Frage an Annalena Baerbock von Janina M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Baerbock,
die Diskussionen in der Politik über soziale Ungerechtigkeiten und die Umverteilung von Geld innerhalb der Gesellschaft sehe ich prinzipiell positiv und ich bin froh, dass wir in Deutschland einen sehr breiten und gut aufgestellten Sozialstaat haben, der finanziell schwächer ausgestatteten Menschen hilft und sie unterstützt.
Dennoch stellt sich die Frage der Finanzierung des Sozialstaates und der damit einhergehenden Belastung der arbeitenden Bevölkerung, die die verteilten Gelder erst einmal erwirtschaften muss. Laut einem Bericht der Zeitung „Die Welt“ ist Deutschland mittlerweile bei Steuern- und Sozialabgaben weltweit Spitzenreiter. Dies bedeutet, dass in keinem anderen Land der Welt so wenig vom Bruttogehalt als Netto übrig bleibt. Bei mir werden nun fast 60% meines Gehaltes für Steuern und Sozialabgaben abgeführt. Da ich berufsbedingt in einer Stadt mit ständig steigenden Wohnkosten lebe, habe ich nach Abzug von Steuern, Sozialabgaben und den Kosten für Miete, Strom und Heizung etwa genau so viel zum Leben wie ein Empfänger von Arbeitslosengeld II, obwohl ich wöchentlich 48 Stunden hart und engagiert arbeite.
Ist dies gerecht? Lohnt sich Leistung in Deutschland überhaupt? Wie kann die arbeitende Bevölkerung endlich entlastet werden? Streben Sie und Ihre Partei eine baldige Senkung der Steuern und Sozialabgaben an, damit sich Arbeit, Fleiß und Leistung endlich auch lohnt und es mehr Netto vom Brutto gibt?
Ich bedanke mich schon im Voraus für Ihre Rückmeldung.
Mit freundlichen Grüßen
Janina Meier
Sehr geehrter Frau Meier,
vielen Dank für Ihre Nachricht und bitte entschuldigen Sie die späte Antwort.
Gerecht, ökologisch, wirtschaftlich vernünftig und offen für verschiedene Familienmodelle - so sollte unser Steuersystem sein. Daher gehört für uns Grüne auch zum Verständnis von Gerechtigkeit, dass wer mehr Geld besitzt, auch mehr davon abgeben kann. Die Realität in Deutschland sieht aber nicht so aus. Für Einkommensmillionär*innen, Konzerne und Vermögende gibt es zu viele Möglichkeiten, auf Kosten der Gemeinschaft den Steuerbeitrag zu minimieren. Die Förderung unserer Kinder hängt noch immer vom Trauschein ihrer Eltern ab. Auch Alleinerziehende und Frauen werden durch das Steuerrecht diskriminiert, denn ihre Lebensrealitäten werden einfach oft nicht mitgedacht. Schließlich werden Ressourcen in Deutschland sehr unterschiedlich besteuert. So finanzierte 2017 der Faktor Arbeit 63,3 Prozent unserer Staatseinnahmen – der Anteil von Kapital lag hingegen bei nur 13,2 Prozent und der der Umweltbelastung bei lediglich 4,3 Prozent.
Die Folge ist, dass die Gesellschaft nicht nur ökonomisch auseinander driftet, sondern sich auch Chancen immer ungleicher verteilen und die sozialen Spannungen zunehmen. Um diesem Trend entgegenzuwirken, braucht es eine angemessene Vermögensbesteuerung, einen fairen Einkommensteuertarif, eine funktionierende CO2-Bepreisung und vor allem müssen Steuervermeidungspraktiken endlich effektiv eingedämmt werden.
Die Belastung für die reichsten Einkommensgruppen ist in den letzten 20 Jahren stark gesunken, am meisten für die Spitzenverdiener*innen. Für die untersten 5 Prozent ist die Steuerbelastung hingegen angestiegen.
Ein Grund hierfür ist die Abnahme des Spitzensteuersatzes. Ferner wurden in den letzten Jahrzehnten die Unternehmenssteuern gesenkt und die Abgeltungsteuer eingeführt – Entlastungen, die Haushalten mit sehr hohen Einkommen zugutekamen. Zugleich sind die Top-Einkommen deutlich stärker gestiegen als die Durchschnittseinkommen. Geringverdienende und Mittelschichten hatten dagegen nur geringe Einkommenszuwächse, die durch höhere indirekte Steuern, wie beispielsweise die Umsatzsteuer, und anhaltend hohe Sozialbeiträge belastet wurden.
Wir Grüne setzen uns daher für eine Entlastung unterer und mittlerer Einkommensbezieher*innen ein, u.a. durch einen spürbar höheren Grundfreibetrag - von dem im Übrigen alle Einkommensteuerzahler*innen am Ende des Monats etwas hätten. Familien sollen zudem durch eine Kindergrundsicherung profitieren, denn vom Kinderfreibetrag erhalten ausgerechnet nur Kinder reicher Eltern etwas. Zudem muss die ungleiche Besteuerung von Arbeit und Kapital ein Ende haben. Denn wie Sie richtig sagen, gilt in Deutschland nach wie vor das Prinzip der Leistungsfähigkeit, welches sich im Steuerrecht in allen Bereichen niederschlagen muss.
Mit freundlichen Grüßen
Team Annalena Baerbock