Frage an Annalena Baerbock von Jonathan S. bezüglich Verkehr
Sehr geehrte Frau Baerbock,
ich wohne in einer Mietwohnung in einer relativ kleinen Stadt im ländlichen Baden-Württemberg. Ich würde mir gern ein Elektroauto kaufen, um die Welt zu retten. Bedauerlicherweise gibt es für Menschen wie mich, die kein eigenes Haus haben aktuell keine Möglichkeit ein Elektroauto zu laden (außer vielleicht auf dem Parkplatz des Edeka und dort auch nur während des Einkaufs). Meine Frage an Sie lautet nun wie folgt:
- Was tut Ihre Partei, damit es in naher Zukunft ein flächendeckendes Schnellladesystem für Elektroautos auch im ländlichen Raum gibt? Ich habe hierzu nichts auf der Internetpräsenz Ihrer Partei gefunden.
Ich hoffe, dass Sie mir in meine Frage kompetent beantworten können.
Herzliche Grüße sendet Ihnen
J. S.
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich Ihnen gerne beantworte.
Sie haben vollkommen recht: Die Ladeinfrastruktur erweist sich weiterhin als wesentliches Hemmnis für den Kauf eines Elektroautos. Ganze Landstriche müssen ohne Ladesäulen auskommen, weil bürokratische Hürden und zu grobe Zielvorgaben im Förderprogramm der Bundesregierung bislang keinen schnellen und flächendeckenden Ausbau des Ladenetzes ermöglicht haben. An den bestehenden Säulen zeigt sich wiederum ein Wildwuchs der Bezahlmöglichkeiten: Kostenüberraschungen beim E-Roaming und eine unüberschaubare Fülle von Ladekarten und Lade-Apps gehören weiter zum Alltag von E-AutoFahrern. Die Bundesregierung versäumt die nötige Standardisierung der Ladeinfrastruktur, z. B. durch die Einführung verbraucherfreundlicher Vorgaben für das E-Roaming und für die Bezahlsysteme für das spontane Laden. Das hemmt die Nutzung von Lademöglichkeiten genauso wie die dürftige Ladesäulen-Datenbank der Bundesnetzagentur, in der noch nicht einmal der aktuelle Belegungszustand der Ladesäulen abrufbar ist.
Solange das Aufladen von E-Autos nicht so einfach und komfortabel wie das Tanken von Verbrennern ist, kann der Durchbruch der Elektromobilität nicht gelingen. Bei der privaten Ladeinfrastruktur fehlt die Unterstützung der Bundesregierung völlig,
obwohl sie selbst davon ausgeht, dass künftig rund 85 Prozent der Ladevorgänge im privaten Bereich erfolgen werden, zum Beispiel daheim oder beim Arbeitgeber. In Mehrfamilienhäusern scheitern E-Auto-Besitzer aber regelmäßig daran, Ladepunkte
an den Hausparkplätzen zu installieren, da die Zustimmung der Vermieter oder der Eigentümerversammlung nötig ist. Es ist unverständlich, dass die Bundesregierung bislang keine Verbesserungen beim Mietrecht auf den Weg gebracht hat. Eine grundlegende Reform des Wohnungseigentumsrechts, die auch die Elektromobilität in Mehrfamilienhäusern stärkt, hat sie zudem immer wieder verzögert. Erst in den letzten Monaten wurde eine entsprechende Bund-Länder-Arbeitsgruppe gegründet. Damit ist wertvolle Zeit verloren gegangen.
Außerdem hat die Bundesregierung bis heute keine bundesweiten Vorgaben festgelegt, um schon bei Neubau oder Sanierung von Gebäuden Lademöglichkeiten einzubauen. Die neue EU-Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, die bei Neubau oder Sanierung eine Mindestquote von Ladesäulen an Stellplätzen vorschreibt, greift viel zu kurz, sodass die Umsetzung in nationales Recht deutlich ambitionierter ausfallen muss. Die Ladevorgänge selbst müssen effizienter werden, was durch eine Modernisierung der Strommärkte erreicht werden kann. E-Auto-Besitzer sollten mit günstigeren Strompreisen belohnt werden, wenn sie in Zeiten mit besonders hoher Stromverfügbarkeit laden – beispielsweise nachts. Damit mehr private Lademöglichkeiten installiert werden, muss die Bundesregierung die Möglichkeiten der energetischen Stadt- und Quartierssanierung nutzen und die Programme der KfW- oder Städtebauförderung entsprechend erweitern.
Bei Mehrfamilienhäusern und Personen wie Ihnen, die kein eigenes Haus besitzen und damit ohne eigene Stellplätze sind, muss der notwendige Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur verstärkt erfolgen, jedoch ohne die Konkurrenz um das knappe Gut des öffentlichen Raums weiter zu verschärfen.
Dazu braucht es nach Ansicht von Bündnis 90/Die Grünen unter anderem:
- einen Gesetzentwurf zur Änderung des Miet- und Wohneigentumsrechts vorzulegen, der es Mietern und Wohnungseigentümern in Mehrfamilienhäusern erleichtert, Ladepunkte an den Hausparkplätzen zu installieren, eine weitergehende,
umfassende Reform des Wohnungseigentumsrechts vorzunehmen sowie darüber hinaus Vorgaben für eine Mindestquote von Ladepunkten an Stellplätzen bei Neubau oder Sanierung von Gebäuden festzulegen, die deutlich über die EU-Vorgaben in der Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden hinausgehen;
- das Förderprogramm für die öffentliche Ladeinfrastruktur finanziell so aufzustocken, dass es der Zielsetzung des Koalitionsvertrages, „bis 2020 mindestens 100.000 Ladepunkte für Elektrofahrzeuge zusätzlich verfügbar zu machen“, gerecht werden kann;
- die Vorgaben für neue Ladesäulen um einheitliche Standards für das E-Roaming und präzisere Anforderungen für das spontane Laden zu erweitern, die Pflicht zur Übermittlung von Ladesäulendaten an die Bundesnetzagentur um weitere anonymisierte Daten, insbesondere zum Belegungsstand, zu ergänzen und bei der Bundesnetzagentur eine neutrale und umfassende Datenplattform mit offener und kostenfreier Schnittstelle für App-Entwickler bzw. Drittanbieter einzurichten;
Weitere Infos dazu und vielen weiteren verkehrspolitischen Themen finden Sie fortlaufend unter https://www.gruene-bundestag.de/themen/mobilitaet
Mit herzlichen Grüßen
Annalena Baerbock