Annette Sawatzki
DIE LINKE
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Frage von Martin S. •

Frage an Annette Sawatzki von Martin S. bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen

Guten Tag,

wie stehen Sie - und Ihre Partei - zum THema Gentrifizierung auch in meinem Stadtteil, aber auch in ST.Georg u.a. Wie stehen Sie zur Bebauung des Bhf.geländes Altona und zur geplanten MUsic Hall St.Pauli?

Gruß
M.S.

Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Schatke,

vielen Dank für Ihre Fragen.

1. Der Kampf gegen Gentrifizierung und soziale Segregation ist ein politischer Schwerpunkt der LINKEN in den davon betroffenen Stadtteilen und auch in der Bürgerschaft. Unsere Kritik richtet sich sowohl gegen die Verdrängung von Menschen aus ihren Wohnungen und Vierteln, die Instrumentalisierung von Bevölkerungsgruppen (Studierende, KünstlerInnen etc.) zur „Aufwertung“ von Stadtteilen, als auch gegen die öden, sterilen und videoüberwachten Yuppiequartiere, die bei solchen Verschiebeveranstaltungen letztlich herauskommen.
Um Gentrifizierungsprozesse in den betroffenen Vierteln – ob Schanze, St. Pauli, St. Georg oder neuerdings Wilhelmsburg – zu stoppen, fordern wir flächendeckende Soziale Erhaltensverordnungen (inkl. Umwandlungsverordnungen), die die Quartiere gegen die weitere Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen schützen. Das dazu gegenwärtig vorgeschriebene, bis zu zwei Jahre dauernde Prüfverfahren wollen wir durch ein beschleunigtes Verfahren nach Münchner Vorbild ersetzen. Wir treffen dabei stets auf den Widerstand der anderen Parteien, die - wenn überhaupt - nur im Schneckentempo von ihrem Pro-Gentry-Kurs abzubringen sind. Ich persönlich finde es schlicht erschütternd, dass GAL und SPD z. B. das Bernhard-Nocht-Quartier auf St. Pauli begrüßen und nichts dagegen einzuwenden haben, wenn am Grünen Jäger Eigentumswohnungen für fast 900.000 Euro das Stück entstehen. So können wir es nur als kleinen Teilerfolg verbuchen, dass auf Initiative der LINKEN nun doch eine Erhaltensverordnung für das Schanzenviertel eingeleitet wird.

Aus unserer Sicht muss aktiv auf eine sozialverträgliche Entwicklung der Quartiere hingesteuert werden. Dazu gehört insbesondere gezielter Sozialwohnungsbau und entschlossenes Vorgehen gegen die gerade in innenstadtnahen Bereichen besonders häufige Zweckentfremdung von Wohnraum (Praxen, Kanzleien, Büros). Langfristig leerstehender Büroraum sollte auch zwangsweise in Wohnraum umgewandelt werden können, wenn die schon gegebenen finanziellen Anreize nicht ausreichen. Auch das Mietrecht, die Berechnungsgrundlage des Mietspiegels etc. sollten die besondere Problemlage von Mietern in Ballungsräumen und innerstädtischen Quartieren stärker berücksichtigen. Mehr Informationen über unsere Forderungen können Sie zwei Broschüren der LINKEN zu Gentrifzierung und zur Wohnungsnot in Hamburg entnehmen:
[ http://fuer-ein-soziales-hamburg.de/fileadmin/Fraktion/Publikationen/Brosch%C3%BCre%20Wem%20geh%C3%B6ren%20die%20Quartiere_.pdf ]
und
[ http://fuer-ein-soziales-hamburg.de/fileadmin/Fraktion/Publikationen/Position_Wohnungspolitik.pdf ]

Abschließend zu diesem Punkt: Das „Recht auf Stadt“ muss aus unserer Sicht für die innenstadtnahen Quartiere wie auch für die Randlagen gelten. In manchen Stadtteilen an der Peripherie gibt es jenseits von Pommesbude und Supermarkt keinerlei sozialen oder kulturellen Treffpunkt. Es ist auch Aufgabe der Politik, durch bessere Nahverkehrsanbindungen, Investitionen in sozial-kulturelle Infrastruktur und Anreize für die Ansiedlung von Gastronomie, Kulturangeboten etc. die urbane Lebensqualität in Randlagen zu erhöhen.

2. Zum Altonaer Bahnhofsgelände: wir sind gegen die Schließung des Fernbahnhofs und seine Verlegung nach Diebsteich, wo wenig Menschen wohnen und die Nahverkehrsanbindungen schlecht sind. Wir sind auch gegen den Verkauf der Flächen an private Investoren. Privaten Investoren wurde viel zu lange Vorrang gegeben vor den Interessen der Anwohner, die aus unserer Sicht bei der Gestaltung ihrer Lebenswelt weit mehr Mitsprache- und Mitentscheidungsrechte bekommen müssen.

Ein „Zukunftsplan Altona“ erfordert deshalb aus unserer Perspektive eine transparente und verbindliche (!) BürgerInnenbeteiligung. Der Senat hat jedoch das gesamte Gelände zum Vorbehaltsgebiet erklärt, in dem der Bezirk bis mindestens 2025 keine Entscheidungsbefugnisse über die Gestaltung mehr hat. Sogenannte „Beteiligungs“-Projekten wie „Der Zukunftsplan – mehr Altona“ haben reinen Show-Charakter – die BürgerInnen sollen lediglich vollendete Tatsachen beklatschen oder Wünsche auf bunte Zettel schreiben, die dann in den Papierkorb
wandern, weil Senat und Investoren allein entscheiden. Die LINKE-Fraktion hat diese Pseudo-Beteiligungsgremien deshalb unter Protest verlassen.

Grundsätzlich sollten bei der Gestaltung die Bedürfnisse und Interessen der AnwohnerInnen – nach günstigem Wohnraum, nach sozialer und kultureller Infrastruktur, nach nichtkommerziellen Treffpunkten, Grünflächen und selbst gestaltbaren Räumen – zur Geltung kommen. Angesichts des großen Mangels an bezahlbarem Wohnraum in Altona halten wir 70 % Sozialwohnungen für notwendig.

3. Der Music Hall St. Pauli stehen wir ablehnend gegenüber. Aus unserer Sicht kann St. Pauli nicht noch mehr Events und Ballermann vertragen. Auf dem Areal der Alten Rindermarkthalle (Ex-real) wollen wir günstige Einkaufsmöglichkeiten für den täglichen Bedarf, aber weder Music Hall noch Shopping-Mall, und auch nicht noch mehr Büros und Gastronomie. Aus unserer Perspektive braucht St. Pauli: Begegnungsstätten, mehr Raum für Kinder und Jugendliche, einen großen Veranstaltungssaal für die AnwohnerInnen, eine Sporthalle, die den Sportvereinen und sozialen Einrichtungen offensteht und, ganz profan, mehr öffentliche Toiletten. All dies könnte und sollte auf diesem Areal realisiert werden. Absoluten Vorrang hat für uns jedoch auch hier ein ergebnisoffener und transparenter Planungsprozess, bei dem die AnwohnerInnen wirksame Gestaltungs- und Entscheidungsrechte haben. Die entsprechenden Anträge der LINKEN in der Bezirksversammlung Mitte wurden jedoch bisher von SPD, GAL und CDU abgelehnt.

Mit freundlichen Grüßen
Annette Sawatzki