Aris Christidis
DIE LINKE
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Frage von Philippe L. •

Frage an Aris Christidis von Philippe L. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Prof. Christides

Zugegeben, dies ist wahrscheinlich eine Frage, die sie bisher sicherlich nicht wirklich berührt hat, für mich aber und ich denke doch auch für das Land eine gewisse Wichtigkeit hat.
Eines der Probleme in der Gesundheit ist nicht nur die Bezahlung des Systems, sondern auch wer in Zukunft darin arbeiten soll.
Wie sie hoffentlich wissen, ist für ärztliche Berufsanfänger das Ausland mehr als eine Alternative geworden (In meinem Jahrgang ca. 20% mit Gedanken daran, mich eingeschlossen). Verständlich nach 6 Jahren Studium mit kaum Praxis dafür viel Frondienst und nicht vorhandener Vergütung. Die Folgen: In Gießen werden sie Stationen finden, in denen es schwierig ist, vernünftig auf Deutsch eine Übergabe zu machen. In manchen Landstrichen Deutschlands sind Hausärzte rar und so manche Klinik kriegt ihre offenen Stellen nicht mehr besetzt.
Was ist Ihre Position zu Arbeitszeitregelung, PJ-Bezahlung und Verbesserung des Studiums. Oder sollen, ähnlich wie in anderen Ländern, Pflichtjahre nach dem Studium eingeführt werden, um den Nachwuchs im Lande zu halten?

P.S.: Um das Vorurteil vieler Ihrer Kollegen quer durch alle Fraktionen vorzubeugen, mir geht es nicht darum, nach drei Jahren Autos aus Zuffenhausen vor der Haustür zu haben. Mir geht es um die derzeitigen Zustände, sowie deren Verbesserung oder Verschlimmerung.

Mit freundlichen Grüßen
Philippe Lasser
cand.med

Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Lasser,

auf die Gefahr, daß es sich so liest, als wollte ich Ihnen nach dem Mund reden:
Ihre Fakultat ist zwar nicht die meine, aber ich bin sehr wohl sensibilisiert für Ihre Probleme und war vor kurzem solidarisch mit Ihren protestierenden Kollegen. Zum Teil liegt es daran, daß einige Freunde von mir Medizin studierten, als ich mich fürs Ingenieurstudium entschied, so war ich über einige Zeit auf dem Laufenden. Insofern brauchen Sie bei mir nicht den verbreiteten Vorurteilen entgegenzuwirken, ich bin selbst (als "Prof.") mit solchen Vorurteilen konfrontiert, auch, wenn es etliche (aufgestiegene) Arbeiter gibt, die höhere Bezüge und deutlich höheres Lebenseinkommen haben als ich. Zudem bin ich selbst ein "Bildungs-Emigrant", auch wenn meine Emigration (aus GR) 34 Jahre zurückliegt. Die Zustände und die Probleme wiederholen sich.

Ich antworte Ihnen im Grundsätzlichen, weil mir (naturgemäß) die konkrete Fortführung der Diskussion nicht gegenwärtig ist - und zuvor auch aus der Presse, also nicht aus erster Hand vertraut:
Daß (insb.) junge Mediziner mindestens teilweise unter unmenschlichen Bedingungen arbeiten müssen, brauche ich nicht persönlich (auch über die o.a Freunde) zu bestätigen, das haben wir inzwischen - quasi: "mit EU-Siegel" bescheinigt bekommen; daß ich mich für die Belange dieser Beschäftigten einsetzen muß, versteht sich für mich von selbst - nicht, weil ich lieber wäre als andere Menschen bzw. Kandidaten, sondern, weil ich Ihre Probleme als die meinen ansehe (Studium, Arbeit im Lehrbetrieb, Lohnarbeit, ...), was offenbar nicht alle in der Politik Tätigen verbindet.

Ich habe für meine Promotion jahrelang (als fertiger Dipl.-Ing.) mit einer Vergütung unterhalb des damaligen BAFöG-Satzes gearbeitet - und, na gut, jeder zieht seine eigene Lehre aus seinen Erfahrungen. Meine ist die, daß ich Pflichtjahre nur als Reaktion auf eine ("nachsintflutliche") Unterversorgung des Landes für vertretbar halte. Sonst kommt für mich nur eine tarifliche Absicherung in Betracht. Ältere Protestschreiben in dieser Richtung finden Sie auch auf meiner Homepage, z.B. unter http://homepages.fh-giessen.de/~hg11237/Start/03Polis/01Brief/Brief0402.htm , worin ich gegen Vorschläge des Wissenschaftsrates (und ver.di!) protestiere, wiss. Angestellte m.E. schlechter zu stellen (was zugegeben nicht exakt Ihre Situation wiedergibt, aber m.E. tangiert). Weitere inzwischen verschickte Schreiben kommen in den nächsten Tagen hinzu, wenn ich die Homp. aktualisiere.

Ob Lehrlinge, Studenten oder Arbeitnehmer - für mich stellen alle ihre "Bereitschaft" (sic!), ihre Motivation und ihre Arbeitskraft in den "Dienst" (sic!) des (wie auch immer definierten) Gemeinwohls zur Verfügung, sie gehören also geachtet und geschützt. Nicht Studiengebühren, sondern Studienvergütung sollte es geben, und es ist nicht tolerierbar, daß errungene (Arbeits-)Rechte außer Kraft gesetzt werden.

Und hier muß ich wohl ein letztes Wort bzgl. der von Ihnen angesprochenen Vorurteile verlieren: Diese sind ja nicht unabhängig von dem Bild der "Götter in Weiß", das die Bevölkerung oft hat. M.E. hängt es stark mit einigen übermächtigen Medizinern und das wiederum mit der vertikalen Hierarchie, die bei Medizinern m.W. viel eher herrscht als bei Ingenieuren und Informatikern. Damit will ich sagen, daß ich sowohl die Ausbeutung junger Mediziner als auch die Vorurteile in der Bevölkerung großteils als Ergebnis der mangelnden Mitbestimmung im Gesundheitswesen und an der Universitäten ansehe; und darin sehe ich eine weitere wichtige Aufgabe für uns. Denn "die Mediziner" selbst haften evtl. für die politische Passivität in ihren Reihen; aber die Änderung der Verhältnisse (auch, wenn sie auf der Straße erkämpft wird) muß sich schließlich in den Parlamenten bzw. in den Gesetzen niederschlagen.

Ich denke, daß ich Ihnen damit meine Haltung zu Ihren Problemen erläutert habe.

Beste Grüße
A. Christidis