Frage an Annette Schavan von Michael M. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Schavan,
als Student habe ich drei Fragen:
1.) Warum liegt der Bafög-Höchstsatz deutlich unter Hartz-4 Niveau? Bei Hartz-4 kann zusätzlich zum Grundbedarf (374 Euro) noch die Miete übernommen, Zuschüsse für Strom und Heizung (bis zu 364 Euro) sowie die Krankenversicherung gezahlt werden, um ein Existenzminimum zu gewährleisten.
Der aktuelle Bafög-Höchstsatz liegt mit 670 Euro also konservativ geschätzt etwa 400 Euro unter dem, was das BVerfG als Existenzminimum bestätigt hat. Nebenbei bemerkt: Es handelt sich beim Bafög um ein 50%iges Darlehen!
2.) Ist es politisch gewollt, die Höhe des Bafögs eben nicht regelmäßig an die Lebensrealität in Deutschland anzupassen?
Es fängt auf meinem Bescheid harmlos bei der Kranken- und Pflegeversicherung an, die mit 73,- veranschlagt ist. De facto zahle ich bei der AOK aber 78,- im Monat. Ungemütlich wird es dann bei der Mietpauschale, denn die beträgt nur 224 Euro. Ich frage Sie ernsthaft, in welcher Universitätsstadt kann man 2012 für diesen Betrag wohnen? Von Heizung, Strom und einem Internetzugang ganz zu schweigen. Studentenwohnheim? Erstens können die Plätze nicht den Bedarf decken und zweitens sind selbst diese Zimmer teils teurer (z.B. 17 qm für 295 Euro).
3.) Ich halte Ihr "Deutschland-Stipendium" gelinde gesagt für sozial unausgeglichen. Wie oben dargelegt kann man selbst vom Bafög-Höchstsatz nicht (über-) leben, geschweige denn von einer Teilförderung. Also muss man jobben, je nach dem +20h/Woche. Unter diesen Rahmenbedingungen konkurriert man nun mit Studenten aus gutem Stand, die jeden Monat großzügigen Unterhalt von den Eltern empfangen und keinen Gedanken an ihren Kontostand verschwenden müssen. Eben die bekommen dann auch tatsächlich jene 300 Euro. So konnte ein Kommilitone nach eigenen Angaben für ein Jahr jeden Monat 150,- verprassen und 150,- sparen. Für diese Art der Elitenförderung fehlt mir der Humor, aber vielleicht können Sie mir da weiter helfen.
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Meier,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 30. Dezember 2012.
Der aktuelle BAföG-Höchstsatz von 670 Euro entspricht exakt dem, was ein auswärts wohnender erwachsener Studierender auch unterhaltsrechtlich nach der sogenannten "Düsseldorfer Tabelle" an Barunterhaltsleistungen von seinen Eltern erwarten darf. Im BAföG bleiben (anders als im Unterhaltsrecht) zudem etwa weitergeleitete Kindergeldleistungen ganz ohne Anrechnung, sodass diese gegebenenfalls zusätzlich zur Verfügung stehen. Das BAföG soll als subsidiäre Sozialleistung dort einspringen, wo die eigenen Eltern finanziell nicht hinreichend leistungsfähig sind, ein Studium zu finanzieren - die BAföG-Bedarfssätze bewegen sich daher konsequenterweise in einer Höhe, wie sie auch unterhaltsrechtlich zugebilligt wird.
Die Dotierung der Grundsicherungssätze nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) folgt dagegen anderen gesetzlichen Zielsetzungen und diesen zugrunde liegenden typischen Lebenssachverhalten. Während es bei der Grundsicherung nach dem SGB II darum geht, finanzschwachen Menschen, die möglicherweise bereits ein langes Arbeitsleben hinter sich haben und dennoch ohne Besserungsperspektive sind, durch staatliche Existenzsicherungshilfen trotzdem ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, geht es bei der Ausbildungsförderung um lediglich vorübergehenden Finanzierungsbedarf für die Dauer der erstmaligen (optimalen) beruflichen Qualifizierung. Ausbildungsförderung geht also immer einher mit der konkreten Aussicht auf umso bessere anschließende Erwerbs- und Einkommensaussichten und betrifft junge Menschen ganz am Anfang beziehungsweise meistens noch vor ihrer Erwerbsbiographie. Mit dieser positiven Perspektive lassen sich auch vorübergehende Einschränkungen (etwa hinsichtlich des Wohnbedarfs: natürlich kann nicht jeder Studierende eine eigene komplette Wohnung erwarten, wie sie einem SGB II-Empfänger zugebilligt wird) ertragen. Wer höhere Ansprüche hat, kann diese - mit entsprechend höherer Eigenbeteiligung - auch befriedigen, da ihm beispielsweise der über die KfW angebotene allgemeine Studienkredit in Höhe von bis zu 650 Euro monatlich auch neben dem Bezug von BAföG offen steht. Was dagegen den von Ihnen angesprochenen 50-prozentigen BAföG-Anteil anbelangt, so enthält dieser schon allein wegen der kompletten Zinslosigkeit und der sehr langfristigen Rückzahlungszeiten mit zunächst fünfjähriger Karenzzeit seinerseits einen sehr hohen Subventionsanteil. Zudem sind die BAföG-Darlehen auf 10.000 Euro gedeckelt, so dass die Gesamtbelastung aus früherem BAföG-Bezug kalkulierbar und in der Summe überschaubar bleibt.
Die Angemessenheit der BAföG-Sätze wird natürlich regelmäßig auf Anpassungsbedarf überprüft, und zwar anhand zweijährlicher Berichte der Bundesregierung an Bundestag und Bundesrat. Den letzten - neunzehnten - Bericht haben wir jüngst am 13. Dezember 2012 im Deutschen Bundestag diskutiert. Naturgemäß gibt es immer unterschiedliche Auffassungen darüber, was für wen zu welchem Zeitpunkt als Ausbildungsförderungsleistung bildungspolitisch geboten erscheint. Aber eines ist objektiv nicht zu bestreiten: wir haben einen ungebremsten Ansturm an Studierenden und ein ebenso deutliches Hoch an dabei mit BAföG Geförderten. Es ist nicht so, dass unser Ausbildungsförderungssystem in Schieflage geraten wäre und daher der Qualifizierungsnachwuchs ausbleiben würde. Weitere Verbesserungen können wir aber nur gemeinsam mit den Ländern verantworten, die die BAföG-Ausgaben gemeinsam mit dem Bund tragen müssen. Ich habe die Länder gebeten, sich zu positionieren, was sie gemeinsam mit dem Bund zusätzlich zu schultern bereit wären.
Im Übrigen entspricht der Anteil der BAföG-Empfänger unter den Deutschlandstipendiaten (die das Deutschlandstipendium zusätzlich zum BAföG erhalten, das heißt: das Stipendium wird nicht aufs BAföG angerechnet) mit rund einem Viertel ziemlich genau dem Anteil der BAföG-Empfänger an der Gesamtstudierendenschaft. Insofern kann ich eine soziale Unausgewogenheit dieses ansonsten einkommensunabhängig gewährten Stipendiums nicht erkennen.
Seien Sie herzlich und mit guten Wünschen gegrüßt.
Ihre Annette Schavan