Frage an Armin Schuster von Edgar F. bezüglich Soziale Sicherung
Warum sind die Leistungen nach § 3 Absatz 1 Nr. 1 Asylbewerberleistungsgesetz für in Sammelunterkünften untergebrachte Asylbewerber höher als die entsprechenden Leistungen für in Pflegeheimen untergebrachte Sozialhilfebezieher nach § 27b Absatz 2 Satz 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Ich verweise diesbezüglich auf den Anhang I Nr. 5 der Richtlinie 2013/33/EU.
Sehr geehrter Herr F.,
vielen Dank für Ihre Frage vom 4. August 2017 zum Vergleich von Bargeldleistungen für Asylbewerberleistungsberechtigte und in Pflegeheimen untergebrachte Sozialhilfebezieher. Ich möchte Ihnen im Folgenden die Grundlagen für die beiden Leistungen detailliert auseinandersetzen.
Bei Leistungen zur Bestreitung des existenzsichernden Lebensunterhalts führt ein Vergleich von Geldbeträgen nur dann zu einer vertretbaren Aussage, wenn jeweils die Gesamtleistung und nicht nur eine Teilleistung betrachtet wird. Sowohl beim Barbetrag nach § 27b Abs. 2 SGB XII als auch beim Barbetrag nach § 3 Abs. 1 S. 4, 8 AsylbLG ergibt sich die Gesamtleistung zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts aus Sachleistungen und der jeweiligen Geldleistung. Dies ist auch deshalb von Bedeutung, weil bei den beiden hier betrachteten Anwendungsfällen gleichermaßen die Sachleistung die dominierende Funktion hat, die Geldleistung hingegen eine ergänzende Funktion. Folglich kann die Höhe der Geldleistung nicht isoliert gesehen werden. Zudem muss berücksichtigt werden, ob es sich bei dem für eine Geldleistung genannten Betrag um einen Höchstbetrag oder um einen in seiner Höhe von den Besonderheiten des Einzelfalls abhängigen Betrag handelt.
Asylbewerberleistungsberechtigte erhalten zumindest in den ersten 15 Monaten ihres Aufenthalts im Bundesgebiet Leistungen nach § 3 AsylbLG, dieser Anspruch beschränkt sich auf sogenannte Grundleistungen. Die Grundleistungen decken dabei den notwendigen Bedarf und den notwendigen persönlichen Bedarf eines Leistungsberechtigten ab. Der notwendige Bedarf umfasst die Bedarfe für Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Haushaltsgüter. In Aufnahmeeinrichtungen kann er entweder bevorzugt durch Sachleistungen gedeckt werden oder durch einen Auszahlungsbetrag von 219 EUR für einen erwachsenen, alleinstehenden Leistungsberechtigten. Der zusätzlich vorgesehene notwendige persönliche Bedarf umfasst etwa Verkehrsdienstleistungen oder Kultur-, Freizeit- und Bildungsangebote. Diese Bedarfe sind möglichst durch Sachleistungen zu decken (§ 3 Abs. 1 S. 5 und 6 AsylbLG). Daher ist der angesetzte Betrag von 135 EUR nur als Maximalbetrag zu verstehen, wenn Sachleistungen nicht möglich sind. Bei anteiliger Sachleistungsgewährung kann der Geldbetrag theoretisch bis auf null reduziert werden.
Wie sich die Höhe des Bargeldbetrags für Asylbewerberleistungsberechtigte in Erstaufnahmeeinrichtungen in den unterschiedlichen Bundesländern unterscheidet, lässt sich nach der Reform des AsylbLG im Oktober 2015 nur im Einzelfall feststellen.
Für stationär untergebrachte Leistungsberechtigte beträgt der Barbetrag zur persönlichen Verfügung nach § 27b Abs. 2 SGB XII im Jahr 2017 monatlich 110,43 EUR, also 27 % der Regelbedarfsstufe 1. Von der stationären Einrichtung wird der überwiegende Anteil des notwendigen Lebensunterhalts durch Sachleistungen gedeckt.
Der Barbetrag hat die Funktion, dass die Leistungsberechtigten ergänzend zu den von der stationären Einrichtung gedeckten Bedarfe für kleinere Bedarfe des Alltags einen Geldbetrag zur Verfügung haben, mit dem sie eigenverantwortlich umgehen können. Der genannte Barbetrag ist in § 27b Abs. 2 SGB XII nur der Mindesthöhe nach geregelt - soweit eine stationäre Einrichtung konkrete und im Einzelfall erforderliche Bedarfe nicht deckt, ist der Barbetrag entsprechend zu erhöhen.
Maßgeblich für die Höhe des Barbetrags nach dem AsylbLG ist die Verwaltungspraxis vor Ort. Denn die Höhe der Leistungssätze im AsylbLG basiert im Wesentlichen darauf, welche Bedarfe zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse (Verkehrsdienstleistungen, Nachrichtenübermittlung, Kultur-, Freizeit- und Bildungsangebote, Beherbergungs- und Gaststätten- und sonstige Dienstleistungen) die Erstaufnahmeeinrichtungen als Sach- oder Geldleistungen erbringen. Dies können mehr, aber auch weniger Leistungen sein als in stationären Einrichtungen. Abhängig davon erhalten die Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG ggf. einen höheren oder auch einen deutlich niedrigeren Bargeldbetrag als Leistungsberechtigte in stationären Einrichtungen nach dem SGB XII, weil auch die nach beiden Gesetzen gewährten Sachleistungen voneinander abweichen.
Der Gesetzgeber darf bei der Frage, in welcher Form die Leistungen zur Deckung lebensnotwendiger Bedarfe zu erbringen sind, nach sachgerechten Kriterien unterscheiden. Dabei darf er insbesondere berücksichtigen, dass Leistungsberechtigte je nach Art ihrer Unterbringung und Umfang ihrer Mobilität faktisch einen unterschiedlichen Zugang zu den vielfältigen Möglichkeiten der Bedarfsdeckung haben. Sind Asylbewerberleistungsberechtige typischerweise an ihrem jeweiligen Aufenthaltsort mobil und stehen ihnen damit uneingeschränkt alle Angebote zur individuellen Bedarfsdeckung offen, so liegt es nahe, nur diejenigen Bedarfe aus dem Bargeldbedarf herauszurechnen, die regelmäßig von den Aufnahmeeinrichtungen erbracht werden.
Demgegenüber darf der Gesetzgeber bei Personen, die aufgrund ihrer persönlichen Einschränkungen in stationären Einrichtungen untergebracht sind und deren Existenzminimum von der stationären Einrichtung bereits weitestgehend gedeckt wird, einen geringeren Bargeldbetrag als Mindestbetrag zur Deckung individueller Bedürfnisse zur Verfügung stellen. Der Barbetrag berücksichtigt dabei auch, dass stationär untergebrachten Leistungsberechtigten aufgrund ihrer begrenzten Mobilität nur eingeschränkt kostenpflichtige Angebote zur Bedarfsdeckung tatsächlich zur Verfügung stehen. Es wird also davon ausgegangen, dass stationär untergebrachte Leistungsberechtigte in deutlich geringerem Maße Bedarf an Geldleistungen etwa für Verkehr, Nachrichtenübermittlung, Gaststätten- und Beherbergungs- oder sonstigen Dienstleistungen haben, da meistens die entsprechenden Bedarfe durch Angebote der stationären Einrichtung abgedeckt werden.
Der Gesetzgeber hat damit bei der unterschiedlichen Ausgestaltung des Bargeldbedarfs für Asylbewerberleistungsberechtigte in Aufnahmeeinrichtungen und für Leistungsberechtigte nach dem SGB XII in stationären Einrichtungen von seinem Ermessenspielraum Gebrauch gemacht, ohne sich von sachfremden Erwägungen leiten zu lassen. Er hat die unterschiedlichen Lebenssituationen, Möglichkeiten und Fähigkeiten der jeweiligen Personengruppen gewürdigt und sieht deshalb unterschiedliche Formen der Leistungserbringung vor.
Abschließend möchte ich erwähnen, dass sich die Union bei der Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes im Jahr 2015 dafür stark gemacht hat, dass Sachleistungen in den Erstaufnahmeeinrichtungen vor Geldleistungen gewährt werden. Letztlich war es in Abstimmung des Gesetzentwurfs mit den Bundesländern nur möglich, eine optionale Regelung festzuschreiben, nicht aber einen gänzlichen Verzicht auf Geldleistungen.
Ich hoffe, Ihnen mit meinen Ausführungen weitergeholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Armin Schuster MdB