Frage an Axel Voss von Jens S. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Voss,
Die aktuelle Diskussion um Artikel 13 der EU Urheberrechtsreform hat eine ungeahnte Welle an Resonanz ausgelöst. Unter anderem eine Petition mit fast 5 Millionen Unterzeichnern, die damit weit vor allen anderen Petitionen lag. Sieht man mal von wenigen Lobby-Organisationen ab haben fast alle Experten sich gegen diese Filter ausgesprochen. Deshalb würde ich gerne von Ihnen wissen, wieso trotzdem eine Mehrheit für die EU-Urheberrechtsreform zustande gekommen ist, die von der überwältigen Anzahl der Experten und von einer extrem großen Anzahl der Wähler abgelehnt wird - insbesondere der Wähler die zu den Hauptnutzern der zukünftig regulierten Diensten zählt. Und Sie wissen, dass es sich nicht nur um die Konsumenten, sondern auch um die Schöpfer von Inhalten dieser Plattformen handelt.
Ich möchte hier nicht auf die inhaltliche Diskussion eingehen, die sie sicherlich ausführlich geführt haben - auch wenn sie sich hier der Diskussion ja beharrlich entziehen. Mir geht es vielmehr darum zu verstehen, wie die Entscheidung zustande gekommen ist.
Mit freundlichen Grüßen
J. S.
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für die Anfrage zur geplanten Reform des EU-Urheberrechts.
Da mich in den letzten Wochen mehrere tausend Anfragen zu dem Thema erhalten haben, ist es mir leider nicht möglich, diese Zuschriften und Fragen individuell zu beantworten. Hierfür bitte ich um Verständnis.
Sie finden hier ein aktuelles FAQ (Stand März 2019) zu den wichtigsten Fragen zum neuen Urheberrecht (Artikel 11 und 13).
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Informationen weitergeholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Axel Voss
Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Reform des Europäischen Urheberrechts
von Axel Voss MdEP
Stand: 05. März 2019
Die aktuelle Diskussion zur Reform des EU-Urheberrechts dreht sich vor allem um Artikel 13, bei dem es um die Haftung von kommerziellen Plattformen bei Urheberrechtsverstößen geht, und um Artikel 11, der die Rechte von Presseverlagen festlegen soll.
Artikel 13
Wie ist die gültige Rechtslage und warum ist eine Neuregelung notwendig?
Im Internet finden in sehr großen Mengen Urheberrechtsverstöße statt. In den letzten Jahren haben sich immer mehr Plattformen entwickelt, auf denen jeder Nutzer frei hochladen kann, was er möchte. Es darf aber schon heute nicht alles hochgeladen werden, denn viele Dinge, wie Musik oder Filme, sind urheberrechtlich geschützt, d.h. sie gehören Rechteinhabern. Solange diese Eigentümer nicht ihr Einverständnis gegeben haben, dürfen diese Werke aus urheberrechtlichen Gründen nicht ins Internet gestellt werden. Urheberrecht ist ein Eigentumsrecht wie jedes andere Eigentumsrecht. Es dient dazu, dass Künstler von ihren Werken leben können. Ohne das Urheberrecht würden viele Werke nicht existieren.
Bisher ist die Rechtslage so, dass im Falle eines Uploads von Musik ohne das Einverständnis des Eigentümers, derjenige haftbar ist, der den Upload vorgenommen hat. Dies sind also in der Praxis oftmals private Nutzer. Sie können und werden aus diesem Grund auch regelmäßig von den Rechteinhabern oder Abmahnanwälten verklagt.
Für die Künstler ist das eine schwierige Situation. Sie müssten jeden Nutzer kennen, um ihn belangen zu können, und oftmals bekommen sie von den Plattformen nicht die dazu notwendigen Informationen. Zudem ist der Schaden meist so hoch, dass ihn der Nutzer kaum bezahlen könnte. Wenn ein Werk dann einmal frei im Internet verfügbar ist, wird es meist sehr schnell verbreitet.
Was genau regelt Artikel 13?
Artikel 13 ändert diese Rechtslage, denn hier geht es hauptsächlich um die Durchsetzung des Urheberrechtes im digitalen Bereich. Anstatt jeden einzelnen Nutzer haftbar zu machen, sollen nun die Plattformen haften. Schließlich verdienen die Plattformen Geld an den Uploads - oft durch Werbeeinnahmen und/oder durch die Analyse der Daten. Die Plattformen müssen dann entweder eine Lizenz erwerben oder aber dafür sorgen, dass keine Inhalte ohne das Einverständnis des Eigentümers hochgeladen werden.
Wenn die Plattform weder eine Lizenz kauft, noch den Upload verhindert, kann der Eigentümer die Plattformen verklagen - anstatt gegen die privaten Nutzer vorzugehen.
Für wen soll der Artikel genau gelten? Welche Internetseiten sind davon betroffen?
In Artikel 2 der Richtlinie wird klar definiert, welche Plattformen für Urheberrechtsverstöße auf ihren Seiten haften sollen. Das sind nur solche, die ein Geschäft damit machen, dass Nutzer urheberrechtlich geschützte Inhalte hochladen können. Im Artikel 13 werden zudem Start-Ups und kleinere Unternehmen (s. nächste Frage) ausdrücklich geschützt, sie profitieren von einer Haftungserleichterung.
Es fallen folgende oder ähnliche Plattformen nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 13:
- nicht-kommerzielle Plattformen
- Wikipedia (oder ähnliche Plattformen)
- Open Source-Plattformen
- Plattformen, bei denen nur die Rechteinhaber selbst hochladen
- Dropbox (oder ähnliche Plattformen)
- Ebay (oder ähnliche Plattformen)
- Dating (oder ähnliche Plattformen)
Welche Ausnahmen gibt es für Start-Ups und kleinere Unternehmen?
Der Vorschlag sieht eine Haftungserleichterung für Start-Ups und kleine Unternehmen vor. Die Kriterien hierfür sind wie folgt:
- bis zu 10 Mio. Euro globaler Jahresumsatz und
- bis zu 5 Mio. monatliche individuelle Besucher (≠ Klicks) und
- Unternehmen, die nicht älter als 3 Jahre als sind
Die erleichterte Haftung dieser Plattformen beschränkt sich auf die Verpflichtung, eine Autorisierung zu erlangen und bereits auf den Webseiten erschienene Werke, auf Mitteilung des Rechteinhabers hin, von der Webseite zu entfernen.
Was hat es mit den so genannten Upload-Filtern in Art. 13 auf sich?
Upload-Filter sind im Text nicht enthalten. Im Text steht lediglich, dass die Plattformen nach industrieüblichen Standards größtmögliche Anstrengungen („best efforts“) unternehmen müssen, um nicht autorisierte Werke ausfindig zu machen. Diese „best efforts“ müssen zudem nur verhältnismäßig zur Plattformgröße, Besucherzahl und Menge der Werke stehen. Eine kleinere Plattform muss daher nicht dieselben Anstrengungen vornehmen, wie ein größeres Unternehmen.
Eine technologische Überprüfung durch Identifizierungssoftware ist aber auch nicht verboten, um die künstlerischen Werke zu erkennen, die nicht hochgeladen werden dürfen. Diese wird zwar gerne als „Upload-Filter“ bezeichnet, ist aber in der Sache nicht gleichbedeutend, weil diese nur auf die Daten reagiert, welche die Rechteinhaber vorher den Plattformen zur Verfügung gestellt haben. Es werden dann also auch nur diese Werke erkannt und nicht jeder Upload gefiltert.
Dürfen Memes noch ins Internet gestellt werden?
Einige Werke, die Nutzer hochladen wollen, sind zwar urheberechtlich geschützt, aber der Nutzer kann von einer so genannten Schrankenregelung profitieren, die ihm erlaubt, die geschützten Werke dennoch zu benutzen. Das ist zum Beispiel beim Zitatrecht oder der Parodiefreiheit der Fall.
Findet beispielsweise das Zitatrecht oder die Parodiefreiheit Anwendung, liegt kein Urheberrechtsverstoß vor und das Werk darf hochgeladen werden und muss dann von der Plattform auch akzeptiert werden. Diese Urheberrechtsschranken sind bisher europaweit nicht verpflichtend in jedem Mitgliedstaat.
In der Richtlinie wird nun für diese Möglichkeiten eine verpflichtende Umsetzung und damit Nutzungsmöglichkeit in den Mitgliedstaaten gefordert (z.B. Parodie, Zitat, Kritik, Review).
So genannte Memes, die von einer dieser Nutzungsmöglichkeiten gedeckt sind, dürfen in Zukunft in ganz Europa ins Internet gestellt werden - im Gegensatz zu heute, wo dies nicht in allen Mitgliedstaaten erlaubt ist.
Dürfen Videos von zum Beispiel Hochzeitsfeiern, Geburtstagen oder Reitturnieren noch ins Internet gestellt werden, wenn auf ihnen im Hintergrund Musik zu hören ist?
Das hängt von dem Einzelfall ab. Zum einen kommt es dabei auf die jeweilige Lizenzsituation seitens der Plattformen an. Zum anderen können solche Nutzungen ebenfalls von einer rechtlich zulässigen Ausnahme gedeckt sein. Wenn es keine Lizenz der Plattform gibt und wenn der Eigentümer der Musik auch nicht einverstanden ist, dass sein Werk ins Internet gestellt wird, dann muss auch das beachtet werden.
Dies gilt übrigens nicht nur für das Internet. So darf z.B. auch in Diskotheken, Bars und bei öffentlichen Veranstaltungen keine Musik gespielt werden, wenn der Eigentümer der Musik nicht einverstanden ist. In Deutschland läuft die Einverständniserteilung meist über die Verwertungsgesellschaft GEMA. Diese vertritt die Künstler und gibt das Einverständnis. Dafür bekommt sie Geld für die Nutzung der Musik, das sie dann an die Eigentümer weitergibt. Wieso sollten also Diskotheken, Bars, Vereine und Kaufhäuser zahlen müssen, Internetplattformen jedoch nicht?
Kann ein automatischer Filter überhaupt zwischen Zitatrecht und Urheberrechtsverstoß unterscheiden?
Die Erkennungssoftware sollte das natürlich können, das heißt die Plattformen sollten ihre Software so entwickeln, dass diese die Unterscheidung erkennen kann. Youtube benutzt im Übrigen seit vielen Jahren eine solche Software, sie heißt „Content ID“. Der hierdurch immer wieder prognostizierte Niedergang der Meinungsfreiheit oder eine Veränderung des Internets blieb aus, sodass sich durch die Reform insbesondere für die Nutzer nichts ändern wird. Doch auch schon heute passiert es, dass Youtube eine erlaubte Verwendung nicht erkennt - und auch heute schon kann der Nutzer sich beschweren.
Eine 100%tige Perfektion wird keiner erwarten können, weder der Nutzer noch die Plattformen oder die Rechteinhaber. Was man aber erwarten kann, ist eine sachliche und zielorientierte Verhaltensweise aller.
Sollte tatsächlich nicht erkannt werden, dass eine Ausnahme wie zum Beispiel die Zitierfreiheit, einem Nutzer den Upload erlauben würde, so steht dem Nutzer ein Beschwerdemechanismus zur Verfügung. In diesem muss dann geklärt werden, ob die Ausnahme im konkreten Fall Anwendung findet oder nicht. In diesem Rahmen muss eine Überprüfung durch einen Mitarbeiter vorgenommen werden.
Wird die Meinungsfreiheit durch Artikel 13 eingeschränkt?
Natürlich nicht! Das Grundrecht der Meinungsfreiheit wird nicht angetastet. Aber auch heute schon hört die Meinungsfreiheit da auf, wo das Eigentumsrecht (Urheberrecht) eines anderen anfängt und nicht alles ist unter dem Argument der Meinungsfreiheit erlaubt! Selbstverständlich ist von der Meinungsfreiheit nicht geschützt, Musik von anderen ins Internet zu stellen. Daran ändert Artikel 13 nichts. Mit Artikel 13 soll nur besser sichergestellt werden, dass das Eigentumsrecht (Urheberrecht) auch im Internet Anwendung findet.
Wird Youtube den Betrieb einstellen?
Nein, YouTube wird sicher nicht den Betrieb wegen Artikel 13 einstellen. YouTube als Unternehmen ist nicht begeistert über die Richtlinie, schließlich werden sie haftbar gemacht und die Rechteinhaber sollen von ihnen fairer vergütet werden. Youtube möchte nicht Lizenzen für Werke zahlen, die ihnen momentan einfach nur viel Geld einbringen.
Daher wiegeln Youtube und andere Plattformen seit Monaten die Nutzer auf und erklären, dass das freie Internet in Gefahr sei. Sie müssen sich als Unternehmer anders aufstellen und das kann nur von allen Beteiligten gewollt sein.
Verstößt die Richtlinie gegen den Koalitionsvertrag?
Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD werden die Ziele und Schwerpunkte der deutschen Bundesregierung und der Regierungskoalition in Berlin geregelt, die generell im Ministerrat der EU-Regierungen über europäische Gesetze mitentscheidet. Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass es keine verpflichtenden Upload-Filter geben soll, was ja auch im Richtlinienentwurf nicht vorgesehen ist.
Dagegen ist aber im Koalitionsvertrag festgeschrieben, die Rechte von Künstlern und Urhebern zu stärken.
Wie soll die Plattform in der Praxis bei der Vielzahl an urheberrechtsgeschützten Werken Lizenzen erhalten können? Soll es ein pauschales Lizensierungssystem geben?
Wie genau die Plattformen die Autorisierung der Rechteinhaber erlangen, bleibt ihnen überlassen. Die gängige Praxis ist, dass die Plattformen mit Verwertungsgesellschaften Verträge schließen, die eine Vielzahl von Rechteinhabern vertreten.
Artikel 11
Was genau regelt Artikel 11?
Artikel 11 führt ein neues Recht für Presseverleger ein. Dieses Recht gibt den Verlegern die Möglichkeit, Geld von den Plattformen zu verlangen, wenn diese ihre Erzeugnisse nutzen. Falls also eine Suchmaschine Presseartikel veröffentlichen und nicht nur verlinken möchte, so können die Verleger hierfür eine Bezahlung verlangen.
Dieses Recht ist für die Presseverleger wichtig, da ihre Artikel zurzeit oftmals verwendet werden, ohne dass ihnen hierfür etwas vergütet wird. So machen natürlich die Plattformen/Suchmaschinen Gewinne, da weniger Nutzer auf die eigentlichen Webseiten der Zeitungen gehen, und die Verleger dann auch kein Geld durch Werbung erhalten, die nach Klickzahlen vergütet wird.
Wenn die Presseverleger nicht mehr für ihre Arbeit entlohnt werden, ist unsere freie demokratische und unabhängige Presse in Gefahr.
Privatpersonen sind übrigens von der Richtlinie nicht betroffen. Sie können jederzeit für die privatrechtliche Nutzung Zeitungsartikel teilen.
Können bei Suchmaschinen / Plattformen noch Links zu den Zeitungsartikeln angezeigt werden?
Ja, Hyperlinks können die Suchmaschinen weiterhin kostenfrei verwenden, dafür können die Verleger kein Geld verlangen. Auch können einzelne Worte oder kurze Textausschnitte (Snippets) angezeigt werden. Dies wird in Artikel 11 ausdrücklich benannt.
Das Leistungsschutzrecht hat doch schon in Deutschland und Spanien nicht funktioniert?
Gerne wird argumentiert, in Deutschland und Spanien hätte das Presseverlegerrecht bisher nicht zufriedenstellend funktioniert, weil die Suchmaschinen anstatt zu zahlen, die Presseartikel gar nicht mehr auflisten. Das zeigt hingegen nur, dass selbst einzelne Länder von den Plattformen mittlerweile ignoriert werden können und dass sie nicht mehr auf der gewünschten Augenhöhe mit den Plattformen sind. Die Verlage brauchen deshalb eine einheitlich europarechtliche Grundlage und müssen zusammenstehen, damit sie überhaupt eine faire Vergütung von den großen Suchmaschinen erreichen können.