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Birgit Sippel
SPD
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Frage von Thomas S. •

Frage an Birgit Sippel von Thomas S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Guten Tag Frau Sippel,

Zitat von Ihrer Homepage:

"Seit 2009 bin ich im Europäischen Parlament tätig. Seither versuche durch meine Arbeit als Europaabgeordnete das europäische Projekt Tag für ein Tag ein Stück weiter voranzubringen."

https://www.birgitsippel.de/

Glauben Sie, dass Sie seit 2009 das europäische Projekt voranbringen konnten?

Wenn ja, wo ist Ihnen wie ein solcher Fortschritt gelungen?

Ich persönlich kann nicht erkennen, dass die EU in den letzten Jahren an Substanz und Überzeugungskraft gewonnen hätte, sondern erkenne das Gegenteil.

Bezogen auf die Fluchtkrise kann ich keine gemeinsame Politik der EU erkennen. Einige EU-Staaten (z,B, Polen und Ungarn) nehmen kaum Flüchtlinge auf und bezogen auf die Seenotrettung von den im Mittelmeer schiffbrüchig gewordenen Flüchtlingen war und ist keine konsequente Linie der EU zu erkennen. Italien rettete von Oktober 2013 bis Oktober 2014 in Form der Operation "Mare Nostrum rund 100 000 Menschen im Mittelmeer und brachte die Kosten von 9,3 Millionen Euro für seine Operation alleine auf. Heribert Prantl schrieb in einem Kommentar: "Es ist beschämend, dass die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete EU nicht einmal gewillt ist, die Kosten für das grandiose italienische Rettungsprogramm Mare Nostrum zu übernehmen. (…) Europas Politiker waschen sich ihre Hände in Unschuld – in dem Wasser, in dem die Flüchtlinge ertrinken.""

https://de.wikipedia.org/wiki/Mare_Nostrum_(Marineoperation)

Im Sommer 2018 wurden die Schiffe einer privat betriebenen Seenotrettung in Häfen Italiens und Malta festgesetzt und Flüchtlinge ertrinken bis heute weiter in großer Anzahl.

Wie werten Sie das Verhalten der EU in dieser Frage?

Wie haben Sie sich Frau Sippel bezogen auf die Seenotrettung von Flüchtlingen verhalten?

Wie wollen Sie sich künftig hier verhalten?

Muss das europäische Projekt im Hinblick auf den Umgang mit der Fluchtkrise seitens der EU nicht als gescheitert betrachtet werden?

Viele Grüße T. S.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr S.,

vielen Dank für Ihre Fragen. Erlauben Sie mir, zuerst auf Ihre Fragen zu unseren Erfolgen zum Fortschritt des europäischen Projekts einzugehen und dann auf Ihre Kritik an der derzeitigen Situation der Seenotrettung im Mittelmeer.

Eines vorneweg: Ich bin nach wie vor sicher, dass unsere Zukunft in der EU liegt und möchte mich weiterhin gemeinsam mit meinen sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen für ein starkes, demokratisches und soziales Europa einsetzen. Ein Europa das Perspektiven für Menschen schafft und in dem Hass, Ausgrenzung und Gewalt keinen Platz haben. Mehr denn je ist klar, dass die Herausforderungen von heute und morgen nur gemeinsam auf europäischer Ebene gelöst werden können. Damit dies gelingt, brauchen wir eine starke Sozialdemokratie im Europäischen Parlament, zu der ich weiterhin meinen Teil beitragen möchte.

Doch klar ist auch, dass Europa derzeit stürmische Zeiten erlebt, in denen Nationalisten und Populisten versuchen, die europäische Einigung zu torpedieren und nationale Alleingänge propagieren, ohne Lösungen anzubieten. Ich bin dennoch überzeugt, dass das europäische Projekt in dem letzten Jahrzehnt vorangebracht werden konnte. Denn auch durch den Einsatz unserer Fraktion wurden zahlreiche wichtige und notwendige Bestimmungen erfolgreich durchgesetzt. Dazu zählen zum Beispiel:

· Der Beschluss der Europäischen Säule sozialer Rechte, ein großer Fortschritt der vergangenen fünf Jahre, zu deren Grundprinzipien sich 2017 alle drei EU-Institutionen (Kommission, Parlament und Rat) und die 28 EU-Regierungschef bekannt haben. Bedauerlich ist jedoch, dass die Grundprinzipien bisher nur freiwillig sind, als Fundament, um einen umfassenden Ansatz für ein soziales Europa einzuleiten. Um den Druck auf die Mitgliedstaaten aufrecht zu halten und eine breite Debatte anzustoßen, fordern wir verbindliche Mindeststandards.

· Die verbesserte Gleichstellung der Geschlechter, die wir an zahlreichen Stellen gegen konservative Kräfte durchgesetzt haben, sowie die Unterzeichnung der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen gegen Gewalt durch die EU;

· Erhebliche Verbesserung der Bankenregulierung und Stärkung der europäischen Bankenaufsicht seit der Finanzkrise im Jahr 2008;

· Mehr Transparenz und eine starke öffentliche Beteiligung bei allen Handelsverhandlungen, sowie die Verankerung grundsätzlicher Arbeitnehmer-, Umwelt-, und Menschenrechtsstandards in Handelsverträgen, z.B. im Abkommen mit Kanada;

· Die Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), ein Meilenstein des digitalen Grundrechtschutzes, die die Rechte von Nutzerinnen und Nutzern stärkt und dem Einzelnen mehr Kontrolle über seine Daten gibt;

· Die Reform der EU-Abfallgesetzgebung, durch die höhere Recyclingquoten für Verpackungen durchgesetzt werden konnten und Wegwerfartikel aus Plastik in Zukunft durch bessere Alternativen ersetzt werden müssen. Beides ist wichtig, um zum Schutz unserer Umwelt die zunehmende Plastikflut zu reduzieren;

· Abschaffung der Roaming-Gebühren seit 2017 und Deckelung der Kosten für Telefonate in andere EU-Mitgliedstaaten ab 15. Mai 2019;

· Auch im Bereich Migration und Asyl hat das Europäische Parlament auf Drängen der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine klare Position für eine grundsätzliche Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems verabschiedet, inklusive einer solidarischen Verteilung von Asylbewerbern. Leider blockieren die Mitgliedstaaten im Rat hier seit Jahren den Fortschritt.

· Zudem haben wir im Parlament durchgesetzt, dass in dem neuen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds spezielle Mittel für Integrationsarbeit in Kommunen und Städten bereitgestellt werden. Auch den Versuch der Konservativen, die „Integration“ aus dem Namen des Fonds zu streichen und zugleich die Mittel des Fonds unbegrenzt für Maßnahmen in Drittländern einzusetzen, haben wir im Parlament erfolgreich abgewehrt.

Für weiterführende Informationen und weitere Erfolge, würde ich Ihnen gerne unsere Bilanzbrochüre dieser Legislaturperiode ans Herz legen, die Sie zum Beispiel auf meiner Website finden: https://www.birgitsippel.de/unsere-erfolge-2014-2019-die-bilanzbroschuere-der-europa-spd/

Bezüglich der derzeitigen Situation zur Rettung von Schiffbrüchigen im Mittelmeer fordern wir europäischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, dass sich alle Mitgliedstaaten der EU ihrer humanitären Verantwortung stellen und geflüchteten Menschen Schutz und Zuflucht bieten. Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht, das es zu bewahren gilt. Die derzeitige Situation in Mittelmeerraum ist deshalb absolut inakzeptabel, auch mit Blick auf die Entscheidung der Mitgliedstaaten zur Operation Sophia und den Bürgerkrieg in Libyen. Schutzbedürftige Menschen erfahren so zusätzliches Leid.

Auch die Kriminalisierung von humanitärer Hilfe und von Engagement für Menschenrechte verurteilen wir und fordern, dass private Hilfsorganisationen aufgenommene Menschen unmittelbar in europäische Häfen ausschiffen dürfen. Es gilt, alle Mitgliedstaaten für eine leistungsfähige Seenotrettung einschließlich Aufnahme von Menschen in allen Ländern in die Pflicht zu nehmen, damit die EU Seenotrettung stärker koordinieren kann, wofür es finanzielle, technische und personelle Unterstützung der EU-Staaten braucht.

Um private Hilfsorganisationen zu unterstützen, hat unsere sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament Seenotrettungs-NGOs für den Sacharow-Preis nominiert, mit dem Menschenrechts-Verteidiger ausgezeichnet werden. Im Dezember 2018 luden wir die Organisationen zudem zu einer Fraktionssitzung ein, um Such- und Rettungsfragen zu diskutieren. Darüber hinaus haben wir am selben Tag eine Pressekonferenz organisiert, um ihre Arbeit zu würdigen und das Bewusstsein für ihre Arbeit bei allen Abgeordneten des Europäischen Parlaments zu schärfen.

Dass wir für diese unerträgliche Situation schnellstmöglich eine Lösung brauchen, habe ich zudem wiederholt öffentlich gefordert, unter anderem in der Plenarsitzung des Parlaments am 27. März 2019: https://twitter.com/BirgitSippelMEP/status/1110898388327976960

Unsere Fraktion und ich persönlich werden uns auch in der kommenden Legislaturperiode weiterhin für solidarische und effektive Migrations- und Flüchtlingspolitik, den Ausbau sicherer und regulärer Migrationswege und ein verbindliches Gemeinsames Europäisches Asylsystem einsetzen, für einheitlichere regeln der legalen Zuwanderung sowie für eine weiter veränderte Zusammenarbeit mit Herkunftsstaaten, um wirtschaftliche und demokratische Entwicklungen zu unterstützen.

Ich hoffe, dass ich Ihnen mit dieser Antwort helfen konnte.

Mit freundlichen Grüßen

Birgit Sippel

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