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Anton Hofreiter
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Ursula M. •

Frage an Anton Hofreiter von Ursula M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Wie stehen Sie zu den 5 Thesen von Stefan Aust

(https://www.focus.de/politik/experten/podcast-von-gabor-steingart-hier-spricht-stefan-aust-ueber-seine-thesen-zum-migrationspakt_id_9973666.html)

1. „Der UN-Migrationspakt verzaubert wie mit Aladins Wunderlampe illegal Zugereiste in legale Einwanderer mit vollem Zugriffsrecht auf die Leistungen des Sozialstaats.“

2. „Der Lockruf des Geldes dürfte nachhaltige Folgen haben: auf die Zahl der Zuwanderer und damit auch auf die Stabilität des Sozialstaates.“

3. „Der Pakt geht von einer Gleichrangigkeit der Sitten und Gebräuche aus. Er unterschlägt die Realität der gegenwärtigen Migration und ihrer Schattenseiten.“

4. „Die Rechte der Bevölkerung eines Zielstaates spielen praktisch keine Rolle.“

5. „Die Sogwirkung des Papiers dürfte mindestens so groß sein wie die der Willkommenskultur im Herbst 2015.“

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau M.,

vielen Dank für Ihre Anfrage.

Die grüne Bundestagfraktion begrüßt den UN-Migrationspakt seit langem, vor allem dessen multilateralen Ansatz. Es ist der erste Versuch überhaupt, sich innerhalb der Vereinten Nationen im Umgang mit Migrationsprozessen auf ein gemeinsames internationales Regelwerk zu verständigen. Mit ihm soll Migration durch verbesserte internationale Zusammenarbeit in geordnete und reguläre Bahnen gelenkt werden. Dies unterstützen wir ausdrücklich.

Der Migrationspakt ist eine wichtige Absichtserklärung für die Stärkung des Schutzes von Migrant*innen, insbesondere von Wanderarbeiter*innen. Es ist wichtig und richtig, dass hier globale Standards geschaffen werden. Der Migrationspakt beinhaltet sinnvolle, weil ursachenorientierte Lösungsstrategien und wird so der Realität einer global vernetzten Welt gerecht. Nur mit einem solchen Ansatz können wir alle von Migration profitieren. Es geht dabei auch um den effektiven Schutz vor Diskriminierung, Ausbeutung und Zwangsarbeit.

Der Migrationspakt ist das Ergebnis von Verhandlungen zwischen 192 Ländern von denen auch weiterhin über 180 zu den gemeinsam verhandelten Ergebnissen stehen. Den Migrationspakt oder gar die UN nun aufgrund von irreführenden Kampagnen von Rechtspopulisten aufkündigen zu wollen oder gar ein Moratorium zu fordern, wäre ein fatales Signal für die Weltgemeinschaft.

Der UN-Migrationspakt hat insbesondere folgende inhaltliche Anliegen:
- Stärkung sicherer, geordneter und regulärer Einwanderungswege
- Grenzüberschreitende Bekämpfung von Menschenschmuggel und -handel
- verbesserte Kooperation im Grenzmanagement
- und die Stärkung und Schutz der Rechte von Migrant*innen (insbesondere von Kindern und Frauen).
Hierzu enthält der Migrationspakt eine Vielzahl von Zielen und Leitlinien. Er betont die Einhaltung der völkerrechtlichen und insbesondere der menschenrechtlichen Verpflichtungen.

Zudem halten wir es für erforderlich, dass Deutschland auch international eine führende und verlässliche Rolle bei der Implementierung des Migrationspaktes einnimmt. Forderungen nach der Übernahme von bewährten Integrationsmaßnahmen, einer verbesserten Inklusion von Migrant*innen in den Arbeitsmarkt, Zugang zur Schulbildung und zur Gesundheitsversorgung, Erleichterung von Familienzusammenführungen, Aufdeckung von und Schutz vor Intoleranz und Diskriminierung, strafrechtliche Verfolgung von Hassverbrechen und besserer Schutz der Opfer von Hassverbrechen sind alles wichtige Ziele, die im Global Compact verankert sind. Wie kann man all das ernsthaft ablehnen? Für uns Grüne im Bundestag sind das gerade Punkte, weswegen wir den UN-Migrationspakt für so wichtig halten.

Die AfD im Bundestag hingegen marschiert hier politisch Seite an Seite mit rechtsextremistischen Verschwörungstheoretikern, die vom UN-Migrationspakt als Teil eines angeblichen Generalplans zum „globalen Bevölkerungsaustausch“ bis hin zum „Völkermord an den Deutschen“ phantasieren. Es wird behauptet, der Migrationspakt würde die Souveränität der einzelnen Staaten einschränken und mit ihm würde ein Recht auf Migration eingeführt. Beides ist dezidiert falsch:
Die beteiligten Staaten verpflichten sich praktisch nur dazu, die im Global Compact for Migration zuvor gemeinsam ausverhandelten Ziele erfüllen zu wollen. Eine Sanktionsmöglichkeit besteht nicht, daher ist der Global Compact zunächst „nur“ eine Absichtserklärung.

Daher ändert der Migrationspakt auch nicht die Rechtlage in Deutschland. Einige Ziele sind bereits heute als Regelungen im nationalen oder europäischen Recht enthalten. Weitere Maßnahmen, die z.B. sich auf die Ziele des Global Compact berufen, bräuchten in Ihrer Umsetzung in Deutschland folglich auch die Behandlung in einem entsprechenden Gesetzgebungsverfahren. Außerdem ist auch die Wahrung nationaler Souveränität zentrales Leitprinzip des Migrationspakts: So bekräftigt er ausdrücklich „das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen, sowie ihr Vorrecht, die Migration innerhalb ihres Hoheitsbereichs in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht selbst zu regeln“. Nichts anderes steht oder stand je zur Debatte. Ein massiver Eingriff in die nationale Souveränität ist nicht gegeben und beruht auf falschen oder sehr abwegigen und unseriösen Behauptungen.

Auch wird durch den Migrationspakt kein „Recht auf Migration“ begründet. Es werden vielmehr Rechte von Migrant*innen auf Schutz ihrer Menschenwürde bekräftigt, die längst in anderen UN-Dokumenten enthalten oder die bereits Teil unserer Verfassungsordnung sind.

Zur Umsetzung: Es soll ein Gremium bei den Vereinten Nationen geben, das ab 2022 alle vier Jahre tagen soll und die Umsetzung evaluieren soll, und diese Ergebnisse in einem Bericht veröffentlichen. Zudem wollen die UN bestimmte Maßnahmen ergreifen, um die Staaten bei der Umsetzung des Paktes zu unterstützen – zum Beispiel durch Anschubfinanzierungen. Auch in Deutschland soll von der Bundesregierung gegenüber dem Parlament regelmäßig über die Umsetzung der Ziele berichtet werden, wie wir es u.a. auch als grüne Bundestagsfraktion in unserem Antrag (BT-Drs. 19/5547) gefordert haben.

Zudem halten wir es für erforderlich, dass Deutschland auch international eine führende und verlässliche Rolle bei der Implementierung des Migrationspaktes einnimmt. Denn Migrant*innen, insbesondere Wanderarbeiter*innen, Hilfsarbeiter*innen, vulnerable Gruppen (wie Frauen und Kinder) sind besonders oft betroffen. Auch für sie gelten die Menschenrechte. Das heißt insbesondere auch, dass ihre Arbeits- und Mobilitätsrechte, aber auch ihr Recht auf eine menschenwürdige Existenz, auf Familie, auf Schutz vor Diskriminierung, Bildung, Teilhabe und Partizipation geschützt und gestärkt werden soll. Auch ist es ein sinnvolles Anliegen sichere und legale Migrationswege zu schaffen.

Gerade die politischen Kräfte, für die das Schüren von Ängsten vor „irregulärer Migration“ das Hauptgeschäftsmodell ist, bekämpfen nun ein internationales Regelwerk, das Migration sicherer, und geordneter gestalten will. Es geht ihnen nicht um sachorientierte Lösungen.

Wir dagegen setzen auf internationale Zusammenarbeit: zur geordneten Steuerung von Migration und zum besseren Schutz vor Diskriminierung, Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen.

Mit freundlichen Grüßen
Team Hofreiter

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