Frage an Armin Schuster von Jürgen B. bezüglich Recht
Warum nehmen wir nicht endlich die Flüchtlinge auf? Warum gehen wir nicht mutig voran und zeigen Mitgefühl und Menschlichkeit?
Sehr geehrter Herr B.,
vielen Dank für Ihre Stellungnahme vom 10. September 2020, in der Sie die Situation der Asylsuchenden auf der Insel Lesbos thematisieren.
Nach den Vorfällen in der Unterkunft für Asylsuchende auf der Insel Lesbos hat die Bundesregierung am 15. September beschlossen, einen Beitrag zur Linderung der humanitären Notlage zu leisten und der griechischen Regierung anzubieten, 408 Familien mit insgesamt 1553 Personen in die Bundesrepublik Deutschland zu überstellen. Dabei handelt es sich um Personen, die in Griechenland bereits als schutzbedürftig anerkannt waren und trotzdem noch in der Aufnahmeeinrichtung in Moria leben mussten. Ich möchte darauf hinweisen, dass dies eine rein exekutive Entscheidung ist; die Union trägt diese als Fraktion einmalig mit. Deutschland steht jedoch auch davon abgesehen bei der Übernahme von Flüchtlingen und Migranten von den griechischen Inseln sowie generell in Bezug auf die Aufnahme von Asylbewerbern in der europäischen Gemeinschaft klar an der Spitze. Allein seit 2015 wurden in Deutschland rund 1.73 Millionen Asylanträge gestellt. Im Jahr 2016 haben wir dabei mehr Asylsuchende aufgenommen als alle anderen 27 EU-Staaten zusammen. Dazu kommen die andauernden Resettlement- und humanitären Aufnahmeprogramme. Auch weltweit befindet sich Deutschland laut dem „Global Trends: Forced Displacement in 2019“ Report des UNHCR auf Platz drei in der Liste der größten Aufnahmeländer für Flüchtlinge und Asylbewerbern. Es kann also nicht behauptet werden, dass wir wegschauen und unserer humanitären Verantwortung nicht gerecht werden.
Bei allen Bemühungen zur Entlastung Griechenlands durch die Übernahmen von Migranten und Flüchtlingen müssen wir jedoch auch beachten, dass wir damit kein falsches Signal senden, dass Deutschland allein die vorherrschenden humanitären Probleme lösen und abstellen kann. Vor diesem Hintergrund begrüßt die Unionsfraktion, dass Griechenland zunächst nur die Umsiedlung von anerkannten Asylberechtigten gestattet; gleichwohl gilt es nun jedoch die auf Lesbos zu errichtenden neuen Aufnahmeeinrichtung in Kara Tepe schnellstmöglich handlungsfähig zu machen, um den Asylbewerbern ein schnelles Verfahren zu ermöglichen.
Nicht vergessen werden sollte, dass die Bundesregierung sich bereits seit Jahren intensiv darum bemüht, die griechischen Partner zu unterstützen, damit die Unterbringung von Schutzsuchenden menschenwürdigen Bedingungen entspricht und die Asylverfahren schnell und angemessen durchgeführt werden. Dazu gehören neben personeller, technischer und finanzieller Unterstützung der Verwaltungsstrukturen, insbesondere im Asylbereich, auch die Lieferung diverser angeforderter Sachleistungen und Hilfsgüter. Bereits im Dezember 2019 waren deutsche Hilfsgüter im Wert von 1,56 Mio. Euro nach Athen geliefert worden und Deutschland leistete schon im März 2020 im Rahmen des EU-Katastrophenschutzverfahrens Soforthilfe mit Hilfsgütern im Wert von weiteren 2,4 Mio. Euro. In Reaktion auf den Brand auf Lesbos hat Deutschland zusätzlich unverzüglich Schritte in die Wege geleitet, um den akuten Bedarf an Hilfsgütern mit abzudecken; über das THW wurden vier Konvois organisiert, die beispielsweise mit Zelten, Schlafsäcken, Kochsets oder Sanitärcontainern bereits in Griechenland angekommen sind beziehungsweise sich aktuell auf dem Weg dorthin befinden.
Darüber hinaus hat die Europäische Kommission angekündigt, den von ihr schon lange erwarteten Migrationspakt nunmehr Ende September vorzulegen. Wir werden uns mit Nachdruck während der laufenden EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands, aber auch danach, dafür einsetzen, dass sich die Mitgliedsstaaten der EU auf eine Reform des Europäischen Asylsystems einigen, die den enormen Anforderungen der humanitären Notlage gerecht wird und auch verhindert, dass die EU-Staaten an der Außengrenze weiter überfordert werden.
Die letzten Jahre, in denen Deutschland im europäischen Vergleich deutlich überproportional von Asylzuwanderung betroffen war, zeigen, dass es in der EU eines zukunftsfähigen europäischen Asylsystems bedarf, welches Sekundärmigration verhindert und die Aufnahmekapazität der Staaten Europas berücksichtigt. Angesichts der umfassenden Herausforderung durch das Thema Migration und Flucht in einem Europa ohne Binnengrenzen ist ein gemeinsames europäisches Vorgehen zwingend erforderlich. Nationale Alleingänge können nie mehr als ein Stückwerk sein, mit der keine nachhaltige Lösung des Problems erreicht wird. Die EU und Deutschland stehen zu ihren humanitären Verpflichtungen; eine faire Verteilung der damit verbundenen Lasten sowie die Möglichkeit, schon frühzeitig, d.h. bereits an der EU-Außengrenze, zwischen den wirklich Schutzbedürftigen und Personen ohne Schutzbedarf zu differenzieren, müssen jedoch meiner Meinung nach zwingend dazugehören, wenn die Akzeptanz der humanitären Grundhaltung erhalten werden soll.
Ich hoffe, dass ich damit hinreichend auf Ihre Anfrage eingehen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Armin Schuster