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Frage von Johannes D. •

Frage an Antje Krause von Johannes D. bezüglich Gesundheit

Guten Tag Frau Prof. Dr. Krause,

mit Absicht wähle ich ein Thema, welches von der Piratenpartei nur stiefmütterlich behandelt wird: Gesundheitsreform.
Seit inzwischen Jahrzehnten versuchen sich diverse Regierungen in verschiedener Zusammenstellung an einer Gesundheitsreform. Das Resultat kann jeder nachvollziehen. Die Kosten steigen, die Beiträge der Versicherungsnehmer proportional dazu auch. Die medizinische Versorgung hingegen ist dabei immer nur schlechter geworden. Man kann durchaus behaupten, alle bisherigen Gesundheitsreformen sind gescheitert. Hat die Piratenpartei ein eigenes Konzept, welches das marode Gesundheitswesen verbessern würde bzw. könnte?
Kürzlich konnte ich beobachten, als eine junge Frau vom Notarzt versorgt wurde und per Krankentransport ins naheliegende Krankenhaus transportiert wurde. Soweit so gut. Allerdings war die Ursache für den durchaus kostenintensiven Einsatz selbstverschuldet durch übermäßigen Alkoholkonsum. Ich habe mir aus zuverlässiger Quelle sagen lassen, dass die Kosten von der Krankenkasse voll übernommen werden, lediglich die obligatorischen 10 € sind von der Patientin zu entrichten. Wenn ich dann von anderen Fällen hören muss, wo Patienten unverschuldet dringende Medikamente oder notwendige Therapien von ihrer Krankenkasse verwehrt bekommen, frage ich mich, in welcher Gesellschaft wir uns befinden. Wie beurteilen Sie den vom mir geschilderten Fall?

Gruß,
J.D.

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Antwort von
PIRATEN

Sehr geehrter Herr Döh,

vielen Dank für Ihre Fragen.

Ich möchte sie nachfolgend im einzelnen betrachten:

1. Vieles, was in den letzten Jahren von der Politik als "Reform" angekündigt wurde, entpuppte sich in der Umsetzung schnell als kleine Nachbesserung des bereits vorhandenen. Neue Konzepte, echte Reformen finden immer schwer eine Mehrheit. Bei der Beantwortung von Fragen wie "Warum sind Medikamente in Deutschland sehr viel teurer als in den europäischen Nachbarstaaten?", "Warum geben Pharmaunternehmen inzwischen ungefähr doppelt soviel Geld für Marketing als für Forschung aus?", "Warum kommen immer neue Medikamente auf den Markt, deren Zusatznutzen in der Wirksamkeit nicht erwiesen ist?" ist man dann jedoch schnell wieder bei einem Kernthema der Piratenpartei, nämlich Transparenz statt Lobbyismus und Korruption. Offenbar ist inzwischen auch im Gesundheitsbereich der Einfluss großer Wirtschaftsunternehmen auf die Politik so groß, dass diese lieber dem Steuerzahler weitere Kosten aufbürdet als den Aktionären der Wirtschaftsunternehmen die Rendite zu kürzen. Gerade im Gesundheitssektor scheint mir daher ein Umdenken und eine echte Reform zugunsten der Bürger dringend nötig. Hier sehen wir als Piratenpartei großes Potential für Einsparungen im Gesundheitswesen. (Ein sehr lesenswerter Artikel hierzu erschien vor einiger Zeit in der ZEIT http://www.zeit.de/2010/43/Arzneimittelkosten-Pharmaindustrie?page=all)

2. Den von Ihnen geschilderten Fall kann man unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten.

Eine Unterscheidung zwischen selbstverschuldeten (hier übermäßiger Alkoholkonsum) und fremdverschuldeten Kosten (z.B. eine genetisch bedingte Erkrankung) in der Gesundheitsversorgung halte ich für nicht wünschenswert. Es würde letztendlich bedeuten, dass jeder Bürger bei allem, was er tut, kontrolliert werden müsste. Damit wären wir bei einer Totalüberwachung. Zudem müsste es einen Katalog geben von gesundheitsfördernden und gesundheitsschädigenden Verhaltensweisen. Wer legt fest, was in welchem Maße gut oder schlecht für die Gesundheit ist?

Was mich an Ihrer Schilderung sehr viel mehr bewegt, ist die Frage, warum es so viele junge Menschen gibt, die ihrer Lebensrealität offenbar durch übermäßigen Alkoholkonsum zu entfliehen versuchen. Hier habe ich persönlich die Befürchtung, dass in Deutschland viel zu viele Menschen von der Politik, dem Bildungssystem, dem Arbeitsmarkt und der Leistungsgesellschaft überfordert, ausgeschlossen und abgehängt werden und für sich persönlich keine Zukunftsperspektiven mehr sehen. Wenn wir diese Probleme in den Griff bekämen, sollte auch das von Ihnen beschriebene Szenario wieder zu einer Seltenheit werden.

Ein dritter Gesichtspunkt ist die Diskrepanz zwischen der gesellschaftlichen Akzeptanz von Alkohol (keine Feier, kein Fest, keine Fastnacht ohne Alkohol) auf der einen Seite und der gesellschaftlichen Verachtung und Ächtung von Suchtkranken (wobei eine Sucht durchaus genetisch bedingt sein kann) auf der anderen Seite. Hier wünsche ich mir mehr Offenheit in der öffentlichen Diskussion.

Mit freundlichen Grüßen,
Antje Krause