Frage an Axel Voss von Christian-Zsolt V. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Voss,
ich würde gerne Ihre Meinung bezüglich der aktuellen politischen Entwicklungen im EU-Mitgliedsland Ungarn erfahren. Ich beziehe mich nicht auf die rechtsradikale Partei Jobbik, sondern auf die Regierungspartei Fidesz, eine Schwesterpartei der CDU. Seit ihrem Wahlsieg im April/Mai 2010 hat diese mit der Ausnutzung ihrer 2/3 Mehrheit einige Gesetze verabschiedet, die an der demokratischen Überzeugung des Ministerpräsidenten Viktor Orbán´s und seiner Partei stark zweifeln lassen. Um nur einige zu nennen:
- die neuen repressiven und undemokratischen Mediengesetze
( http://www.osce.org/documents/rfm/2010/09/45942_en.pdf S. 5)
- die Entmachtung des Verfassungsgerichtes in allen Fragen, die das Budget, Steuern, Gebühren und Beiträge betreffen (sollte eigentlich schon als alleiniger Punkt reichen..)
-die Abschaffung des unabhängigen Steuerrates, der im Zuga seiner Aufgabe vor einer Budgetlücke durch die Steuerreform und zu optimistische Wachstums- wie Einnahmeprognosen warnte". Daraufhin wurde er abgeschafft. Aber Ungarn ist nicht das einzige Land, Venenzuela hat dies ebenfalls gemacht. (zitiert aus Pester Lloyd http://www.pesterlloyd.net/2010_47/47steuerrat/47steuerrat.html )
- die Rentenreform, bei welcher den Bürgern ein Wechsel von der privaten in die staatliche RV „nahegelegt“ wird,da sie sonst einen erheblichen Teil bisheriger Arbeitgeberbeiträge verlieren würden und in Zukunft keinen Anspruch mehr auf diesen hätten(der dann weiter vom Staat einkassiert wird)–Verstaatlichung von Privateigentum also.Das in den privaten Pensionsfonds angesparte Vermögen soll übrigens für gegenwärtige Ausgaben genutzt werden (z.B. Deckung Haushalt 2011).( http://de.reuters.com/article/economicsNews/idDEBEE6AP04G20101126 )
(Wie) Kann die EU auf so eine Entwicklung reagieren?Wie steht die CDU zu ihrer Schwesterpartei?Freuen Sie sich schon auf die ungarische Ratspräsidentschaft?
Für eine Antwort bedanke ich mich schon jetzt im Vorraus!
Lg,
CZV
Sehr geehrter Herr Varga,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 26.11.2010 und Ihrem darin zum Ausdruck gebrachten Interesse an den Entwicklungen in Ungarn seit der letzten Parlamentswahl im April 2010 und damit verbunden insbesondere an Demokratie- und Bürgerrechten in der Europäischen Union.
Zunächst einmal bitte ich, meine verspätete Antwort auf Ihre Frage zu entschuldigen. Generell bin ich bemüht, die Anfragen der Bürger zeitnah zu beantworten. Leider ist mir dies in Ihrem Fall überhaupt nicht gelungen, Ihre Anfrage ist mir bei den täglich sehr vielen E-Mails leider durchgegangen. Ich bitte Sie daher bezüglich meiner Verspätung um Nachsicht.
Sie sprechen mehrere Aspekte an, die bei Ihnen Bedenken auslösen. Dazu zählen die Änderung des ungarischen Mediengesetzes, welches Anfang 2011 in Kraft getreten ist, die Entmachtung des Verfassungsgerichtes, die Abschaffung des unabhängigen Steuerrates und die Rentenreform, in dessen Zusammenhang Sie die Verstaatlichung von Privateigentum ansprechen. Jüngst kam es zum in Kraft treten der neuen ungarischen Verfassung. Ich nehme Ihre Bedenken sehr ernst und möchte im Folgenden Stellung zu den Reaktionsmöglichkeiten der Europäischen Union in diesem Zusammenhang nehmen.
In jüngster Vergangenheit gab es einige Reaktionen seitens der Europäischen Union, die den Inhalt Ihrer Frage tangieren. Aus diesem Grund möchte ich die Antwort auf Ihre Anfrage durch Ausführungen zu den jüngsten Entwicklungen in Ungarn ergänzen.
Zunächst möchte ich festhalten, dass die Regierung in Ungarn durch das ungarische Volk in demokratischer Weise gewählt wurde und somit ordentlich legitimiert ist. Durch diese Legitimation kann die Regierung in Ungarn gesetzgeberisch tätig werden. Der Erlass von Gesetzen, sowie die Änderung der Verfassung und staatsorganisatorische Anpassungen sind eine nationale Angelegenheit des Mitgliedsstaats selbst. Ihre Grenze findet die mitgliedsstaatliche Kompetenzausübung allerdings in einem Verstoß gegen geltendes Unionsrecht. Die Mitgliedsstaaten werden von der Europäischen Kommission als "Hüterin der Verträge" bezüglich ihrer Vertragstreue kontrolliert. Daher sind die Möglichkeiten der Europäischen Union grundsätzlich limitiert.
Dies bedeutet nicht, dass Europäische Institutionen diesem Thema keine Aufmerksamkeit schenken. Die Entwicklungen um Ungarn wurden von Beginn an ernst genommen und intensiv beraten.
Bereits Anfang 2011 äußerte die Kommission der ungarischen Regierung gegenüber deutlich Ihre Bedenken, wies auf mutmaßlich eingeschränkte Rechte hin und verlangte konkrete Änderungen.
Auch das Europäische Parlament hat im Bezug auf die Änderungen im ungarischen Mediengesetz deutlich gemacht, dass es die Einschränkungen der journalistischen Freiheiten als höchst bedenklich einstuft. In einem Entschließungsantrag vom Februar 2011 wurde diese Position nochmals verdeutlicht. Dies zeigte in der Folge Wirkung: Bereits im März 2011 beschloss das ungarische Parlament eine Änderung des Mediengesetzes, in der zentrale Forderungen berücksichtigt wurden. Somit haben sich Einsatz und Engagement des Europäischen Parlamentes und der Europäischen Kommission sehr schnell ausgezahlt. Überdies hatte sich in diesem Punkt die Zusage des ungarischen Regierungschefs bestätigt, von der Kommission verlangte Änderungen auch umzusetzen.
Aktuell wird das Thema Ungarn auf europäischer Ebene wieder thematisiert. Im Januar diesen Jahres trat die neue ungarische Verfassung in Kraft. Die Europäischen Institutionen verfolgen die Entwicklungen aufmerksam. In der Plenarsitzung vom 17. Januar in Straßburg leitete die Europäische Kommission drei Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein, da sie in drei Bereichen der ungarischen Gesetzesnovelle einen Verstoß gegen geltendes EU-Recht sieht. Diese Bedenken bezüglich der ungarischen Vertragstreue belaufen sich auf die Unabhängigkeit der ungarischen Datenschutzbehörde, die Unabhängigkeit der Justiz, in Form einer Senkung des Pensionseintrittsalters für Richter und Staatsanwälte und die Unabhängigkeit der Zentralbank in Ungarn. Auch Kommissions-Vizepräsidentin und EU-Justizkommissarin Viviane Reding erklärte in diesem Zusammenhang wiederholt Ihre Bedenken bezüglich der Vereinbarkeit mit geltendem EU-Recht.
Neben diesen Anstrengungen der Europäischen Kommission, verabschiedete das Europäische Parlament in der vergangenen Woche einen Entschließungsantrag, den Sie auf der Homepage des Europäischen Parlamentes einsehen können. Sie erreichen den Entschließungsantrag konkret unter dem folgenden Link:
Aufgrund der aktuellen Ereignisse wird das Thema Ungarn in nächster Zeit voraussichtlich verstärkt Thema im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlaments sein. Aktuelle Informationen dazu erhalten die auf der Homepage des Europäischen Parlaments ( http://www.europarl.europa.eu/ ). Dort finden Sie Tagesordnungen zu den Sitzungen und können den Verlauf der Ausschusssitzung live im dafür vorgesehenen Webstream verfolgen oder auch im Nachhinein in der Mediathek des Europäischen Parlaments ansehen.
Abschließend möchte ich noch auf Ihre Frage eingehen, wie die CDU zu Ihrer Schwesterpartei steht. Ich interpretiere Ihre Frage dahingehend, dass Sie meine persönliche Meinung als Abgeordneter und Mitglied der EVP-Fraktion interessiert und Sie mit der Schwesterpartei die ungarische Fidesz-Partei mit Ihrem Vorsitzenden Victor Orbán meinen, die wie die CDU/CSU der EVP-Fraktion angehört.
Wir genießen auf europäischer Ebene innerhalb der Fraktion eine gute Zusammenarbeit mit der Fidesz-Partei und sehen derzeit keine Veranlassung diese Zusammenarbeit in Frage zu stellen, solange diese sich den allgemeinen europäischen Grundsätzen gegenüber, wie Meinungs- und Pressefreiheit oder der Freiheit des Einzelnen konform verhält. Die ungarischen Kollegen vermitteln uns in der Sache nicht den Eindruck, den die Medien und die ungarische Opposition immer wieder darstellen. Darüber hinaus bleibt festzuhalten, dass die ungarische Regierung gegenüber den Europäischen Institutionen immer gesprächsoffen gezeigt hat und die resultierende Kritik stets in ernster Weise angenommen hat.
Deshalb ist für mich die Vereinbarkeit der nun vorliegenden Verfassung mit den europäischen Grundsätzen mehr eine rechtliche Frage geworden und hierbei verlasse ich mich sowohl auf die Kommission als auch auf den Europäischen Gerichtshof. Die ideologische Auseinandersetzung ist zwar politisch verständlich, aber in Rechtsfragen nicht zielführend.
Sie sehen, die Europäischen Institutionen sind sich Ihrer Verantwortung für eine freiheitlich-demokratische Ordnung bewusst. Ich freue mich sehr darüber, dass auch Sie aktiv für die europäischen Grundsätze einstehen. Ich hoffe, Ihnen mit meiner verspäteten Antwort meine Position ausreichend erläutert zu haben und möchte mich hinsichtlich der verspäteten Antwort nochmals entschuldigen.
Mit freundlichen Grüßen
Axel Voss