Frage an Berthold Lausen von Armin S. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Dr. Lausen,
ein wichtiges Prinzip effizienter Arbeit ist: "besser gut kopiert als schlecht selbst gemacht". In der Politik vermisse ich dies leider. Nun habe ich ein paar Jahre in der Schweiz gelebt und dort die Vorteile des Gesundheitswesens am eigenen Leib erfahren dürfen - genauso wie die Nachteile der hiesigen Drei-Klassen-Medizin (gesetzliche/private/sozialhilfe). Interssanterweise ist die Beitragslast im Hochlohnland(!) Schweiz viel niedriger als in Deutschland - trotz höherer Qualität der Versorgung.
Ein kurzer Abriss:
In der Schweiz gibt es einen gesetzlich festgeschriebenen Leistungskatalog, die "obligatorische KKV". Jede Krankenkasse KK muss diesen Katalog anbieten, muss Jeden aufnehmen, kann aber ihren eigenen Preis machen. Da es keine gesetzlichen KKs gibt, fördert dies Konkurrenz und Effizienz der KKs und sorgt für tiefe Beiträge (dort gibt es keine "AOK-Paläste"). Alle Arztrechnungen (bis auf teure Spitalaufenthalte) gehen direkt an den Versicherten (Kostenkontrolle). Auch Medikamente (bis auf teure) werden erst mal vom Versicherten 100%ig bezahlt. Zudem gibt immer einen gesetzlich vorgeschriebenen Selbstbehalt - dies unterbindet unnötige Arztbesuche und Verschreibungen. Nur über Zusatzversicherungen kann man z.B. Zahnbehandlungen absichern (die Schweizer haben die besten Zähne in Europa). Es gibt keinen Arbeitgebaranteil (Lohn ist dafür höher). Kinder sind mitversichert. Der Versicherte hat also volle Kostenkontrolle und kann durch eigenes Verhalten die Höhe seiner Gesundheitskosten steuern. Die Beiträge sind übrigens unabhängig von der Lohnhöhe - dafür aber sehr tief und damit sozial. Interessanterweise gibt in CH trotz tieferer Gesundheitskosten kaum unzufriedene, überbelastete und unterbezahlte Ärzte. In den Arztpraxen nimmt man sich Zeit für die Patienten.
Und in Deutschland:
Für eine Packung Zäpfchen um 5EUR fürs Kind geht man erst mal zu Arzt um es sich dort verschreiben zu lassen - was unnötige zusätzliche Kosten verursacht. Die Ärzte kriegen so wenig für die Behandlung gesetzlich versicherter Patienten, dass sie sich nur über Massenabfertigung finanzieren können - kein Handwerker würde für diese Abrechnungssätze auch nur einen Finger krumm machen. Der Patient in Deutschland hat die komplette Verantwortung für seine Gesundheit abgegeben - bei jeder Kleinigkeit rennt er zum Arzt. 50% der deutschen Absolventen in der Medizin gehen ins Ausland oder machen etwas Anderes, weil die Arbeitsbedingungen untragbar sind (=> D setzt Milliarden in den Sand für deren Ausbildung). Wegen der Abrechnung über die Kassenärztlichen Vereinigungen gibt es keine Kostentransparenz. In Deutschland gibt es eine Dreiklassenmedzin: Zeit nehmen für eine vernünftig Beratung und Behandlung kann sich ein Arzt nur für privat Versicherte oder Sozialhilfeempfänger. Trotz alle dem kostet Gesundheit in Deutschland so viel wie nirgendwo. Offensichtlich geht das Geld also im System verloren.
- Würden Sie sich trauen, endlich mal allen Lobbys zugleich auf die Füsse zu treten?
- Würden Sie die falschen Gespenster einer "unsozialen" Zwei-Klassen-Medizin, die bei einem solchen Systemwechsel an die Wand gemalt werden, also solche zu entlarven?
- Würden Sie sich also dafür einsetzen, einen kompletten Systemwechsel (z.B. nach Schweizer Vorbild) voranzutreiben?
Sehr geehrter Herr Städtler,
die Grüne Forderung einer solidarischen Bürgerversicherung teile ich.
Ihrer Aussage "... Die Beiträge sind übrigens unabhängig von der Lohnhöhe - dafür aber sehr tief und damit sozial." möchte ich deutlich widersprechen.
Im Rahmen der Gesundheitsvorsorge meine ich, dass breite Schultern mehr tragen können als schmale und ich will, dass dies entsprechend in einer Bürgerversicherung - "eine für alle" - umgesetzt wird.
Deshalb habe ich mich auch bei der Formulierung unseres Wahlprogrammes beteiligt (s. unter http://www.gruene-partei.de/cms/gruene_work/dok/77/77194.aenderungsantrag_wahlprogramm.htm
) und mit dazu beigetragen, dass wir Grüne eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze bei der Bürgerversicherung fordern. Persönlich halte ich etwa 5000,- Euro für angemessen.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr
Berthold Lausen