Frage an Bernd Scheelen von Klaus V. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Scheelen,
anbei zu unserem Bildungssystem einige Fragen, die ich auch den anderen Wahlkreiskandidaten stellen werde:
1) Persönlich halte ich den primären Bildungsauftrag der Länder für nicht mehr zeitgemäß. Die Strukturen sind zu starr und verkrustet, ferner hat sich im Laufe der Zeit ein bildungspolitischer Flickenteppich in unserem förderalistischen Staat gebildet (Verweis auf PISA). Würde es nicht Sinn machen, die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz zu den Lehrinhalten der allgemeinbildenden Schulen
bis hin zum Abitur in Bundeshand zu geben und die Länder lediglich mit einer Aufsichtsfunktion zu betrauen, somit allen Schülern eine einheitliche Bildungsbasis zur Verfügung zu stellen? Kostenreduktion und Fortschritt sollten somit wieder in den Vordergrund rücken.
2) In der Bundesrepublik Deutschland gibt es eine Vielzahl hochbegabter, praktisch tätiger Menschen (z.B. mit den Qualifikationen Meister(in), Fachkauffrau/-mann, staatl. Prüfungen, etc.). Die bestehenden Hochschulgesetze erschweren diesen Menschen den Zugang zu einem Studium - auch aus persönlicher Erfahrung im Bekanntenkreis - in unverständlicher Weise. In einigen Bundesländern sind Ausnahmen möglich, leider weisen die einschlägigen Gesetze und Verordnungen dennoch nicht genügend Flexibilität zur Einordnung entsprechender Bildungsabschlüsse auf. Auf der anderen Seite nahm die Qualität des Fachabiturs/ Abiturs in allen(!) Bundesländern in den letzten Jahrzehnten deutlich ab. Vor diesem Hintergrund: Benötigen wir nicht ein offeneres Qualifizierungssystem um im weltweiten Wettbewerb zu bestehen? Wie definieren Sie den Begriff "geistige Elite"?
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Vieten
Sehr geehrter Herr Vieten,
Sie formulieren 2 Fragen bezüglich unseres Bildungssystems und machen Vorschläge zur Verbesserung. Darauf möchte ich kurz eingehen.
Zunächst zu Ihrer ersten Frage:
für Reformen des Schulwesens sind in Deutschland die Länder zuständig. Aber Sie verweisen zu Recht auf die von PISA und IGLU aufgedeckten Schwächen unseres Bildungssystems, die nur in einer gemeinsamen nationalen Anstrengung zu beseitigen sind. Deshalb hat die SPD-geführte Bundesregierung wichtige Anstöße für die notwendigen Reformen auch im Schulwesen gegeben. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert nicht, wie von Ihnen vorgeschlagen, eine Bundeskompetenz für Schule – aber die extremföderalistische Position, dass Bildung allein hinter den Grenzzäunen einzelner Länder und in der Kultusministerkonferenz stattzufinden hat, kann nicht im nationalen Interesse und schon gar nicht im Interesse der Schülerinnen und Schüler liegen. Es war daher in der Sache mehr als geboten, in den Beratungen zur Föderalismusreform den überzogenen föderalistischen Forderungen der unionsgeführten Länder energisch entgegen zu treten. Am Widerstand der Union in Bildungsfragen sind die Verhandlungen zur Föderalismusreform jedoch letztlich gescheitert. Der Reformdruck bleibt aber hoch, so dass Bildung auf der Föderalismus-Agenda bleiben muss.
Bundesministerin Edelgard Bulmahn hat als Konsequenz aus PISA im Sommer 2002 ein Fünf-Punkte-Programm vorgestellt. Neben dem Ausbau des Ganztagsbetreuungsangebots und der Einführung eines Nationalen Bildungsberichts sieht es die Schaffung Nationaler Bildungsstandards vor, die die Bildungs- und Erziehungsziele sowie Leistungsstandards für Schüler und Schülerinnen umfassen sollen. Weiter fordert es ein Bund-Länder-Förderprogramm zur Überwindung der durch die PISA-Studien aufgedeckten Defizite von Schülern mit Schwerpunkt auf Frühförderung und lernschwachen Schülern und die regelmäßige Überprüfung dieser Leistungsstandards durch eine unabhängige Evaluation. Der letzte Punkt scheiterte bisher wiederum an der Union. Unser Ziel ist und bleibt es dennoch, bis 2010 für Deutschland wieder einen Spitzenplatz unter den OECD-Ländern zu erreichen.
Nun zum 2ten Themenkomplex:
Sie haben Recht, wenn Sie die Vielzahl sehr gut qualifizierter Fachkräfte in Deutschland ansprechen. Das duale System der Berufsausbildung ist und bleibt die wichtigste Säule zur Sicherung der Berufschancen. Das duale System hat sich voll bewährt. Und es stimmt, dass wir aufgrund der demographischen Entwicklung und der sich zunehmend dynamisch ändernden Anforderungen der Wirtschaft dafür Sorge tragen müssen, dass die Angebote der beruflichen Fort- und Weiterbildung durchlässiger und einfacher zugänglich werden und zwar ausdrücklich bis in den Hochschulbereich hinein.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat die Modernisierung der beruflichen Bildung seit 1998 zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht. Unser Ziel ist und bleibt es, mit der Modernisierung, Stärkung, Flexibilisierung und Anpassung des dualen Systems an Entwicklungstrends wie die zunehmende Internationalisierung der Arbeitsmärkte oder den dynamischen Qualifizierungsbedarf einen zentralen Beitrag zur Sicherung der Innovationsfähigkeit Deutschlands zu leisten. Aber es bleibt noch vieles zu tun.
Chancengleichheit und Flexibilität verlangen die Förderung der Fort- und Weiterbildung qualifizierter junger Menschen. Wir haben mit der grundlegenden Reform des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes (AFBG) zum 1. Januar 2002 die Förderung von fortbildungswilligen Fachkräften und angehenden Existenzgründern wesentlich verbessert und den individuellen Rechtsanspruch auf Förderung von beruflichen Aufstiegsfortbildungen deutlich ausgebaut. So wurden z.B. der Kreis der Geförderten und der Anwendungsbereich der Förderung ausgeweitet, die Förderkonditionen für alle Teilnehmer deutlich verbessert, die Familienkomponente ausgebaut, ein stärkerer Anreiz zur Existenzgründung gegeben.
Wir haben unter anderem durch das im Juli 2004 verabschiedete Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung die Möglichkeit der steuerlichen Berücksichtigung von Aus- und Weiterbildungskosten erheblich verbessert. Nun können entsprechende Aufwendungen bis zu einer Höhe von 4.000 € als Sonderausgaben in Abzug gebracht werden. Das entspricht einer steuerlichen Entlastung von fast 350 Mio. € jährlich.
Die Bundesregierung hat zur konzeptionellen Nachjustierung eine Expertenkommission zur Weiterbildung eingesetzt, deren umfangreicher Bericht inzwischen vorliegt. Die Weiterbildungs-Frage wird in der kommenden Legislaturperiode daher einen Schwerpunkt sozialdemokratischer Bildungspolitik darstellen.
Wir haben mit der Exzellenzinitiative und gegen den lang anhaltenden Widerstand der Union 1,9 Mrd. Euro zusätzlich für die Spitzenforschung in Deutschland durchgesetzt. Wir haben Deutschland wieder zur Forschungsnation Nummer zwei gemacht.
Mit freundlichen Grüßen
Bernd Scheelen, MdB