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Frage von Peter J. •

Frage an Annalena Baerbock von Peter J. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Fr Baerbock
In Vorbereitung für die kommenden Bundestagswahlen möchte ich mich über die persönlichen Ansichten und die ihrer Partei zu verschiedenen Themen informieren.
Meine Frage:
Welchen Vorteil haben Leerverkäufe an der Börse für die Volkswirtschaft?
Zusatzfrage:
Wenn es keine Vorteile sondern nur Nachteile gibt, warum sind sie erlaubt?

Mit freundlichen Grüßen
P. J.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr J.,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Wie viele andere Finanzinstrumente auch sind Leerverkäufe unserer Einschätzung nach ein zweischneidiges Schwert. Einerseits bieten sie AnlegerInnen und Unternehmen nützliche Vorteile und können zu einem besseren Funktionieren der Finanzmärkte beitragen. Werden sie missbraucht oder zu exzessiven Spekulationen genutzt, können sie andererseits Unternehmen und Märkte destabilisieren.

Zunächst sind die Vorteile von gedeckten Leerverkäufen anzuerkennen. Im Gegensatz zu nackten Leerverkäufen, die in der EU nicht zulässig sind, werden bei gedeckten Leerverkäufen tatsächlich Aktienpakete ausgetauscht. Das führt zu einer höheren Anzahl von Transaktionen und damit zu mehr Liquidität in den Märkten. Eine hohe Liquidität wiederum kann zu einem effizienteren Marktmechanismus beitragen, weil viele VerkäuferInnen und KäuferInnen an den Börsen zusammengeführt werden können. Das ist auch für KleinanlegerInnen positiv.

Auch dienen Leerverkäufe nicht ausschließlich der Spekulation, um bewusst mit fallenden Märkten und quasi auf dem Rücken der Verlierer Geld zu machen. Einem Großteil der MarktteilnehmerInnen dient die Möglichkeit der Leerverkäufe dazu, das Depot gegen Risiken abzusichern. So kann es beispielsweise sein, dass ein großer Pensionsfonds, der die Altersbezüge vieler ArbeitnehmerInnen verwaltet, auf steigende Märkte setzt, sich aber gleichzeitig gegen starke Schwankungen oder fallende Märkte absichern muss. Auch dieses Marktverhalten ist sicherlich nicht moralisch verwerflich. Marktplätze, die Leerverkäufe komplett verbieten, sind für solche Pensionsfonds nicht geeignet; die Fonds bleiben fern und die Liquidität am Markt bleibt aus.

Schließlich können Leerverkäufe dazu beitragen, die Entwicklung von Spekulationsblasen einzudämmen. In einer Blase an den Finanzmärkten gibt es relativ viele AnlegerInnen, die sehen, dass ein Kurs steigt und da raufspringen. Negative Informationen über Unternehmen werden dabei oft ausgeblendet. Daher kann ein Leerverkauf diese negative Information in den Kapitalmarkt bringen. Denn Marktakteure, die eine Branche oder ein Unternehmen für stark überbewertet halten, tragen mit Leerverkäufen dazu bei, dass sich der Preis eher bei einem fairen Niveau einpendelt. Ohne diese Gegenbewegungen würden Blasen viel zu spät platzen und volkswirtschaftliche Schäden wären noch immenser.

Schlussendlich – wie das Beispiel Wirecard kürzlich, vorher aber auch schon andere Fälle wie z.B. Enron, gezeigt haben – können LeerverkäuferInnen mit ihren Analysen auch dazu beitragen, dass Betrügereien in die Öffentlichkeit getragen werden und so früher aufgedeckt werden.

Gleichwohl gilt eben auch bei Leerverkäufen, dass Exzesse und Missbrauch dem Markt und den TeilnehmerInnen Schaden zufügen. Daher ist es für den Gesetzgeber und die Finanzaufsicht, also in Deutschland die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), wichtig, Rahmenbedingungen für faire und integre Märkte zu setzen.

Denn auf fallende Kurse zu wetten, ist eine Sache. Den Fall der Kurse aber bewusst zu beeinflussen und zu verursachen, eine andere und eine höchst diskussionswürdige dazu. Denn richtig ist auch, dass einige Leerverkäufer in der Vergangenheit Unternehmen geschädigt haben indem sie die Aktien leihen, verkaufen und anschließend Informationen verbreiten, die nicht der Wahrheit entsprechen, um den Aktienkurs unter Druck zu setzen. Diese sogenannten „Short and Distort“-Strategien schädigen die AnteilseignerInnen und können auch das Unternehmen viel Geld kosten und in Extremfällen – z.B. wenn es akuten Kapitalbedarf hat – in die Insolvenz treiben.

Auch beobachten wir eine Zunahme von spekulativen Transaktionen in Märkten, um Preise in eine Richtung zu treiben, die im Sinne der jeweiligen SpekulantInnen ist. Das wird insbesondere dann dramatisch und ethisch höchst fragwürdig, wenn es sich dabei um Warenterminmärkte handelt und sich dadurch die Referenzpreise für Nahrungsmittel stark erhöhen. Während einige große Investoren damit Geld aus Geld machen, verlieren viele Menschen weltweit die Möglichkeit, sich mit dem täglichen Bedarf an Lebensmitteln zu versorgen. Hier muss global gehandelt werden und Überlegungen stattfinden, ob und wie bestimmten Akteuren Investitionen in sensiblen Märkten gewährt wird. Auch wenn eine erhebliche Marktstörung droht, die schwerwiegende Gefahren für die Gesamtwirtschaft und das Finanzsystem erwarten lässt, müssen die Leerverkäufe eingeschränkt werden können.

Aufgrund der aufgezeigten Vor- und Nachteil von Leerverkäufen plädieren wir nicht für ein allgemeines Verbot. Es gilt stattdessen Leerverkäufe so zu regulieren, dass Missbrauchsmöglichkeiten und Nachteile minimiert werden, ohne auf die Vorteile verzichten zu müssen. Deshalb haben wir uns in der Vergangenheit bereits für eine stärkere Regulierung von Leerverkäufen eingesetzt. Sogenannte ungedeckte Leerverkäufe sind auch auf Druck der Grünen heute in der EU verboten. Meldepflichten sorgen dafür, dass Leerverkäufer ihre Positionen ab einer bestimmten Schwelle offenlegen müssen. In besonderen Fällen können allgemeinere Leerverkaufsverbote erlassen werden.

Der Fall Gamestop hat nochmals ein Schlaglicht auf die Gefahren von Leerverkäufen und Spekulation in Finanzmärkten gelegt. Es gilt nun diesen zu analysieren und die richtigen Lehren für die Regulierung daraus zu ziehen.

Mit freundlichen Grüßen
Team Annalena Baerbock

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