Frage an Axel Voss von Horst R. bezüglich Europapolitik und Europäische Union
Sehr geehrter Herr Voss,
in meinen Augen nutzen einige Länder wie Ungarn oder Polen das Einstimmigkeitsprinzip in der EU z.B. in Haushaltsfragen zu gewissen Erpressungen der anderen Länder. Wie könnte man bei bestimmten Fragen das Einstimmigkeitsprinzip durch qualifizierte Mehrheiten ersetzen ? Wäre es eine Möglichkeit, wenn alle interessierten Länder aus der EU austräten und eine logische Sekunde später eine neue EU gründeten, in der im Prinzip dieselben Regelungen wie in der alten gelten würden mit Ausnahme des Einstimmigkeitsprinzips z.B. in Haushaltsfragen ?
Vielen Dank im Voraus für Ihre Antwort.
Horst Reckmann
Sehr geehrter Herr Reckmann,
das Einstimmigkeitsprinzip ließe sich nur durch eine Änderung der EU-Verträge erreichen. Diese wiederum ist nur möglich, wenn das Europäische Parlament und auch alle 27 Mitgliedstaaten zustimmen. Dabei ist in allen Mitgliedstaaten ein nationaler Ratifikationsprozess notwendig. So müssten in Deutschland z.B. der Deutsche Bundestag und der Bundesrat zustimmen, während es in anderen Mitgliedstaaten auch zu Volksabstimmungen kommen kann.
Eine Änderung dieses Prinzips, das seit einigen Jahren nur noch bei wenigen grundsätzlichen Fragen gilt, wäre zwar dringend geboten, ich halte es aber für sehr unwahrscheinlich, dass es dazu kommt.
Deshalb müssen wir nach anderen Möglichkeiten Ausschau halten. Insofern ist Ihre Idee zwar gut, doch würde sie nicht die entsprechenden Zustimmungserfordernisse ersetzen. Ob man also die Einstimmigkeit gezielt ändert oder durch Austritt/Eintritt dies versucht zu ändern, ergäbe im Ergebnis kein anderes Zustimmungsverfahren.
Rein theoretisch wäre der Prozess noch sehr viel schwieriger, wenn „interessierte Länder“ aus der EU austreten und eine „neue EU“ gründen würden. Sie können beim Brexit gut sehen, wieviel hochkomplexe Sachverhalte und Übergangsreglungen in diesem Rahmen diskutiert werden müssen, auch wenn es hier vielleicht „nur“ um umfassende Finanzierungsfragen gehen würde.
Meines Erachtens führt aus pragmatischer Sicht kein Weg mehr an einer EU vorbei, die aus Gruppen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten beim europäischen Integrationsprozess besteht. Das ist natürlich keine optimale Weiterentwicklung der EU. Doch einige Mitgliedstaaten haben sich derart auf ihre nationale Sichtweise beschränkt, dass dies sich mittlerweile zum Nachteil bzw. zum Schaden der EU und des europäischen Gedankens entwickelt. Wenn die politische Führung in Europa und den Mitgliedstaaten sich nicht langsam darauf besinnt, ihre Zukunft in die Hand zu nehmen, werden wir uns marginalisieren.
Mit den besten Grüßen
Axel Voss