trifft wie in anderen Ländern mit dieser Struktur: Die Prioritäten wurden vor einigen Jahren anders gesetzt, das System ist inzwischen stark unterfinanziert, es kommt zu erheblichen Wartezeiten für die Patientinnen, nicht vergleichbar mit der Situation in Deutschland. Die dortige Regierung versucht jetzt gegenzusteuern.
Ich lerne daraus, dass es richtig ist, die von uns Grünen angestrebte Bürgerversicherung als beitragsfinanziertes System zu führen, weil dann die zur Verfügung stehenden Ressourcen verlässlicher sind als Steuern, das ist im Interesse der PatientInnen.
Im übrigen hat der Bundesstaat Kanada es geschafft, in Absprache zwischen Bundesregierung und Einzelstaaten sowie den "territories" eine kohärente Strategie zur Prävention zu entwickeln. Gute Ernährung, Bewegung, Stressabbau in allen Altersgruppen sind nunmehr überall ein Thema. Dabei hat sich gezeigt, dass auch benachteiligte "communities" (dort sind das vorrangig die Angehörigen der "first nations") erreicht werden können.
Entscheidend dafür, so die dortige Schilderung, sind auch Maßnahmen, die nicht unmittelbar gesundheitspolitisch relevant erscheinen: Es geht um Vernetzung statt Vereinzelung, um Teilhabe der BürgerInnen am Gemeinwesen. Für unsere Verhältnisse könnte das bedeuten, das unter Rot-Grün aufgelegte Programm der "Sozialen Stadt" (partizipativ orientierte Sanierung in benachteiligten Stadtteilen) um den Aspekt der Gesundheitsförderung ergänzt werden könnte. Jedenfalls ein gutes Beispiel einer politischen Strategie zur Verhinderung von Krankheiten, wo unsere Regierung in Deutschland nicht mal ein Präventionsgesetz zustande bringt.
Als weitere wichtige Anregung habe ich ein internetbasiertes Ausbildungsprogramm kennengelernt, mit dem Studierende ebenso wie BerufsanfängerInnen lernen können, ein Gespräch mit PatientInnen zu führen, eine zutreffende Diagnose zu stellen, Medikamente auszuwählen bzw. eine virtuelle Operation durchzuführen etc. So etwas gibt es meines Wissens bisher bei uns nicht, könnte aber viel zur Qualifikation ärztlicher Berufe beitragen.
In San Francisco hat mich die Diskussion mit den ExpertInnen, die sich in der von Gouverneur Arnold Schwarzenegger geförderten embryonalen Stammzellforschung engagieren, beeindruckt. Ich bleibe zwar bei meinen ethischen Bedenken (bei der Abstimmung im Bundestag gehörte ich zur Minderheit derjenigen, die die Stichtagsverschiebung abgelehnt haben), aber ich fand ihre Haltungen sehr viel differenzierter als die ihrer deutschen Kollegen und habe verstanden, welche therapeutischen Möglichkeiten sie zu finden hoffen -- und welche nicht. Die Erzeugung von Mensch-Tier-Hybriden, die jetzt in Großbritannien stattfindet, halten sie z.B. für "wissenschaftlich nicht begründbar". Schockiert war ich darüber, dass sie diese Forschung auch als Alternative zu Tierversuchen anpriesen. Ich bin für die größtmögliche Vermeidung von Tierversuchen, aber Toxizitätsprüfungen in einer Weise durchzuführen, die die gezielte Erzeugung und Tötung menschlicher Embryonen voraussetzt, halte ich keineswegs für die bessere Alternative.
Wichtig war mir in San Francisco auch das Gespräch mit deutschen (postgraduierten) MedizinerInnen, die für einige Zeit in der Forschung, in diesem Fall der Alzheimerforschung, tätig sind. Anders als es deutsche Ärztefunktionäre gerne behaupten, wollen sie durchaus nach Deutschland zurück, vermissen aber entsprechend strukturierte Forschungsprogramme bei uns -- eine Aufgabe für die Bundesforschungsministerin und die Hochschulen.
Das ganztägige Seminar mit den VertreterInnen von "Kaiser Permanente", einer gemeinnützig organisierten Krankenkasse, die für ihre Integrationsversorgung bekannt ist, hat mir zum einen eine andere Perspektive auf eine kritische Szene in Michael Moores Film "Sicko" eröffnet.
Zum anderen: Sie arbeiten mit angestellten ÄrztInnen und eigenen Krankenhäusern, die Behandlungsstandards wiederum werden von den dort tätigen Fachleuten bestimmt. Die von ihnen beschriebenen Vorteile dieses Modells haben mich nachdenklich gemacht in Bezug auf die von uns Grünen favorisierten Einzelverträge zwischen Krankenkassen und Leistungsanbietern. Das dortige Modell scheint mir für Deutschland eher nicht umsetzbar, aus Mangel an Akzeptanz bei den ÄrztInnen, aber einzelne Bausteine wie ein "Fallmanagement" bei chronisch Kranken werden von hiesigen Krankenkassen bereits versuchsweise aufgegriffen. Das erscheint mir sinnvoll. Ob die Erfahrungen auf Deutschland übertragbar sind, wird sich zeigen.
Diese wenigen Beispiele mögen Ihnen einen Eindruck vermitteln, warum Fachreisen von Abgeordneten sinnvoll sein können. In San Francisco gab es Unstimmigkeiten mit dem Mitarbeiter des Konsulats wg. des abgesagten Termins in Sacramento. Aus meiner Sicht wäre es spannend gewesen, mit den kalifornischn GesundheitspolitikerInnen zu reden, ebenso wie zuvor mit den kanadischen. Uns wurde jedoch erst bei der geplanten Abfahrt nach Sacramento deutlich, dass die dortigen Parlamentarier wegen der laufenden Haushaltsberatungen keine Zeit für uns haben. Hätte man uns das ehrlicherweise vorher wissen lassen, hätten die weiteren Termine vorverlegt und die Reise um einen Tag verkürzt werden können.
Soweit es deplatzierte Freizeitwünsche oder eine verbale Entgleisung eines Beamten gegeben haben sollte , ist mir davon nichts bekannt, aber das gehört natürlich überprüft und muss je nach Ergebnis Konsequenzen haben.
Unmittelbar nach der Reise habe ich in der grünen Arbeitsgruppe Gesundheit anderthalb Stunden berichtet und bin auf großes fachliches Interesse meiner KollegInnen im Gesundheitsausschuss gestoßen. Dies traf auch auf die Arbeitsgruppe ,Biotechnologie und Bioethik´ der grünen Bundestagsfraktion zu, der ich vor allem von den Gesprächen zur Stammzellforschung berichtet habe. Bei zukünftigen Diskussionen werden diese Erfahrungen mit einfließen. Für meine politische Arbeit war die Reise also inhaltlich nützlich.
Mit freundlichen Grüßen
Biggi Bender