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Annalena Baerbock
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Thomas M. •

Frage an Annalena Baerbock von Thomas M. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrte Frau Baerbock,
berufliche Bildung ist meines Erachtens ein wichtiger Stützpfeiler der deutschen Wirtschaft. Vielleicht können Sie dem zustimmen.
Berufliche Bildung gerät aus meiner Sicht immer mehr aus dem Fokus. Es gibt 325 anerkannte Ausbildungsberufe in Deutschland, mehr als 20.000 anerkannte Studiengänge. Die Zahl der Auszubildenden geht seit Jahren zurück. Die Hochschulen melden immer neue Rekorde bei Einschreibungen und Abschlüssen. Die Abbrecher-Quoten in der beruflichen, wie in der akademischen Ausbildung steigt und befindet sich seit Jahren auf hohem Niveau. Volkswirtschaftlich und gesellschaftlich m.E. ein riesen Problem. Der Nachwuchsmangel – nicht nur in den Fachberufen – ist immens.
Die Maßnahmen zur Berufsorientierung sind seit mehr als 30 Jahren sehr ähnlich und passen sich in Variationen lediglich dem Mediennutzungsverhalten der Zielgruppe an.
• Welche Positionen beziehen Sie zur beruflichen Bildung v.s. akademischer Bildung?
• Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, um dem Nachwuchsmangel zu begegnen?
• Haben Sie eine akademische oder/und eine berufliche Ausbildung absolviert?
• Ist eine Berufsorientierung ab der neunten Klasse sinnvoll?
• Sollte eine Berufsorientierung schon früher beginnen?
• Wie betrachten Sie die Möglichkeiten, die das außerschulische Lernen bieten?
• Wie bewerten Sie außerschulische Erfahrungen mit curricularem und beruflichem Bezug für Kinder und Jugendliche.
• Könnten Sie sich vorstellen, dass das außerschulische Lernen verbindlich in den Schulalltag integriert wird – und Teil der Stundentafel wird?
• Heißt für Sie Chancengleichheit im Bildungskontext, dass alle Schülerinnen und Schüler zum Abitur befähigt werden müssen/sollen?
• Heißt für Sie Chancengleichheit im Bildungskontext, dass alle Menschen studieren können sollten?
• Welchen Wert hat die berufliche Bildung, wenn es um Chanchengleichheit geht?
Das sind nur ein paar wenige Fragen, die mich im Bereich der allgemeinen und berufli

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr M.,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Wir versuchen, Ihre vielen Fragen zum umfänglich wie möglich zu beantworten:

• Welche Positionen beziehen Sie zur beruflichen Bildung v.s. akademischer Bildung?
Wir wollen, dass berufliche und akademische Bildung gleichwertige Chancen auf ein erfolgreiches Arbeitsleben bieten und so eine echte Wahlfreiheit für junge Menschen besteht. Dafür müssen alle Berufsschulen gut ausgestattet sein und muss allen Auszubildenden ein eigenständiges Leben ermöglicht werden – durch eine Mindestausbildungsvergütung von mindestens 80 Prozent der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütungen. Das Schulgeld für schulische Erstausbildungen wollen wir abschaffen und für mehr Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung sorgen. Abschlussvoraussetzungen für die Eingruppierung in Entgeltgruppen des öffentlichen Dienstes im gehobenen und höheren Dienst wollen wir im Bund flexibilisieren und die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung bei Ausschreibungen der Bundesbehörden stärken.

• Welche Maßnahmen sollten ergriffen werden, um dem Nachwuchsmangel zu begegnen?
Trotz des enormen Fachkräftemangels sinkt die Zahl der jungen Menschen, die eine Berufsausbildung beginnen. Gleichzeitig landen immer mehr in den Warteschleifen des Übergangssystems. Wir wollen mit einer Ausbildungsgarantie allen jungen Menschen den Beginn einer Ausbildung und allen Betrieben die Teilnahme an der Ausbildung ermöglichen. Das duale System der Berufsausbildung braucht aber auch ein starkes Ausbildungsengagement der Betriebe. Die Ausbildungsbeteiligung von Betrieben ist seit Jahren rückläufig. Nicht zuletzt der pandemiebedingte Einbruch wird die Ausbildungsplatzsuche junger Menschen zusätzlich erschweren. Mit dem Ausbau der assistierten Ausbildung und ausbildungsbegleitender Hilfen sorgen wir dafür, dass Jugendliche und Betriebe bei der Ausbildung im Betrieb besser unterstützt werden. Unternehmen, die ausbilden wollen, werden wir über eine Umlagefinanzierung unterstützen. Zudem wollen wir verstärkt Verbundausbildungen fördern und nutzen, wo notwendig, auch außerbetriebliche Ausbildungen, um regionale Unterschiede auszugleichen.

• Haben Sie eine akademische oder/und eine berufliche Ausbildung absolviert?

Baerbock hat in Hamburg und London studiert und ihr Studium an der London School of Economics and Political Science (LSE) mit einem vollwertigen Master-Abschluss, einem Master of Laws in Public International Law, abgeschlossen.

• Ist eine Berufsorientierung ab der neunten Klasse sinnvoll? Sollte eine Berufsorientierung schon früher beginnen?
Jede Ausbildung beginnt mit guter Beratung. Die frühe Kontaktaufnahme und praxisnahe Beratung in der Schulzeit sind aus unserer Sicht sehr wichtig, um junge Menschen für eine Berufsausbildung zu motivieren. Denn gute Beratung ist der Schlüssel, um Vorurteilen oder falschen Erwartungen und damit letztlich Ausbildungsabbrüchen entgegenzuwirken. Wir wollen deshalb praxisnahe Berufsorientierung stärken und möglichst flächendeckend für alle Schüler*innen ab der siebten Jahrgangsstufe anbieten. Um stabile Brücken in die Ausbildung zu bauen, ist es zudem wichtig, dass alle beteiligten Stellen ihre Bemühungen bündeln und über institutionelle Grenzen hinweg kooperieren.

• Wie betrachten Sie die Möglichkeiten, die das außerschulische Lernen bieten? Wie bewerten Sie außerschulische Erfahrungen mit curricularem und beruflichem Bezug für Kinder und Jugendliche? Könnten Sie sich vorstellen, dass das außerschulische Lernen verbindlich in den Schulalltag integriert wird – und Teil der Stundentafel wird?
Junge Menschen lernen selbstverständlich nicht nur in der Schule oder im Betrieb. Ob Sportverein, Jugendclub, Musik und Theater oder ehrenamtliches Engagement – überall machen junge Menschen auch außerhalb des Unterrichts wichtige alltagsnahe Lern- und Lebenserfahrungen. Außerschulische Angebote sollten aus unserer Sicht deshalb eng mit der Schule verzahnt werden. Insbesondere der Ausbau guter Ganztagsangebote bietet neue Möglichkeiten, um Schule als vielfältigen Lebensort zu gestalten, dessen Angebote weit über die reine Wissensvermittlung hinausgehen. Wir wollen, dass Schulen, in denen Kinder und Jugendliche einen Großteil ihrer Zeit verbringen, neben Orten der Wissensvermittlung auch lebendige Werkstätten der Demokratie werden. Außerschulisches Lernen spielt dabei eine wichtige Rolle. So setzen wir uns bspw. dafür ein, das Konzept einer Bildung für nachhaltige Entwicklung als selbstverständliche Querschnittsaufgabe des Bildungswesens am Lernort und im Sozialraum Schule zu verankern und wollen Bildungseinrichtungen zu Orten des Engagement entwickeln, in denen junge Menschen ganz selbstverständlich mitgestalten können.

• Heißt für Sie Chancengleichheit im Bildungskontext, dass alle Schülerinnen und Schüler zum Abitur befähigt werden müssen/sollen? Heißt für Sie Chancengleichheit im Bildungskontext, dass alle Menschen studieren können sollten?
Chancengleichheit heißt für uns: Das staatlich finanzierte Bildungssystem muss ungleiche Startbedingungen ausgleichen, damit alle Kinder die Chance auf eine gute Ausbildung erhalten. Dies bedeutet auch, dass wir dort, wo mehr Unterstützung gebraucht wird, stärker fördern wollen. Grundsätzlich sind wir der Überzeugung, dass kein Abschluss ohne Anschlussmöglichkeit bleiben sollte, wenn Menschen auch dem ersten Schulabschluss weiter lernen wollen. In Bezug auf das Verhältnis von beruflicher und akademischer Bildung bedeutet Gleichwertigkeit für uns, dass junge Menschen echte Wahlfreiheit haben sollen. Wir sind überzeugt, dass Deutschland Meister und Master braucht. Wir wollen, dass alle Menschen ihre Berufswahl unabhängig von Geldbeutel und Beruf ihrer Eltern entsprechend ihren persönlichen Neigungen, Interessen und Talenten selbstbestimmt treffen können. Dafür wollen wir die Grundlagen schaffen.

• Welchen Wert hat die berufliche Bildung, wenn es um Chancengleichheit geht?
Die berufliche Bildung eröffnet jungen Menschen gute berufliche Perspektiven und sorgt für Teilhabe an Arbeitsmarkt und Gesellschaft. Das Lernen in Betrieb und Berufsschule ist für uns deshalb eine unverzichtbare Säule eines inklusiven und gerechten Bildungssystems, in dem alle jungen Menschen unabhängig von ihrer sozialen oder regionalen Herkunft die Chance auf einen guten Berufsabschluss und ein selbstbestimmtes Leben erhalten.

Mit besten Grüßen
Team Annalena Baerbock

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