Frage an Barbara Hendricks von Arno F. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Dr. Barbara Hendricks.
Wie können sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren den Afghanistaneinsatz der zur Abstimmung stand mit Ihrer Zustimmung zu verlängern?
Im § 16 Soldatengesetz wird das Verhalten der Soldaten in anderen Staaten geregelt.
Dort heißt es: „Außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes ist dem Soldaten jede Einmischung in die Angelegenheiten des Aufenthaltsstaates versagt.“
MfG, Arno Fischer
Sehr geehrter Herr Fischer,
Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier haben am 26. Januar 2010 in einem 20-seitigen Papier zur Dauer und Perspektive des deutschen Afghanistan-Einsatzes auch den Grund und die Ursachen für diesen Einsatz in Erinnerung gerufen. Wir sollten nicht vergessen, dass die internationale Gemeinschaft in Afghanistan militärisch interveniert hat, weil die Verantwortlichen der Anschläge vom 11. September 2001 mit über 3.000 Toten in Afghanistan nicht nur einen sicheren Hafen hatten, sondern das afghanische Territorium sowohl für die Planung von Anschlägen als auch für die Ausbildung von Terroristen, nutzten. Selbst nach den Anschlägen vom 11.September stellte sich das Taliban-Regime weiterhin schützend vor diese terroristischen Strukturen, die zusammenfassend als „Al Qaida“ bezeichnet werden.
Vor diesem Hintergrund haben die Vereinten Nationen mit der Resolution 1368 vom 12. September 2001 die terroristischen Angriffe vom 11. September als Bedrohung des Weltfriedens qualifiziert und ausdrücklich auf das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung gegen die terroristischen Angriffe vom 11. September hingewiesen. Die Resolution 1373 vom 28. September 2001 rief die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen darüber hinaus zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus auf. Nach wochenlangem diplomatischem Druck auf das afghanische Regime, die verantwortlichen Al Qaida-Führer auszuliefern, hatten sich die USA und Großbritannien entschlossen, militärische Maßnahmen gemäß Artikel 51 der UNCharta zu ergreifen. Ziel war die Beseitigung der fortdauernden terroristischen Bedrohung von Al Qaida aus Afghanistan. Der militärische Einsatz in Afghanistan begann und steht bis heute auf einer einwandfreien völkerrechtlichen Grundlage der Beschlüsse der Vereinten Nationen. Das ist der diametrale Unterschied zur amerikanischen Militärintervention im Irak.
Deutschland hat sich im November 2001 entschlossen, dem Aufruf der Vereinten Nationen zu folgen, erforderliche Maßnahmen im Kampf gegen die Bedrohung des Weltfriedens zu unterstützen. Der Einsatz militärischer Mittel wurde als unverzichtbar betrachtet, um die terroristische Bedrohung zu bekämpfen und eine Wiederholung von Angriffen wie am 11. September 2001 nach Möglichkeit auszuschließen. Der Beitrag Deutschlands und der internationalen Partner im Kampf gegen den internationalen Terrorismus erstreckte sich jedoch nicht nur auf den militärischen Bereich, sondern umfasste insbesondere politische und wirtschaftliche Maßnahmen.
In Bezug auf Afghanistan wurde mit dem Petersberg-Prozess und der sogenannten „Bonner Vereinbarung zur Bildung einer Friedens- und Übergangsvereinbarung“ eine Entwicklung unterstützt, die die Chancen für eine nationale Aussöhnung sowie für den politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau stärken sollte. Die von den auf der Petersberger Konferenz vertretenen afghanischen Gruppen gewünschte militärische Absicherung des Versöhnungs- und Wiederaufbauprozesses wurde im Rahmen der daraufhin beschlossenen UN-Mission ISAF umgesetzt. Deutschland hat sich an dieser Mission von Beginn an beteiligt. Auch beim Wiederaufbau hat sich Deutschland seit 2002 mit substantiellen Beiträgen eingebracht.
Die Zustimmung der SPD-Fraktion zur Verlängerung des ISAF-Mandats am 28. Januar 2011 erfolgte vor dem Hintergrund der festen Zusage der Regierung, den Abzug der deutschen Soldaten bis 2014 zu organisieren und die Sicherungsaufgaben der Afghanischen Regierung zu übertragen.
Wir stehen gegenüber dem afghanischen Volk und unseren Soldaten in zweifacher Verantwortung.
Gegenüber Afghanistan haben wir uns zu einer ordentlichen Machtübergabe verpflichtet. Das ist die notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung dafür, das bisher zu Gunsten der Zivilbevölkerung Erreichte bewahren zu können. Ein überstürzter Abzug wäre verantwortungslos.
Es war die SPD, die als erste einen zeitlichen Abzugskorridor gefordert hat. Noch in seiner Funktion als Außenminister hatte Frank-Walter Steinmeier einen Zehn-Punkte-Plan für den Abzug aus Afghanistan vorgelegt. Im Januar 2010 war es wiederum die SPD, die ein Ende des militärischen Einsatzes im Rahmen des ISAF-Mandats für den Zeitraum zwischen 2013 und 2015 gefordert hat. Damals wurden wir von Union und FDP dafür scharf kritisiert. Inzwischen sind diese Forderungen längst internationale Beschlusslage. Sowohl die Kabuler Konferenz im Juli 2010 als auch der NATO-Gipfel am 20. November haben das Jahr 2014 als Enddatum für den militärischen Kampfeinsatz festgelegt. Von diesem Zeitpunkt an sollen die Afghanen für die Gewährleistung der Sicherheit in ihrem Land selbst verantwortlich sein. Selbstverständlich wird die internationale Gemeinschaft dieses geschundene Land danach nicht völlig sich selbst überlassen. Unterstützende Maßnahmen im zivilen Bereich, aber auch bei der Ausbildung von Armee und Polizei wird es auch über das Jahr 2014 geben müssen.
Unseren Soldaten gegenüber sind wir verpflichtet, sie in ihrer Mission bestmöglich zu unterstützen. Deshalb war es richtig, im Deutschen Bundestag gleichzeitig Ziel und Ende des Afghanistan-Einsatzes eindrucksvoll zu bestätigen.
Für die im kommenden Jahr anstehende Mandatsverlängerung hat SPD-Fraktionsvize Gernot Erler als zuständiger Sprecher für die SPD-Fraktion ein Nein angekündigt, falls die Bundesregierung ihre ursprünglichen Abzugsankündigungen nicht in die Tat umsetzt. Ich schließe mich seiner Forderung an, dass der Abzug noch in diesem Jahr begonnen wird, und zwar nicht in einer symbolischen, sondern in einer substanziellen Größenordnung. Außerdem fordern wir einen Fahrplan für eine weitere deutliche Verkleinerung des deutschen Truppenkontingents ab 2012.
Vor dem Hintergrund der gestiegenen Gefährdungslage in Afghanistan haben im Sommer 2010 alle Fraktionen im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages einmütig den Verteidigungsminister aufgefordert, die Ende 2007 beschlossenen Regelungen für im Einsatz verwundete Soldaten und Zivilbediensteten zu verbessern. Am Freitag, 28. Oktober 2011, hat der Bundestag das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz nach 45-minütiger Debatte einstimmig angenommen.
Ich kann diese bisher getroffenen Entscheidungen mit meinem Gewissen vereinbaren.
Mit freundlichen Grüßen
Barbara Hendricks