Frage an Annette Schavan von Felix G. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Ministerin Schavan,
Wie beurteilen Sie die Auswirkungen der Föderalismusreform auf die Handlungsfähigkeit der Bildungspolitik? Im Allgemeinen wird diese negativ beurteilt, oft offen als Fehler beschrieben (wie Sie wissen, wurde die Bildungskompetenz praktisch völlig auf die Länder übertragen). Kann man diese Föderalismusreform wieder rückgängig machen bzw. korrigieren, um die Qualität der Bildungspolitik zu verbessern? Ist so etwas möglich?
Wie reagieren Sie, wenn Sie mit der Ansicht konfrontiert werden, dass das deutsche Schulsystem heute eher als eine Institution der sozialen Auswahl und Zuweisung funktioniert denn als ein allgemeines System zur Ermöglichung von echter, umfassender Bildung? Dies wird von einer wachsenden Zahl von Bürgern nämlich genau so wahrgenommen. Indem die Flexibilität der Schulen sinkt, droht die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht immer leichter als Leistungsfähigkeit umdefiniert werden zu können. Dass mittellose Familien weniger Akademiker hervorbringen als vermögende, droht in unserem Land zur akzeptierten Spielregel zu werden. Wie wollen Sie der massiven sozialen Unzufriedenheit begegnen, die sich daraus entwickeln dürfte?
Warum wird in Deutschland das Homeschooling im Gegensatz zu anderen Staaten Europas so rigide geahndet? Wie Sie wissen, führt so ein Vorgehen bis zum Entzug des Sorgerechts, selbst wenn (wie in einem im ZDF vorgestellten Verfahren kürzlich) die Pädagogik eines "Eltern-Lehrers" von der Staatsanwaltschaft besonders gelobt wird! Da fragt man sich, warum diese innovative Bildungsarbeit, die von dem betreffenden Vater sogar haarklein protokolliert und dokumentiert wurde, mit einer Vorstrafe geahndet wird, anstatt zu versuchen, von dieser elementaren Forschungsarbeit, die neue Formen der Beschulung entwickelt, zu profitieren. Warum ist private Initiative bei so einem wichtigen Thema wie der Bildung, die sich ja durchaus immer wieder hinterfragen sollte, strafbar?
Mit freundlichen Grüßen
Felix Gass
Sehr geehrter Herr Gass,
vielen Dank für Ihre Frage vom 18. Dezember 2009.
Auch wenn die Schulpolitik in Deutschland nach dem Grundgesetz weitgehend Ländersache ist, wachsen gleichzeitig die länderübergreifende Verantwortung und die Notwendigkeit, in zentralen Handlungsfeldern nationale Ziele und abgestimmte Maßnahmen von Bund und Ländern zu verabreden. Dies ist auch hinsichtlich der gesamtstaatlichen Vertretung auf Ebene der Europäischen Union notwendig. Die besten Beispiele für die erfolgreiche Zusammenarbeit von Bund und Ländern sind die Bildungsgipfel, der Schwerpunkt für Bildungsinvestitionen in den Konjunkturpaketen sowie die Fortsetzung des Hochschulpakts, der Exzellenzinitiative und des Pakts für Forschung und Innovation. Die grundgesetzliche Aufgaben- und Ausgabentrennung zwischen Bund und Ländern in der Bildungspolitik galt übrigens schon vor der ersten Föderalismusreform.
Bildungsgerechtigkeit gehört zu den Prioritäten der Bildungspolitik auf allen Ebenen. Um Bildungsarmut wirksam zu bekämpfen, bedarf es einer nationalen Anstrengung für mehr Chancengerechtigkeit, Durchlässigkeit und faire Aufstiegschancen. Bildung bedarf dabei der engen Partnerschaft aller Verantwortlichen entlang der gesamten Bildungskette. Der Bund hat seine Ausgaben für Bildung und Forschung bis zum Jahr 2013 um insgesamt zwölf Milliarden Euro erhöht und wird Maßnahmen ergreifen, die es Ländern, Wirtschaft und Privaten erleichtern, ihre jeweiligen Beiträge bis spätestens zum Jahr 2015 ebenfalls auf das Zehn-Prozent-Niveau anzuheben.
Die von Ihnen angesprochene Frage des Homeschoolings beziehungsweise der allgemeinen Schulpflicht wird in den Länderverfassungen geregelt und kann nur von den Ländern beantwortet werden. Ich persönlich stehe voll hinter der allgemeinen Schulpflicht, weil ich der Meinung bin, dass wir nur so unserer Verantwortung für die Ausbildung unserer Kinder sinnvoll nachkommen können.
Seien Sie herzlich und mit guten Wünschen gegrüßt.
Ihre Annette Schavan