Frage an Anton Hofreiter von Anna S. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrter Herr Hofreiter,
sie werden heute in der Presse damit zitiert, dass die Grünen in den nächsten 20 Jahren die Massentierhaltung abschaffen wollen.
Bei meinem letzten Einkauf auf einem Biohof kam ich mit dem Bauern über genau dieses Thema ins Gespräch. Der hält dort etwa 14000 Legehennen und kannte keine genau Definition dieses Begriffs. Er sagte z.B. dass unklar sei ob es dabei um die reine Anzahl an Tieren gehe oder um die "Masse" der Tiere. Da wäre dann ein Hof mit 100 Kühen eher der Massentierhaltung zuzuordnen.
Wie definieren Sie für sich persönlich den Begriff "Massentierhaltung" die Sie ja abschaffen wollen. Wo beginnt für sie bei Kühen, Stieren, Mastschweinen, Schafen, Hühner und Puten die Massentierhaltung? Was sind aus ihrer Sicht vertretbare Tierzahlen für einen Bauern? Wie sieht es aus wenn mehrere Bauern kooperieren?
Herzlichen Dank für ihre Antwort!
Anna Stark
Sehr geehrte Frau Stark,
Die industrielle Massentierhaltung ist ein System, dass uns schadet: den Tieren, der Umwelt, den Verbrauchern und den Bauern. Entscheidend ist die Haltung. Es ist industrielle Massentierhaltung, wenn Tiere keinen Auslauf mehr haben und in zu engen Boxen gehalten werden. Wenn Schweinen der Ringelschwanz amputiert oder einem Huhn der Schnabel gekürzt wird, damit sich die Tiere nicht gegenseitig anpicken oder anfressen. Wenn das Tier schon so überzüchtet ist, dass es nur noch mit Qualen und unter Medikamenteneinfluss bis zur Schlachtung durchhält. Wenn Futter nicht mehr selbst angebaut sondern importiert werden muss.
Man kann auch bei größeren Betrieben Tiere anständig halten, wenn die Voraussetzungen stimmen: Genug Fläche, genug und qualifiziertes Personal, gute Haltung. Sich ums einzelne Tier zu kümmern, den Tieren Zugang zur Weide gewähren, das ist in einer Tierfabrik sicher schwieriger als bei mittleren oder kleineren Betrieben. Es ist offenkundig, dass in den letzten Jahren ein Trend stattgefunden hat, eine Industrialisierung der Tierhaltung, in der immer mehr Tiere auf immer weniger Platz gehalten werden. Das führt dazu, dass es den Tieren nicht besser sondern schlechter geht. Dagegen formiert sich Wiederstand. Denn wie die wissenschaftlichen Experten des Agrarbeirats der Bundesregierung feststellen: Die zunehmend industrialisierte Tierhaltung hat sich von den Wünschen der Bevölkerung entfremdet.
Wir brauchen ethische Grundsätze statt industrielle Auswüchse. Die Menschen wollen nicht, dass mit einem Tier so umgegangen wird als wäre es kein Lebewesen, sondern ein Gegenstand. Sie wollen keine Tierqual und auch nicht die anderen Folgen industrieller Tierhaltung: Grundwasserbelastung, Gülletransport in Nachbarregionen und eintönige Agrarlandschaften. Auch deswegen ist es wichtig, wieder einen Bezug zur Fläche herzustellen. Und es geht auch um Arbeitsplätze, um bäuerliche Existenzen. Wir wollen die kleinen und mittelständischen Betriebe stärken und keine Agrarfabriken und keinen konzentrierten Landbesitz bei einigen wenigen.
Aus was wollen wir aussteigen? Was bedeutet Ausstieg aus der Massentierhaltung?
Das System Massentierhaltung ist gescheitert und hat keine Zukunft. Der Ausstieg bedeutet eine Trendumkehr, die jetzt beginnen soll. Sie beinhaltet: Klare Ausrichtung der Agrarförderung. Öffentliches Geld für öffentliche - also tier- und umweltfreundliche - Leistungen. Sie beinhaltet: Das Aus für Amputationen von Schnäbeln und Schwänzen, die nur den Zweck haben, das Tier dem Stall anzupassen. Sie beinhaltet auch: Eine Transparenzoffensive beim Einkauf. Alle sollen auch beim Fleisch - so wie jetzt schon beim Ei - erkennen können, aus welcher Haltungsform ihr Fleisch kommt.
Wir wollen die Tierhalter dabei unterstützen, ihren Tieren ein artgerechtes Umfeld bieten zu können. Dazu gehören mehr Platz für die Tiere, Auslauf, Beschäftigungsmaterial, eine artgerechtere Fütterung und ein gutes Beratungsangebot für Landwirte. Rinder sollen auf die Weide kommen, Schweine und Geflügel einen Auslauf und Wasservögel Zugang zu Wasser haben.
Wir wollen, dass es den Tieren von Anfang an besser geht. Die jahrzehntelange einseitige Zucht auf maximale Leistung hat dazu geführt, dass viele Tiere unter Qualen gemästet oder gemolken werden und unter Krankheiten leiden, die hohe Antibiotikagaben zur Folge haben. Bei Hühnern führt die Hochleistungszucht dazu, dass jährlich fast 50 Millionen männliche Küken getötet werden, weil die Brüder der Legehennen für die Fleischproduktion ungeeignet sind. Das wollen wir ändern. Auch mit Hilfe eines Tierschutzgesetz, das diesen Namen verdient.
Mit freundlichen Grüßen
Team Dr. Hofreiter