Frage an Bernd Sibler von Peter H. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Hallo,
was halten Sie davon, daß immer mehr Leiharbeitsfirmen aus dem Boden schießen
und die Bevölkerung ausgenutzt wird. Desweiteren bin ich mir sicher, daß die
Regierung davon Bescheid weiß, daß durch diese Firmen Unsummen an Steuern und
Sozialabgaben verloren gehen. Warum wird dagegen nichts unternommen? Wir brauchen
wieder eine vernünftige Arbeitspolitik! Zeitarbeitsfirmen schaffen keine Arbeits-
plätze, sie besetzen nur Arbeitsstellen die ohnehin vorhanden sind zu Dumpinfpreisen.
Sehr geehrter Herr Huber,
Sie haben mich zur Landtagswahl zu meiner Position zur Leiharbeit befragt. Leider hat sich meine Antwort verzögert, da gerade die vergangenen Wochen immer wieder neue Fakten zur Leiharbeit publik wurden. So hat zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung am 29. Oktober ganzseitig verschiedene Facetten zur Leiharbeit (= Zeitarbeit = gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung) beleuchtet. Zudem war ich zeitlich durch die Neuformierung des Landtags intensiv gebunden.
Ich persönlich glaube, dass die Leiharbeit sehr differenziert zu betrachten ist. Zunächst einmal zu den wesentlichen Fakten zur Leiharbeit: Bei der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung muss der Verleiher den Arbeitnehmer zu den gleichen wesentlichen Arbeitsbedingungen beschäftigten, wie sie im entleihenden Betreib gelten. Schlechtere Arbeitsbedingungen gelten für die Leiharbeiter gelten aber dann, wenn für sie ein Tarifvertrag gilt, der schlechtere Arbeitsbedingungen vorsieht. Genau hier liegt aber der springende Punkt: Für die Zeitarbeitsbranche haben etwa die DGB-Gewerkschaften Tarifverträge abgeschlossen, die eine leichtere Kündbarkeit vorsehen, als die Tarifverträge, die für die ausleihenden Betriebe beispielsweise der Automobil- oder Metallindustrie gelten. Auch die Löhne sind häufig niedriger.
Die Folgen dieser Sonderregelungen für die Zeitarbeit lassen sich an den
vergangenen Jahren deutlich ablesen:
Seit 2002 nahm die Leiharbeit stetig zu. Die Firmen haben die Phasen des Wirtschaftsaufschwungs genutzt, um zusätzliche Aufträge nicht nur durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze, sondern auch mithilfe von Leiharbeitern zu bewältigen.
Seit der sich abzeichnenden Weltfinanz- und im Gefolge auch Weltwirtschaftskrise sinkt die Zahl der Leiharbeitnehmer. Nach den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit waren zum Stand 31.12.2007 (neuere Zahlen liegen noch nicht vor):
538.829 Menschen bei Leiharbeitsfirmen deutschlandweit beschäftigt; in
Bayern 127.076.
davon 172.231 Menschen, die vorher anderweitig beschäftigt waren,
sowie 55.815 Menschen, die vorher als Leiharbeitnehmer beschäftigt waren
und
und 348.865 Menschen, die vorher arbeitslos waren.
Die zum 312.12.2007 mit Abstand größte Gruppe an Leiharbeitnehmern gehört zu
den Hilfsarbeitern (in Bayern mit 50.550 von 127.076 ca. 40 %)
Daraus ziehe ich für meine Bewertung der Leiharbeit folgende Schlussfolgerungen:
Sie haben die Vermutung geäußert, dass die Leiharbeitsfirmen keine neuen Arbeitsplätze schaffen, sondern nur vorhandene Arbeitsplätze besetzen. In der Tat gibt es unzweifelhaft solche Vorgänge. Angesichts der absoluten Zahl an Leiharbeitsplätzen von 0,6 Mio. in ganz Deutschland kann dieser Effekt jedoch nicht groß sein.
Ein positiver Effekt von Leiharbeit ist für mich, dass diese Arbeitsplätze gerade für viele Menschen ohne abgeschlossene Ausbildung ein Sprungbrett in den Arbeitsmarkt ist, die ohne die Zeitarbeit kaum eine Chance auf eine Anstellung hätten. Die Chancen auf eine Festanstellung sind deutlich höher, wenn man durch eine Zeitarbeitsstelle schon seine Arbeitsfähigkeit unter Beweis gestellt hat, als wenn man sich als Arbeitsloser bewerben muss. Auch glaube ich, dass wir nicht unseren hohen Kündigungsschutzstandard preis geben sollten, gleichwohl aber eine praktikable Lösung für Auftragsspitzen den Betrieben an die Hand geben müssen. Auch hierfür kann Leiharbeit ein gangbarer Weg sein.
Das größte Problem im Zusammenhang mit der Leiharbeit sehe ich - wie Sie -
darin, dass Arbeitgeber versucht sein könnten, ihre (teurere)
Stammbelegschaft teilweise abzubauen und stattdessen auf Leiharbeit zu setzen. Zwar sind nur wenige Leiharbeiter geringfügig Beschäftigte, aber das Lohnnievau liegt regelmäßig unterhalb der Betriebe, die die Leiharbeiter einsetzen. Ob hierzu eine Aufnahme der Zeitarbeitsbranche in das Arbeitnehmerentsendegesetz (d.h. im Ergebnis: Festlegung eines Mindeslohnes für die Zeitarbeit) der richtige Weg ist, wird derzeit auf Bundesebene geprüft.
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Sibler