Frage an Birgitt Bender von Peter O. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Bender,
kennen Sie den Begriff "evidenzbasierte Medizin"? Es handelt sich dabei um eine Medizin, deren Wirksamkeit mit wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen ist. Nur eine solche Medizin darf von der Solidargemeinschaft der Krankenversicherten finanziert werden. Nicht zur evidenzbasierten Medizin gehören z.B. die Homöopathie und die anthroposophische Medizin. Bei diesen handelt es sich um Glaubenssysteme und Glauben sollte weiterhin Privatsache bleiben und nicht die Gemeinschaft belasten. Es gibt allerdings auch in der Apparatemedizin einige fragwürdige Entwicklungen. So werden im Rahmen der Prävention viele Untersuchungen durchgeführt, die Geld kosten, psychisches Leid auslösen und letztlich nur einem verschwindend kleinen Bevölkerungsteil ersparen, an einer bestimmten Krankheit (z.B. Brustkrebs) zu sterben. Ohne natürlich den Tod der Betroffenen letztlich zu verhindern. Der ganze Medizinbetrieb ist durchdrungen von Aberglauben und wirtschaftlichen Interessen, die Gemeinschaft wird unnötig belastet und der einzelne steht unter Stress. Wie stehen die Grünen dazu, das Gesundheitssystem mit naturwissenschaftlichen und mathematischen Methoden nach Überflüssigem und Unsinnigen zu durchkämmen und vom Aberglauben zu befreien?
Sehr geehrter Herr Ofenbäck,
selbstverständlich setze ich mich als grüne Gesundheitspolitikerin mit der evidenzbasierten Medizin (EBM) auseinander. Auch Ihnen dürfte das Stufenmodell von Sackett, einem der Väter der evidenzbasierten Medizin, bekannt sein. Ziel ist es nicht, in jedem Fall die höchste Stufe zu erreichen, sondern die bestmögliche Evidenzstufe im konkreten Fall. Für sehr viele der in der Praxis angewendeten medizinische Verfahren, wie z.B. Operationen, Krankengymnastik oder die Psychotherapie besteht aus systematischen Gründen gar nicht die Chance, den „EBM-Goldstandard“ doppelverblindeter randomisierter Studien zu erfüllen.
Die evidenzbasierte Medizin kann nur auf jeweils einzelne Behandlungsmethoden oder Arzneimittel, nicht jedoch auf ganze Behandlungssysteme bezogen werden. Für viele Bereiche der „Schulmedizin“ fehlen ebenfalls Untersuchungen zur Evidenz. Hinzu kommt, dass gerade Vertreter der evidenzbasierten Medizin beklagen, dass diese noch viel zu wenig in den Arztpraxen angekommen ist.
Ich setze mich dafür ein, dass möglichst gute Studien zum Nachweis der Evidenz auch für Methoden der Komplementärmedizin durchgeführt werden. Daher habe ich für die grüne Bundestagsfraktion ein Fachgespräch unter dem Titel „Komplementärmedizin auf dem Prüfstand“ veranstaltet. Dazu hatten wir ausdrücklich einen exponierten Vertreter der EBM – Professor Porzsolt - eingeladen.
Er stellte dort u.a. fest: Die Aussage „Viele Naturheilverfahren haben Wirksamkeit nicht nachgewiesen“ heißt nicht, dass die Komplementärmedizin unwirksam ist, sondern dass großer Nachholbedarf bei der Forschung besteht. Die Diskussionen des Fachgesprächs können Sie nachlesen unter: http://www.gruene-bundestag.de/cms/gesundheit/dok/230/230375.komplementaermedizin_auf_dem_pruefstand.html
Aber selbst wenn, wie im Bereich der Arzneimittel, gute Studien vorliegen, ist unklar, ob aus ihnen tatsächlich die richtigen Schlussfolgerungen über die Wirksamkeit oder den Nutzen gezogen werden können. Das aktuelle Beispiel fehlender Veröffentlichungen von Arzneimittelstudien (IQWiG, Bewertung Edronax) zeigt, dass alle und nicht nur die „positiven“ Ergebnisse veröffentlicht werden müssen. Aus diesem Grunde setzen wir Grünen uns für eine verpflichtende Registrierung aller Arzneimittelstudien ebenso ein wie für die Pflicht zur Veröffentlichung der Ergebnisse.
Doch nun zum Themenkomplex Prävention, Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen. Die Prävention liegt uns Grünen besonders am Herzen. Wir setzen uns dafür ein, dass gesundheitliche Ressourcen gestärkt und dadurch Krankheiten vermieden oder hinausgezögert werden. Daher haben wir einen Präventionskongress durchgeführt. Aber Prävention ist nicht per se etwas Gutes oder Richtiges, sondern es muss die Frage nach Kosten und Nutzen gestellt werden. Daher diskutierte ein Podium über die Frage „Lohnt sich Prävention?“. Mehr dazu unter: http://www.gruene-bundestag.de/cms/praevention/dok/180/180866.praevention_als_leitthema_gruener_gesund.html Jede Behandlung aber auch jede Früherkennungsuntersuchung einer bereits eingetretenen Erkrankung ist nicht nur mit den erwünschten Wirkungen, sondern auch mit Nebenwirkungen verbunden. Bei Vorsorgeuntersuchungen sind dies insbesondere falsch positive und falsch negative Ergebnisse. Über die Bewertung von bevölkerungsbezogenen Vorsorgeuntersuchungen, wie z.B. das Mammografiescreening, wird auch in der Wissenschaft heftig diskutiert. Nicht die Politik, sondern die Selbstverwaltung (in der Verfahrensordnung des gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ist auch eine Evidenzhierachietreppe, nach der bewertet wird, verankert) entscheidet über die Aufnahme solcher Leistungen. Mein politisches Anliegen ist, dass Patientinnen und Patienten über die Chancen und Risiken von Früherkennungsuntersuchungen verständliche Informationen erhalten, darüber aufgeklärt werden, um dann eine eigene Entscheidung für oder gegen diese Untersuchung treffen zu können. Im Blick auf Impfungen ist ein zentrales grünes Anliegen, mehr Transparenz in die Entscheidungen der Ständigen Impfkommission zu bekommen. Die aktuelle Kritik des G-BA, der auf die Zuarbeit dieser Kommission aufbauen soll, bestätigt uns darin, dass hier manches im Argen liegt.
Ich Denke es wird Ihnen deutlich, dass wir Grünen aufgeschlossen sind gegenüber einer auf naturwissenschaftlichen und mathematischen Methoden beruhenden Evaluation. Da Menschen jedoch keine Maschinen sind, gibt es viele Aspekte die zum Gesundwerden beitragen und kaum messbar sind. Menschen werden auch dadurch gesund, dass Ihnen zugehört wird, sie sich ernst genommen fühlen oder ihre Selbstheilungskräfte angeregt werden. Diese Faktoren werden oft als Placeboeffekt abgetan. Viel spannender wäre es jedoch, zu untersuchen, wie dieser Effekte – auch bei den klassischen Behandlungsverfahren - genutzt werden kann.
Mir ist es ein Anliegen den Kulturkampf zwischen Schul- und Komplementärmedizin zu beenden und sich mit den Stärken und Schwächen der jeweiligen Ansätze auseinanderzusetzen. Das Interesse einer großen Zahl von PatientInnen ist es, von den Stärken aller Ansätze zu profitieren. Daher begrüße ich z.B. das „Dialogforum Pluralismus in der Medizin“, das vom Präsidenten der Bundesärztekammer, Professor Hoppe mit ins Leben gerufen wurde.
Mit freundlichen Grüßen
Biggi Bender