Frage an Annette Schavan von Klaus K. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Dr. Schavan
Die WAS vom heutigen Tage zitiert Sie mit dem Bedauern, dass es eine große Zahl an qualifizierten Auswanderern gebe.
Versetzen Sie sich in die Situation der 16 - 20 Jährigen heute. Nach Schätzungen der KMK erreichen wegen der Schulzeitverkürzung in den nächsten 3 Jahren ca. 180.000 zusätzliche Abiturienten die Hochschulen. Dort erwartet sie - wenn überhaupt - ein auf den Bachelor eingedampftes verschultes Studium - mit Wartezeiten auf Teilnahme an Pflichtveranstaltungen und verringerter Aussicht, zum Master zugelassen zu werden. Der deutsche Dipl. Ing. war genauso ein Exportschlager wie der deutsche Mediziner usw. Diese wie auch andere Studiengänge werden durch ständige Reformen entwertet. Gleiches gilt für die schulische Bildung. Die Einführung des G8, die Abwendung von fachlich-inhaltlicher Qualität hin zur rein reproduzierenden "Kompetenzorientierung" (lies dazu unbedingt FAZ vom 14. 10. 2010 S. 8), die Reduktion der Oberstufe hin zur "Profiloberstufe" usw. alles Maßnahmen, die dem Bildungsstandort Deutschland schaden und die Perspektiven gerade sehr guter Schüler beeinträchtigen.
Das führt zu folgendem: Der Exodus fängt nicht nach der Schule oder nach dem Studium an, sondern viel früher. Aus eigenem Erleben weiss ich zu berichten, dass an einer englischen Spitzenschule ab Klasse 11 Harvard, Yale u.v.a. sich vorstellen, um die besten Schüler an sich zu binden. Am größten deutschen Humanistischen Gymnasium erscheinen die Handelskammer und ein Berufsberater des Arbeitsamtes.
Was beabsichtigen Sie zu unternehmen, dem Trend entgegenzuwirken, dass schon hochqualifizierte Schüler sehr frühzeitig und womöglich endgültig das Land verlassen ?
Sehr geehrter Herr Kamlah,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 17. Oktober 2010. Mit Interesse habe ich Ihre Ausführungen zur Reform der gymnasialen Oberstufe und der Studienstrukturen sowie zur Attraktivität eines Hochschulstudiums in Deutschland gelesen.
Die Diskussionen der vergangenen Monate haben gezeigt, dass es durchaus berechtigte Kritik an der Umsetzung der Studienreform gibt. Nicht zuletzt die von mir initiierte Nationale Bologna-Konferenz hat jedoch gezeigt, dass Politik und Hochschulen bereits wichtige Korrekturen vorgenommen und spürbare Fortschritte erzielt haben, etwa bei der Studiendauer und der Arbeitsbelastung von Studierenden. Auch zeigen mehrere namhafte Studien sowie zahlreiche Gespräche mit Vertretern der Wirtschaft, dass es einen hohen Bedarf an Bachelor-Absolventen gibt und diese Absolventen in aller Regel gut auf dem Arbeitsmarkt unterkommen.
Es ist für unser Land eine große Chance, dass in den nächsten zehn Jahren - vor allem wegen der doppelten Abiturjahrgänge und noch starker Schülerjahrgänge - die Zahl der Studieninteressierten steigt. Die Bundesregierung unternimmt deshalb erhebliche Anstrengungen, um den jungen Menschen attraktive Angebote zur akademischen Qualifizierung zu unterbreiten - mit Erfolg: Wie die stetig steigende Zahl von Studienanfängern und Studierenden und die Rekord-Studienanfängerquote von 43,3 Prozent zeigen, will die junge Generation ihre Chancen nutzen.
Im Sommer 2007 haben Bund und Länder gemeinsam den Hochschulpakt beschlossen. Unser Ziel war es, rund 90.000 zusätzliche Studienmöglichkeiten bis zum Jahr 2010 zu schaffen. Bereits im Zeitraum 2007 bis 2009 wurden 102.000 zusätzliche Studienanfänger verzeichnet. Die für das Jahr 2010 anvisierte Zielmarke ist also schon jetzt übertroffen. Der Hochschulpakt ist eine Erfolgsgeschichte, die wir fortsetzen. Vor gut einem Jahr haben die Regierungschefs von Bund und Ländern den Pakt bis 2015 verlängert, um weitere 275.000 zusätzliche Studienmöglichkeiten zu schaffen. Dafür stellt der Bund in den Jahren 2011 bis 2015 rund 3,6 Milliarden Euro zur Verfügung.
Neben diesem quantitativen Ausbau brauchen wir eine kraftvolle Initiative zur qualitativen Verbesserung der Studienbedingungen. Deshalb haben wir im Juni 2010 gemeinsam mit den Ländern den Hochschulpakt um eine dritte Säule, den Qualitätspakt Lehre, erweitert. Das ist ein starkes Signal an Hochschulen, Hochschullehrer und Studierende. Bis 2020 wird der Bund rund zwei Milliarden Euro zur Verbesserung von Studienbedingungen und Lehrqualität bereitstellen - ein Engagement, das ohne Beispiel in der Geschichte der deutschen Hochschulpolitik ist. Gefördert wird erstens eine bessere Personalausstattung der Hochschulen auf allen Ebenen - vom Professor über den Mittelbau bis zum Tutor. Zweitens werden Maßnahmen zur Qualifizierung des Hochschulpersonals für die Aufgaben in Lehre, Betreuung und Beratung unterstützt. Drittens sollen neue Impulse zur Weiterentwicklung der Lehrqualität und zur Professionalisierung der Lehre von der Förderung profitieren.
Großes Augenmerk legt die Bundesregierung auf finanzielle Hilfen für die Studierenden. Junge Menschen sollen sich darauf verlassen können, dass die Entscheidung für eine gute Bildung nicht an finanziellen Hürden scheitert. Mit dem neuen Deutschlandstipendium stellen wir die Weichen für eine neue Stipendienkultur in Deutschland und bauen die Förderung von Begabten weiter aus. Bereits ab dem Sommersemester steht für rund 10.000 Stipendiaten eine Förderung von 300 Euro monatlich zur Verfügung.
Das 23. BAföG-Änderungsgesetz, dem der Bundesrat am 15. Oktober 2010 zugestimmt hat, kann jetzt noch rechtzeitig zum Wintersemester 2010/11 in Kraft treten. Es wird einen weiteren wichtigen Beitrag dazu leisten, möglichst vielen jungen Menschen die Aufnahme eines Studiums zu ermöglichen. Die Anhebung der Einkommensfreibeträge um drei Prozent wird den Kreis der Förderberechtigten deutlich erweitern, es wird ein Anstieg der Geförderten um 50.000 bis 60.000 Studierende pro Jahr erwartet. Zugleich werden die Bedarfssätze um zwei Prozent erhöht, um Schülern und Studierenden möglichst optimale persönliche Ausbildungsbedingungen zu ermöglichen. Der Höchstsatz für Studierende steigt von bisher 648 Euro auf 670 Euro. Darüber hinaus wird die 23. BAföG-Novelle weitere spürbare positive Auswirkungen haben, etwa die Heraufsetzung der Altersgrenze für den Beginn eines Masterstudiums auf künftig 35 Jahre, die den Bachelorabsolventen die Chance lässt, zunächst ins Erwerbsleben einzusteigen - ohne den Zeitdruck, ein BAföG-gefördertes Masterstudium unmittelbar anschließen zu müssen. Weitere Maßnahmen betreffen die bessere Vereinbarkeit der Ausbildungs-, Erwerbs- und Familienplanung .
Seien Sie herzlich und mit guten Wünschen gegrüßt.
Ihre Annette Schavan