Aris Christidis
DIE LINKE
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Aris Christidis zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Edith M. •

Frage an Aris Christidis von Edith M. bezüglich Bildung und Erziehung

Lieber Kandidat,

die Studiensituation wird zunehmend schwieriger, überfüllte Räume und zu wenige Dozenten, ganz zu schweigen von Seminaren, an welchen man nicht teilnehmen kann, weil sie bereits 2 h nach dem Anmeldungsstart voll sind, prägen das Bild der Universität Giessen.
Ihre Wahlprogramme habe ich gelesen. Leider sind sie so allgemein gefasst, dass die Frage offen bleibt, wie Sie bzw. Ihre Partei diese Missstände beheben möchten.
Die Frage lautet nun:
Was werden Sie unternehmen, falls wie gewählt werden, um diese Missstände zu beheben?

Antwort von
DIE LINKE

Liebe Edith Mallek,

ich antworte auf Ihre Frage bedauerlicherweise mit Verzögerung, da ich bis vor ein paar Stunden verreist war:

Die Probleme, die Sie ansprechen, sind mir seit meiner eigener Studienzeit (bis Ende der 70er) bekannt und bewußt; in der Politik jener Zeit sehe ich auch ihre Ursprünge - quasi als "nachlassende Wirkung" nach den "68ern".

Um es vorwegzunehmen:
Ich halte alle von Ihnen angesprochenen Probleme für lösbar und für häßliche, vollkommen unnötige Schikanen für Lehrende und Lernende. Weder an Lösungsvorschlägen noch an Geld mangelt es in der deutschen Gesellschaft, sondern (seit ca. 25 Jahren) lediglich am politischen Willen (und an Druck von unten). Wenn kein Umsteuern eingeleitet wird, erwarte ich zudem, daß zwei heute schon gegebene Hürden in spätestens 10 Jahren kaum noch zu überwinden sein werden; das wären:

- Mangel an "Humankapital" (d.h.: Fehlen ausreichend vieler, ausreichend gut qualifizierter Menschen) und

- Verlust des Anschlusses an internationale, zeitgemäße Standards für Lehre und Forschung.

Beides halte ich (im Vergleich zu Ihren Klagen) für die noch schlimmeren Mißstände, weil sie die gesamte Gesellschaft (z.B. auch "bildungsferne" Schichten) betreffen. Sie sind m.E. durch eine rücksichtslose Gewinnorientierung entstanden, und ihre Bewältigung wird sich nicht beliebig lange aufschieben lassen. (Plakativ gesprochen: Wenn einmal die Schulpflicht abgeschafft wird, können wir eine ganze Generation lang warten, bis die Auswirkungen aufgehoben sind.) Was die Scheinlösung "Greencard" taugt, wissen wir bereits (8.000 Zusagen nach jahrelanger Anwerbung von 40.000 "Einheiten"), eine massenhafte Verschiebung von Fachkräften innerhalb der EU durch Karriere-Versprechen wird sicherlich ohne meine Beteiligung laufen (ich bin vor über 30 Jahren "zu Studienzwecken" aus GR eingereist)...

Natürlich erkenne ich auch solche Widrigkeiten in der Bildungspolitik, deren Schaden nicht so langfristig (und daher leichter zu beheben) ist; dazu zählen dreierlei:

- Die (m.E. nicht vertretbare) gesetzliche Abschaffung der Parität zwischen Professorenschaft und "Rest" (Studentenschaft, nichtwiss. Angestellte); die Abschaffung der verfaßten Studentenschaft und der Entzug des politischen Mandats. Für eine Korrektur sollte man sich unbedingt einsetzen - erst recht als MdB!

- Die von der Politik jahrzehntelang gepflegte Geisteshaltung (auch Teil der "geistig moralischen Wende" H. Kohls), menschennahe ("linke") Forderungen seien für "Loser" bestimmt, ohne Frustration könne man sich nur in rechten Gruppen oder Burschenschaften artikulieren. Da ist auch von seiten der Studentenschaft einiges als Gegengewicht (für eine "hedonistische Linke") zu leisten...

Was ich aber vor allem verurteile, ist

- die Interpretation der Bildungspolitik als Politik für (studierende) Personen. Es wird unterstellt, es sei angeblich nicht die Gesellschaft, die AkademikerInnen braucht, sondern Privatpersonen, die studieren wollen; als wären ÄrztInnen, AnwältInnen etc. nur in eigener Sache tätig. Einzige mir bekannte Ausnahme sind die Studierenden an Bundeswehrhochschulen. Angesichts der Durchführung von Angriffskriegen wie gegen die Bundesrepublik Jugoslawien möchte ich diese Ausnahmen nicht weiter kommentieren. Eindrücke können Sie aber auf meiner Homepage bekommen unter:
http://homepages.fh-giessen.de/~hg11237/Start/03Polis/02Preis/Preis.htm

Ich hoffe, Sie sind nicht enttäuscht, festzustellen, daß ich Ihre Sorgen "nur" als die Spitze eines Eisberges ansehe. Über dessen Beseitigung mache ich mir / Ihnen keine Illusionen - ob mit (und erst recht ohne) meine(r) Wahl. Aber ich sehe keine andere Lösung als die: gewissenhaft und nach Kräften gegen die Mißstände anzukämpfen - und wenn es noch so aussichtslos erscheint. Erst vor wenigen Monaten habe ich z.B. meine Mitgliedschaft am Hoschullehrerbund (hlb) gekündigt wegen seines (vorhandenen, aber m.E. sehr) mangelhaften Engagements gegen Studiengebühren.

Weitere Informationen über meine bisherigen Bemühungen in dieser Richtung können Sie auf meiner (leider noch nicht aktualisierten) Homepage finden - z.B. unter http://homepages.fh-giessen.de/~hg11237/Start/03Polis/01Brief/Briefe.htm

Vielleicht konnte ich Ihnen damit ein etwas konkreteres Bild von meinen Vorstellungen vermitteln.

Mit freundlichen Grüßen

A. Christidis