Frage an Annette Schavan von Henning G. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrte Dr. Schavan,
ich habe eine grundsätzliche Frage zur Bildungspolitik in Deutschland und möchte gern Ihre persönliche und politische Position erfragen.
Wieso ist es in Deutschland nicht möglich, in allen Bundesländern einen gleichen Bildungsstandard (KiTa, Schule, Uni usw.) zu gewährleisten? Kann die Bildung nicht in der Hand des Bundes liegen, um somit gleiche Voraussetzungen für alle zu bieten? Diese Kleinstaaterei und das Festhalten am Föderalismus in diesem Punkt machen meiner Meinung nach keinen Sinn und fördern eher noch das soziale Ungleichgewicht im Land. Eine 1 in Mathe im Norden ist eine 3 im Süden unseres Landes – hier kann doch augenscheinlich irgendetwas nicht stimmen. Sind wir nicht alle Bürger eines Staates, denen laut Grundgesetz gleiche Rechten und Pflichten auferlegt sind?
Vielen Dank für Ihre Antwort im Voraus!
Freundliche Grüße, Henning Giese
Sehr geehrter Herr Giese,
vielen Dank für Ihre Frage vom 24. Juli 2009 zum Bildungsföderalismus in Deutschland.
Die Bildungspolitik erfolgt in Deutschland in enger Abstimmung zwischen dem Bund und den Ländern. Der jüngst veröffentlichte Bildungsmonitor hat uns bescheinigt, dass diese Zusammenarbeit derzeit ein erfolgreiches Modell für den Bildungsstandort Deutschland ist. Die Ergebnisse der Studie sind gleichermaßen ermutigende Analyse und Auftrag für die nächsten Jahre. Sie zeigen, dass eine konsensorientierte Bildungspolitik der Bildung gut tut. Die Qualifizierungsinitiative von Bund und Ländern zeigt sich als Motor für Verbesserungen.
Die Länder haben zur Koordinierung ihrer Zusammenarbeit in Bildung, Erziehung und Kultur die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder - Kultusministerkonferenz - gebildet, um die Basis dafür zu schaffen, dass Schülerinnen und Schüler in jedem Land gleichwertige Grundkenntnisse und Fähigkeiten erwerben. Es gibt hier eine große gesamtstaatliche Verantwortung. So hat die Kultusministerkonferenz bereits im Jahr 2001 ein sieben Punkte umfassendes Maßnahmenpaket sowie im Jahr 2003 bundesweit geltende Bildungsstandards für die Fächer Deutsch, Mathematik und die erste Fremdsprache für den mittleren Bildungsabschluss beschlossen. Diese Bildungsstandards wurden in den Folgejahren auf weitere Fächer, Schulformen und Stufen ausgeweitet - siehe auch unter http://www.kmk.org . Zur weiteren Gestaltung der notwendigen Einheitlichkeit und Mobilität im Bildungswesen hat die Kultusministerkonferenz im Oktober 2007 die Weiterentwicklung der einheitlichen Prüfungsanforderungen für die Abiturprüfung zu bundesweiten Bildungsstandards beschlossen. Ein modernes Bildungssystem muss die Mobilität von Lernenden und Lehrenden und Chancengerechtigkeit ermöglichen.
Der Bund ist an der Gestaltung des Bildungssystems ganz wesentlich beteiligt. Dies gilt insbesondere für die Vertretung gesamtstaatlicher bildungspolitischer Interessen in der Europäischen Union und für die Zuständigkeiten im Bereich der außerschulischen beruflichen Bildung und der Ausbildungsförderung. Zudem wurden mit der Föderalismusreform 2006 moderne Steuerungsinstrumente für ein Zusammenwirken von Bund und Ländern geschaffen. Die Gemeinschaftsaufgabe nach Artikel 91b Absatz 2 des Grundgesetzes ermöglicht eine neue Form des Bildungsmonitorings durch internationale Vergleichsuntersuchungen und vor allem durch die gemeinsame nationale Bildungsberichterstattung, die den gesamten Bereich des Lernens im Lebenslauf umfasst. Bund und Länder können auf dieser Grundlage Empfehlungen als gemeinsame strategische Zielsetzungen für die Weiterentwicklung des Bildungswesens erarbeiten, die in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich umgesetzt werden. In dem entsprechenden Verwaltungsabkommen wurden dazu auch regelmäßige Zusammenkünfte der Bildungsministerinnen und -minister von Bund und Ländern vereinbart.
Gerade an den Schnittstellen von frühkindlicher Bildung, Schule, Ausbildung und Hochschule bedarf es in den kommenden Jahren großer Anstrengungen. Bund und Länder wollen dies gemeinsam leisten. Auf dem Bildungsgipfel am 22. Oktober 2008 haben sich die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Länder deshalb mit der Dresdner Erklärung „Aufstieg durch Bildung. Die Qualifizierungsinitiative für Deutschland“ auf einen gemeinsamen Ziel- und Maßnahmenkatalog verständigt. Er bezieht sich auf alle Bildungsbereiche von der frühkindlichen Bildung bis zur Weiterbildung im Beruf.
Bund und Länder haben sich zudem auf das Ziel verständigt, dass in Deutschland bis zum Jahr 2015 zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Bildung und Forschung investiert werden sollen. Dieses ehrgeizige Ziel wird eine enorme Schubkraft für Bildungs- und Forschungsinvestitionen entwickeln und zu erheblichen Qualitätsverbesserungen führen. Darüber hinaus bündeln Bund und Länder ihre jeweiligen Aktivitäten und Initiativen zur Sicherung des Fachkräftenachwuchses und zur Verbesserung des Bildungssystems. Die Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen erfolgt gemeinsam mit den Ländern, Unternehmen und Sozialpartnern. Zum Stand der Umsetzung wird im Herbst 2009 ein erster Zwischenbericht vorgelegt.
Bildung wird also auch in der kommenden Legislaturperiode ein Megathema sein. Dabei werden zwei zentrale Punkte eine herausragende Rolle spielen: Erstens ist das Süd-Nord-Gefälle nicht akzeptabel. Vergleichbarkeit und konsequente Umsetzung der Bildungsstandards sind dringend nötig. Eltern und ihre Kinder müssen sich darauf verlassen können, dass überall vergleichbare Bildung gewährleistet ist. Zweitens muss die Entkoppelung von sozialen Herkunft und schulischem Erfolg weiter abgebaut werden. Dazu bedarf es Initiativen zur frühkindlichen Bildung und zu mehr Durchlässigkeit. Der Zugang zu guter Bildung in allen Phasen und in jedem Alter muss unabhängig der Herkunft gewährleistet sein.
Seien Sie herzlich und mit guten Wünschen gegrüßt.
Ihre Annette Schavan