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Bernd Siebert
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Frage von Heinz L. •

Frage an Bernd Siebert von Heinz L. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Siebert!

Die Bundestagswahlen rücken immer näher und wie es aussieht, werden wieder mehr als 614 Leute in den Bundestag einziehen.
Ich frage Sie nun in allem ernst: "Wozu braucht Deutschland 614 Abgeordnete in Berlin?"
Wir werden doch nur von ein paar Einzelnen regiert und der Rest holt monatlich seine Diäten ab und kutscht mit dem Dienstwagen in der Gegend herum, um seine Privatgeschäfte zu erledigen. In jeder Fernsehsendung, die aus dem Bundestag kommt, sieht man vor lauter leeren Stühlen kaum jemand sitzen. Sie sehen es als Ihre Pflicht an, uns ab und zu besuchen, um nach dem Rechten zu schauen. Von der anderen Sorte, habe ich die ganze letzte Periode nicht einen einzigen gesehen. Traurig!!!

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Ludwig,

herzlichen Dank für Ihre Anfrage bei Abgeordnetenwatch.
Ich möchte Ihnen nachfolgend ein paar grundlegende Informationen über die Arbeit eines Bundestagsabgeordneten geben, um Ihr Bild über ihre Volksvertreter möglicherweise ein wenig zu korrigieren.

Was macht ein Abgeordneter? Was sind seine Aufgaben? Die sind nirgends festgeschrieben, denn er ist ja laut Verfassung "an Aufträge und Weisungen nicht gebunden". Doch: Auch wenn das Grundgesetz die Pflichten des Abgeordneten nicht festlegt und dieser im üblichen Sinne keinen Chef hat - völlig frei ist der dennoch nicht. Denn seine Verantwortung ergibt sich aus der moralischen Verpflichtung, das Bundestagsmandat nach bestem Wissen und Gewissen zum Wohle des Volkes auszuüben. Außerdem hat er ja in Übereinstimmung mit seiner Fraktion bestimmte Aufgabenfelder übernommen, sitzt in Ausschüssen, muss über den Stand der Beratungen seine Kollegen in der Fraktion ständig informieren. Faul und bequem sein geht da kaum, zumal die Wiederaufstellung als Bundestagskandidat auch vom Erfolg der bisherigen Arbeit abhängt. Rechnet man noch den Arbeitsaufwand für den heimischen Wahlkreis hinzu, wo am Wochenende Bürgersprechstunden abzuhalten, Vereine zu besuchen und Reden zu halten sind, sind in Sitzungswochen für viele Abgeordnete 80 Arbeitsstunden (und mehr) fast schon normal. Formal wird der Abgeordnete allerdings nur verpflichtet, "an den Arbeiten des Bundestages teilzunehmen", wie es in der Geschäftsordnung des Bundestages heißt. Hält sich der Abgeordnete nicht daran und fehlt an Sitzungstagen unentschuldigt, werden ihm 100 Euro von seiner Kostenpauschale abgezogen. Nimmt er nicht an einer namentlichen Abstimmung teil, beträgt die Sanktion 50 Euro.

Damit der Abgeordnete seinen parlamentarischen Aufgaben vernünftig nachkommen kann, erhält er eine Amtsausstattung. Dazu gehören die Bereitstellung eines eingerichteten Büros mit modernster technischer Ausstattung, die freie Benutzung der Fernmeldeanlangen des Bundetages und aller Verkehrsmittel der Deutschen Bahn sowie die Erstattung von Flug- und Schlafwagenkosten bei Mandatsreisen innerhalb Deutschlands. Da ein Abgeordneter seine Mandatsaufgaben nicht alleine bewältigen kann, darf er Mitarbeiter bis zu einer monatlichen Gesamtsumme von zur Zeit 14.312 Euro einstellen. Die Bezahlung erfolgt über die Bundestagsverwaltung. Immateriell wird die Unabhängigkeit des Abgeordneten durch besondere Parlamentsrechte betont. So bewahrt ihn die Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung. Und die Indemnität schützt ihn davor, wegen seiner Äußerungen oder Abstimmungen im Parlament gerichtlich oder dienstlich belangt werden zu können.

Wohlhabend werden kann man als Abgeordneter nicht, auch wenn die Besoldung nicht schlecht ist. Nach dem Grundgesetz steht ihnen eine "angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung" zu. Über ihre Höhe aber wird immer wieder und seit Jahrzehnten gestritten. Die Diäten sind häufig das einzige oder mindestens das wichtigste Einkommen. Orientierungsmaßstab für die Höhe ihrer Bezüge sollten die Einkünfte eines Richters an einem obersten Bundesgericht sein. In der Praxis hinken die Diäten aber hinter diesem Vergleich zurück. Nachdem die Abgeordneten seit 2003 "Lohnzurückhaltung" geübt hatten und die monatliche Abgeordnetenentschädigung auf 7009 Euro beschränkt blieb, stimmten sie Ende 2007 einer Erhöhung zu. Seit dem 1. Januar 2008 beträgt nun die zu versteuernde monatliche Abgeordnetenentschädigung 7.339 Euro. Zum 1. Januar 2009 erhöht sie sich auf 7.668 Euro. Zuschläge und Weihnachtsgeld gibt es nicht. Für mandatsbedingte Ausgaben wie die Unterhaltung eines Büros im Wahlkreis, Unterkunft und Verpflegung in Berlin bekommen die Bundestagsabgeordneten zusätzlich monatlich eine - steuerfreie - Kostenpauschale in Höhe von zur Zeit 3.782 Euro. Mit der Diätenerhöhung beschlossen die Abgeordneten Einschnitte bei der Altersversorgung: Künftig werden pro Jahr der Zugehörigkeit zum Parlament nur noch 2,5 Prozent der Diäten gezahlt. Bislang waren es drei Prozent. Die Rente mit 67 wird schrittweise auf die Abgeordneten übertragen. Allerdings haben sie künftig schon nach einem Jahr statt wie bisher nach acht Jahren im Parlament Anspruch auf Ruhestandszahlungen. Um ihre materielle Unabhängigkeit unter Beweis zu stellen, haben sich die Abgeordneten bestimmten Verhaltensregeln unterworfen. Danach muss jeder Parlamentarier nicht nur seine zuletzt ausgeübte berufliche sondern auch jede entgeltliche Tätigkeit im Amtlichen Handbuch und auf den Internetseiten des Bundestages offen legen, die er selbständig oder im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses ausübt. Zusätzlich sind auch Mitgliedschaften in Vorständen, Aufsichtsräten oder Verwaltungsbeiräten anzugeben. Auch über die Höhe seiner Einkünfte aus anderen Tätigkeiten neben dem Mandat muss der Abgeordnete Angaben machen, die anschließend unter Verwendung bestimmter Einkommensstufen der Größenordnung nach veröffentlicht werden. Die erste umfasst einmalige oder regelmäßige monatliche Einkünfte von 1.000 Euro bis 3.500 Euro; die zweite Einkünfte bis 7000 Euro und die dritte Stufe Einkünfte über 7.000 Euro im Monat. Bei unregelmäßigen Einkünften innerhalb eines Jahres wird eine entsprechende Einkommensstufe bezogen auf das ganze Jahr veröffentlicht. Ziel dieser Offenheit ist nicht der "gläserne Abgeordnete"; aber der Bürger soll wissen, ob sich gewählte Volksvertreter möglicherweise noch anderen Interessen verbunden und verpflichtet fühlen könnten.

Bundestagsabgeordneter - ein Traumberuf? Ohne Chef und nur dem Gewissen verantwortlich? Ein paar Tage im Parlament in Berlin, ansonsten im lockeren Gespräch mit dem Bürger? So wie sich hartnäckig das Bild vom Champagnerglas schwenkenden Diplomaten hält, wird auch die Tätigkeit des Bundestagsabgeordneten gerne schöngezeichnet. Dabei ist der Abgeordnetenberuf längst zum Knochenjob geworden. Zumindest in den Sitzungswochen des Parlaments. Dann heißt es: Termine, Termine, Termine. Feierabend ist meist erst am späten Abend. Manche Sitzungen mögen dabei auch unnötig sein. Aber ähnlich ist es wohl in allen Großorganisationen. Wie eine typische Sitzungswoche in Berlin aussieht, zeigt nachfolgende Skizze.

MONTAG:
Weil der Terminkalender des Parlaments aus allen Nähten platzt, gehört der ursprünglich "freie" Montag für viele Abgeordnete längst zum Berliner Arbeitstag. Das bedeutet, dass sie meist schon am Sonntagnachmittag Abschied nehmen müssen von Familie und Wahlkreis, um den Zug oder das Flugzeug in die Hauptstadt zu erwischen. Nach der Nacht in der Berliner Zweitwohnung warten am Morgen schon erste Gremiensitzungen: Vorbesprechungen von Fraktionsarbeitskreisen, Diskussionen in Enquete-Kommissionen oder Anhörungen in Ausschüssen. Am Nachmittag tagen die Vorstände der Fraktionen. Hier werden wichtige Weichen gestellt für die Plenarwoche, wird ausgelotet, wo Konflikte lauern, was noch im großen Kreise geklärt oder mit der Gegenseite glatt gezurrt werden muss. Danach die Arbeit im Abgeordnetenbüro: Mit den Mitarbeitern müssen das Wochenprogramm erörtert, Arbeitsaufträge verteilt, Post- und Drucksachen durchgesehen, Absprachen mit dem Wahlkreisbüro getroffen werden.
Für den Abend stehen oft lang verabredete Treffen mit Kollegen, Lobbyisten oder Journalisten auf dem Programm. Das läuft dann nicht im offiziellen Sitzungsrahmen ab sondern beim diskreten Abendessen im Restaurant, einem sogenannten "Parlamentarischen Abend", den ein Verband ausrichtet, oder in "Hintergrundgesprächen", in denen die Medienmeute "unter Drei" (Nicht zum Schreiben, nur für den Hinterkopf) Vertrauliches zu erfahren hofft. Das Berliner Parlamentsviertel, aber auch die nahen "Linden", bieten vielfältige, manchmal auch einschlägige Treffpunkte. Das Schöne daran: Man sieht sich und wird gesehen. Das politische Berlin ist, wie Politik überall in der Welt, eine große Nachrichten- und Klatschbörse. Abgeordnete und Journalisten befinden sich dabei in einem symbiotischen Verhältnis: Man lebt von- und miteinander; man kennt sich, will aber nicht zu viel Nähe; man braucht sich, schätzt einander aber nicht immer; und: man läuft sich immer wieder über den Weg - im Parlament, bei offiziellen Pressekonferenzen, bei politischen Stammtischen, bei Empfängen und auf den Straßen des Regierungsviertels. Manchmal ist Berlin eben nur ein Dorf.

DIENSTAG:
Im Arbeitsrhythmus des Parlaments gehört der Dienstag zur ersten großen Herausforderung. Denn an diesem Tag tagen nicht nur viele Fraktionsarbeitsgruppen und die meisten Landesgruppen, sondern - am Nachmittag - auch die Fraktionen. Die Vollversammlung der jeweiligen Fraktion ist für jeden Abgeordneten ein selbstverständlicher Pflichttermin. Denn sie ist eine große Informations- und Stimmungsbörse. Hier erspüren die Abgeord- neten den politischen Herzschlag der Fraktion, erkennen, ob sie mit ihrer Meinung alleine stehen oder Verbündete haben. Hier berichten die Kollegen über die Stimmungslage an der "Basis" in den Wahlkreisen, formuliert die Fraktionsführung eine aktuelle Zustandsanalyse, geben Arbeitsgruppenvorsitzende Auskunft über den Stand von Gesetzesberatungen, informieren Parlamentarische Geschäftsführer über den voraussichtlichen Ablauf der Plenarsitzungen der Woche. Jede Fraktionssitzung kann dabei ihre eigene Dynamik entwickeln. Schließlich wird über Inhalt und Taktik der eigenen Politik diskutiert, über parlamentarische Initiativen befunden und oft auch schon über Rednerlisten für die Plenardebatten entschieden. Gerade bei strittigen parlamentarischen Vorhaben ist die Fraktionsvollversammlung eine wichtige Hürde. Sogar gestandene Minister oder Fraktionsvorsitzende zittern bisweilen, ob die von ihnen vorgelegte Initiative Rückhalt in der Fraktion findet. Ist das nicht der Fall, muss weitere Überzeugungsarbeit geleistet oder aber das Vorhaben aufgegeben werden. Zwischen den Fraktionen einer Regierungskoalition sind deshalb bei brisanten Themen mitunter Boten unterwegs, um den Diskussionsstand des Partners jeweils erfahren und die Stimmung austauschen zu können. Die Fraktionssitzungen sind nicht öffentlich. Da aber der Kreis der Teilnehmer insgesamt groß ist - auch zahlreiche Mitarbeiter und Fraktionsangestellte haben Zutritt -, ist die Vertraulichkeit gewöhnlich ziemlich löcherig und das Gesagte oder zumindest Beschlossene in den Zeitungen des nächsten Tages nachzulesen.
Natürlich ist eine Fraktionsversammlung auch ein Stück politische Heimat, in der man für den oft stressigen Politik-Betrieb auftanken und Rückhalt finden kann. Denn Politik kann einsam machen. Das freundschaftliche Gespräch mit Gleichgesinnten, die Tasse Kaffee, das Stück Kuchen oder das Glas Wasser beim kleinen Plausch am Rande der Fraktionssitzung mit Kollegen, die man sonst im hektischen Parlamentsablauf nicht zu Gesicht bekommt, all das vermittelt ein bisschen Gemeinschaftsgefühl und Geborgenheit. Zu besprechen gibt es ohnehin immer etwas, und sei es nur die Aufstellung für das nächste Spiel der Fußballmannschaft des Bundestages. Nach der Fraktionssitzung ist keineswegs Schluss. Auch am Dienstagabend stehen mannigfache Verpflichtungen auf dem Programm. Da wollen Besuchergruppen aus dem Wahlkreis "ihren" Abgeordneten zu Gesicht bekommen, da ruft das Sommerfest des Auswärtigen Amtes, da steht ein Vortrag vor der Parlamentarischen Gesellschaft an, da wartet der Journalist von der Heimatzeitung auf das versprochene Interview, da muss an der Rede für das Plenum am Donnerstag gefeilt werden.

MITTWOCH:
Ein langer, mühevoller Tag. Der Tag der Ausschüsse, der Fachpolitiker, der Details der komplizierten Politik. Fast rund um die Uhr und parallel tagen die 22 Ausschüsse des Bundestages. Beginn morgens um 8.30 Uhr. Abends brennt oft immer noch Licht im Paul-Löbe-Haus, wo sich die Sitzungssäle der meisten Ausschüsse befinden. Die Arbeit an den Gesetzen ist aufwändig, da die Materie oft komplex und schwierig ist. Wer sich nicht auf andere verlassen will, muss sich selbst sachkundig machen. Das kostet Zeit und bedeutet Mühe. Einige Abgeordnete, besonders der kleineren Fraktionen, sind Mitglieder in mehreren Ausschüssen. Da werden Druck und Terminnot noch größer. Für das Mittagessen bleibt häufig wenig Zeit, zumal sich Post und Drucksachen im Büro häufen. Ein schneller Gang in die Kantine von Jakob-Kaiser- oder Paul-Löbe-Haus oder eine Curry-Wurst Unter den Linden, und das war es. Am frühen Nachmittag tritt auch noch das Plenum des Bundestages zusammen, erst zur Befragung der Bundesregierung, anschließend zur Fragestunde. Kein Pflichttermin für alle, aber wer selbst Fragen gestellt hat, etwa über die Verkehrswegeplanung in seinem Wahlkreis, eilt schon deshalb ins Plenum, um mündliche Nachfragen stellen zu können. Abgeordnete der Regierungsfraktionen konferieren derweil mit hohen Beamten aus der Ministerialbürokratie. Auch am Abend geht´s rund: Gesprächsrunden, Diskussionen, Einladungen, zu denen man eigentlich gar keine Lust hat. Aber: Man muss sich sehen lassen. Und noch immer ist die Rede für den Auftritt im Plenum nicht fertig...

DONNERSTAG:
Der zweite "Großkampftag" der Abgeordneten. Diesmal stehen nicht Fraktion und Ausschüsse, sondern das Plenum des Bundestages im Mittelpunkt. Meist mit einer ellenlangen Tagesordnung, die nicht selten eine Sitzungszeit von morgens neun Uhr bis in den späten Abend, bisweilen sogar bis nach Mitternacht bedingt. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei die sogenannte "Kernzeit" von 9 bis 14 Uhr, in der die Debatten meistens direkt vom Fernsehen übertragen werden. Das Themenspektrum ist gewöhnlich groß: von der Außenpolitik bis zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes, von der Geschäftsordnungsdebatte bis zum Finanzausgleichsgesetz. Das Parlament funktioniert in dieser Hinsicht wie die gesamte Gesellschaft: arbeitsteilig. Deshalb sind auch nicht immer alle Abgeordneten im Plenarsaal. Aber in ihren Büros verfolgen sie per Parlamentsfernsehen die Debatte, sind rasch zur Stelle, wenn es brenzlig und über die fraktionsinterne Kommunikationsanlage um Verstärkung gebeten wird oder wenn die Klingeln zur Abstimmung rufen. Dafür sorgen schon die Parlamentarischen Geschäftsführer, die mit Argusaugen über Disziplin und möglichst große Geschlossenheit ihrer Fraktion wachen.
Wer Besinnung sucht, hat den Tag mit einer christlichen Morgenfeier in dem von Günther Uecker karg aber stilvoll gestalteten Andachtsraum des Reichstagsgebäudes begonnen. Später ist Muße Seltenheit. Immer wieder müssen die Abgeordneten zwischen Sitzungssälen, aushäusigen Terminen und dem eigenen Büro hin und her pendeln. Für jene Parlamentarier, die ihre Büros nicht direkt in den Parlamentsbauten sondern Unter den Linden haben, sorgt ein Shuttle-Fahrdienst für schnellen Transport. Das ist nicht nur praktisch sondern dient auch dem kollegialen Austausch, schließlich sind die Fahrzeuge nicht nach Parteizugehörigkeit getrennt. Auf der gemeinsamen Autofahrt lassen sich rasch noch die eine oder andere Frage regeln, Verabredungen treffen oder -warum nicht? - kleine politische Frotzeleien anbringen. Fraktionsübergreifende Kontakte sind auch sonst häufig und erwünscht: Beim Mittagessen im Restaurant des Reichstagsgebäudes, in einer der Sportgemeinschaften des Bundestages oder beim abendlichen "Absacker" in einer der vielen kleinen Restaurants.

FREITAG:
Schlussgalopp im Bundestag. In den Garderoben des Reichstagsgebäudes stapeln sich die Handkoffer der Abgeordneten für die Heimreise. Bevor es aber nach Hause geht, ist es häufig 15 Uhr. Das Plenum, das wegen der Dichte der Themen der Tagesordnung oft hinterherhinkt, fordert noch einmal seinen Tribut. Hinzu kommen nicht selten noch schnell anberaumte Sitzungen von offiziellen und informellen Fraktionskreisen. Dabei drängt die Zeit, Flugzeug oder Bahn warten nicht. Und im Wahlkreis hoffen bereits Mitglieder- oder Delegiertenversammlungen auf "unsere Frau" oder "unseren Mann" in Berlin, die ganz brandaktuell von der großen Politik in der Hauptstadt berichten sollen. Dabei wären die vermutlich viel lieber daheim bei der Familie, Freunden und Partnern oder würden endlich einmal das wahrnehmen, was sie sich schon seit Wochen vorgenommen haben: das reiche kulturelle Angebot in Berlin zu genießen.

WOCHENENDE:
Endlich durchatmen? Daraus wird meistens nichts. Denn längst sind die Terminkalender wieder prall gefüllt. Das Wahlkreisbüro muss besucht, die Bürgerstunde abgehalten werden. Im weiteren Verlauf des Tages ist der Abgeordnete dann gerne auf Einweihungen, Skat-Turnieren und Feuerwehrbällen gesehen. Am besten mit einer launigen Rede und einer kleinen Spende. Politik zum Anfassen, heißt das. Auch am Sonntag fällt das gemütliche Frühstück häufig aus, stattdessen ist der "Politische Frühschoppen" mit Parteifreunden angesagt. Danach ein paar Stunden Ruhe - dann schließt sich mit dem neuerlichen Aufbruch nach Berlin der Kreis. Eine neue Plenarwoche beginnt. Bedauern wegen ihres großen Arbeitspensums muss man die Abgeordneten nicht. Schließlich kommt der Bundestag im Jahresrhythmus nur in rund 24 Sitzungswochen zusammen. Außerdem haben sie selbst das Mandat angestrebt. Aber der Öffentlichkeit schadet es nicht, zu wissen, dass der Beruf des Abgeordneten nur bedingt ein Traumjob, vor allem aber harte Arbeit ist.

Offen für alle
Der Deutsche Bundestag: Als oberstes Verfassungsorgan ist er die wichtigste Institution der deutschen Demokratie. Gerade unter den Bedingungen einer Großen Koalition, in der es keine knappen Mehrheiten gibt und mögliche Einsprüche des Bundesrates leichter zurückgewiesen werden können, muss sich das Parlament seiner ihm zugeordneten Verantwortung stellen. Das gilt in erster Linie natürlich für die die Regierung stützenden Mehrheitsfraktionen; gefordert sind aber auch die drei Oppositionsfraktionen, deren Aufgabe es ist, die Regierung zu kontrollieren und aus ihrer Sicht bessere Alternativen in Sach- und Personalfragen aufzuzeigen. In diesem Zusammen- und Gegenspiel erweist sich der Bundestag nicht als starres oder abstraktes Konstrukt, sondern als lebendiger Organismus, in dem Politik von Menschen für Menschen gemacht wird. Ein Organismus, der seine Kraft und Faszination aus den Herausforderungen der Aufgaben, dem Lösungsangebot der Politik und der Vielseitigkeit der Abgeordneten bezieht, die im wahrsten Sinne des Wortes "Vertreter des ganzen Volkes" sind: Mit ihren Stärken, ihrem Engagement, manchmal auch mit ihren Schwächen. Politik ist nicht etwas Statisches, sondern sehr Lebendiges, das sich bewegt, fortschreibt und immer wieder neu bewähren muss. Dabei hat kein Lager von vorneherein die Wahrheit auf seiner Seite. Deshalb muss demokratisch gestritten werden. Aber es ist gut, dass sich Politik im Bundestag nicht immer an Fraktionsgrenzen hält und dass Abgeordnete sich nicht abgrenzen sondern in vielfältiger Weise miteinander verbunden fühlen. Wohl gibt es im Bundestag politische Gegnerschaft, persönliche Feindschaft dagegen kaum.

Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen weitergeholfen zu haben und verbleibe
mit freundlichen Grüßen

Bernd Siebert MdB