Frage an Aris Christidis von Jost E. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Hr. Aristides,
die Partei, für die Sie kandidieren, wirbt im Wahlkampf mit einem Plakat, auf dem Oscar Lafontaine Victor Hugo zitiert: "Nichts ist mächtiger als eine Idee, als eine Idee, deren Zeit gekommen ist". Können Sie vielleicht erklären, um welche Idee, deren Zeit anscheinend jetzt gekommen sein ist, es sich da jetzt handeln soll?
Mit freundlichen Grüßen,
Jost Eberbach
Verehrter Herr Eberbach,
zunächst die kurze Antwort:
Ich bin nicht der Exeget des Herrn Lafontaine. Zu Ihrem Unglück: Herr Lafontaine ist weiterhin am Leben, Sie können ihn selbst fragen, was er meint mit "Nichts ist mächtiger als eine Idee, als eine Idee, deren Zeit gekommen ist".
Die lange Antwort (mein "Unglück"): Ich kann mit der Aussage viel anfangen. Mir persönlich sagt sie folgendes (auf die Gefahr, daß Herr Lafontaine es gar nicht so genau wissen wollte):
Wir erleben in Deutschland seit gut 150 Jahren den Liberalismus, aber erst seit ca. 15 Jahren den Neo-Liberalismus (in Chile sorgte die deutschstämmige Colonia Dignidad schon vor 30 Jahren für sehr einprägsame Eindrücke dessen, was uns mit dem Neo-Liberalismus noch bevorsteht). Dazu gehört z.B., daß auf dem aktuellen Weltjugendtag die mit einem Fisch erfolgte Sättigung (OK, ertappt - will sagen: Speisung) der 10.000 hierzulande "normal" erscheint, während es nicht gelingt, die Kinder jener, die z.B. in der Gastronomie Überbleibsel entsorgen, satt zu bekommen (mit Spielzeug, Büchern, Lehrern, Kindertheater, Klavierunterricht etc.). Dies war aber wundersamerweise im "Wirtschaftswunder" möglich, obwohl es damals nur ein Viertel des heutigen BIP (Bruttoinlandsprodukts) gab - konkreter: Damals war jedes 70. Kind arm, heute ist es jedes 7. - obwohl es viermal so viel "Fisch" gibt. Und (Fisch-) Milliardäre gibt es auch.
Das läßt viele staunen, andere wiederum sich ärgern. Und nun ist der Zeitpunkt gekommen, da sich so viele ärgern, daß etwas Neues passiert; denn der Ärger (und die damit verbundene Idee) ist nun reif und läßt viele anders handeln als bisher.
Die Denkaufgabe lautet nun: Was tun viele anders als bisher? Und warum?
Verehrter Herr Eberbach,
ich fürchte, die Aufgabe ist noch viel zu schwer für Sie. Sie sollten evtl. mit einer Anfrage bei Herrn Lafontaine anfangen, dann diese meine Antwort nochmal in aller Gemütsruhe durchlesen und schließlich die verbliebenen Fragen an mich richten. Und vor allem niemals verzweifeln, daß alles so schwer ist.
Mit aller Freude auf die zukünftigen Fragen
Aris Christidis
(nicht zu verwechseln mit Aristides bzw. Aristidis dem Gerechten - oder doch?)