Frage an Anne Rameil von Rainer W. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Rameil,
Die Europäische Union muss auf einem demokratischen Fundament aufgebaut werden.
In Deutschland wurde mit einer Mehrheit von 569 JA-Stimmen, 23 NEIN-Stimmen und 2 Enthaltungen im Bundestag die Europäische Verfassung ratifiziert. In Frankreich und in den Niederlanden gab es dagegen während der dortigen Referenden eine deutliche Ablehnung durch das Volk.
Ich meine, dass ein wichtiger Grund für das Scheitern des Verfassungsvertrags das fehlende Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in eine abgehobene EU-Politik ist.
Unzweifelhaft steht Europa vor großen Herausforderungen, die nur auf der Basis eines neuen Vertrages gelöst werden können. Eine so tief greifende Reform aber kann nur mit der ausdrücklichen Beauftragung durch die Bürgerinnen und Bürger gelingen!
A ) Erläutern Sie bitte kurz Ihre Einstellung zu diesem Thema.
B ) Sind Sie bereit in der kommenden Legislaturperiode persönlich und tatkräftig die Forderung zur Einleitung eines wirklich demokratischen Konvents- und Ratifikationsverfahrens zu unterstützen, für einen Vertragsentwurf dem die Menschen als akzeptablem Kompromiss vertrauensvoll zustimmen können. Das Verfahren soll aus folgenden Schritten bestehen:
1. Wahl der Konventsmitglieder direkt durch die Bürger.
2. Konventsverfahren: Der neue Konvent tagt und entscheidet öffentlich
3. Entscheidungsalternativen: Der Konvent entwickelt als Zwischenergebnis grundsätzliche Alternativentwürfe. In geeigneten Verfahren (z.B. Bürgerkonferenzen, Bürgergutachten, Befragungen oder Abstimmungen) werden diese Alternativen öffentlich debattiert.
4. Referendum über das Konventsergebnis zeitgleich in allen Mitgliedsstaaten.
Sehr geehrter Herr Wördehoff,
wir Grünen haben uns von Beginn an dafür eingesetzt, dass die EU-Verfassung auch in einem europaweiten Referendum angenommen werden soll. Leider konnte weder im Konvent noch in der Regierungskonferenz das notwendige Momentum für diesen Vorschlag erreicht werden. Nationale Referenden über eine europäische Sache sind nur der zweitbeste Weg. Schließlich haben die bisherigen Referenden gezeigt, dass oftmals auch innenpolitische Motive für das Abstimmungsverhalten entscheidend waren. Wir wollten diesen Weg dennoch gehen und haben mit der SPD einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, der die generelle Einführung von mehr direkter Demokratie ins Grundgesetz ermöglichen sollte. Leider konnten wir die CDU davon nicht überzeugen und somit konnte auch die notwendige 2/3-Mehrheit zur Änderung des Grundgesetzes nicht erreicht werden. Die FDP hatte einen Gesetzentwurf vorgelegt, der ein Referendum über die EU-Verfassung im Grundgesetz festschreiben sollte. Abgesehen davon, dass auch dieser an der CDU gescheitert wäre, haben auch wir ihn abgelehnt, da wir keine direkte Demokratie à la carte wollen, sondern mehr Bürgerbeteiligung in allen Politikbereichen anstreben.
Bündnis 90/Die Grünen unterstützen die EU-Verfassung. Bei der Abstimmung im Bundestag am 12.5. haben alle 55 grünen Abgeordneten mit Ja gestimmt.
Die Verfassung verbessert die rechtliche Grundlage der EU im Vergleich zum derzeit geltenden Vertrag von Nizza in vielen Bereichen. Die Rechte des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente werden ausgeweitet, zudem wird es für die Bürgerinnen und Bürger ein Initiativrecht geben. Die bislang unverbindliche Grundrechtscharta wird Teil der Verfassung und somit rechtsverbindlich. Die Entscheidungsprozesse werden effizienter, da es bei Abstimmungen im Minsterrat künftig weniger Veto-Möglichkeiten gibt. Einen Effizienzgewinn gibt es auch in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik durch die Schaffung des Amtes eines EU-Außenminsters. Die EU wird auch endlich transparenter: durch die Einführung der Abstimmung mit "doppelter Mehrheit" (Staaten und Bevölkerung) im Ministerrat, durch die Zusammenführung von EU- und EG-Vertrag und durch die Vereinfachung der bislang sehr unübersichtlichen Rechtsinstrumente und Verfahren. Außerdem wird der Minsterrat bei der Gesetzgebung künftig öffentlich tagen.
Natürlich haben wir Grünen auch Kritik an dieser Verfassung: wir hätten die EU gerne NOCH demokratischer, effizienter und transparenter gemacht. Auch sind einige Dinge enthalten, die unserer Ansicht nach in der Verfassung nichts zu suchen haben. Und anderes ist unterblieben, was uns wichtig gewesen ist. Wir wollten zum Beispiel im Rahmen des Verfassungsprozesses den Euratom-Vertrag abschaffen.
Aber man muss auch sehen: Diese Verfassung ist ein Kompromiss von 28 Staaten (die Kandidaten Rumänien, Bulgarien und Türkei waren an den Verhandlungen beteiligt) und von allen politischen Lagern. Die Verfassung ist der bestmögliche Kompromiss, der zum jetzigen Zeitpunkt möglich war. Sie ist aber nicht das Ende der Geschichte. Selbstverständlich wird auch diese Verfassung, die juristisch gesehen ein völkerrechtlicher Vertrag ist, in einigen Jahren wieder verändert (wie vorher die Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza). Dann wird es wieder die Möglichkeit geben, weitere Verbesserungen zu erreichen.
Nach den ablehnenden Referenden in Frankreich und den Niederlanden hat der Europäische Rat im Juni beschlossen, eine "Denkpause" beim Ratifizierungsprozess einzulegen. Wir halten diesen Beschluss für richtig, da jetzt Wege gesucht werden müssen, wie die Verfassung mit ihren wichtigen Verbesserungen gerettet werden kann. Dafür hat zur Zeit noch niemand das Patentrezept. Wir lehnen Neuverhandlungen ab, da wir nicht glauben, dass dabei eine bessere Verfassung herauskommen würde. Wir lehnen es aber auch ab, dass die Verfassung jetzt filettiert wird und sich jeder den Teil herauspickt, der ihm am besten gefällt. Eine mögliche Option wäre die Teilung der Verfassung in einen Grundlagenteil und einen Ausführungsvertrag, der den am meisten umstrittenen Teil III umfassen soll. Dieser Ausführungsvertrag sollte dann auch einfacher abänderbar sein.
Mit freundlichen Grüßen,
Anne Rameil