Frage an Annalena Baerbock von Michael S. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Baerbock,
Wie stehen Sie als Vorsitzende der Grünen zum Thema der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen KiTa-Platz?
Wie Sie wissen, ist v.a. in den Großstädten Deutschlands der Bedarf an Kita-Plätzen zu 50% ungedeckt. Nun ist dieser Rechtsanspruch kein neues Thema - aber auch in grün-regierten Körperschaften wie Baden-Württemberg und Stuttgart ist die Lage kein bisschen besser als etwa in Köln, München oder Hamburg. Dass dieses Thema keineswegs Schicksal ist, mithin maßgeblich von der Tatkraft von Politikern abzuhängen scheint, zeigt das Beispiel Tübingen, wo es unter einem grünen OB kein besonderes Kita-Platz-Problem gibt. Was gedenkt die grüne Partei zu unternehmen, um „Tübinger Verhältnisse“ überall zu etablieren?
Wie stehen die grüne Partei zur Neuordnung der frühkindlichen Erziehung (auch vor dem Hintergrund der umfassenden Integrationsaufgaben und dem hierzulande pathologisch unerfüllten Chancengleichheitsgebot) und damit zur zwingend erforderlichen Aufwertung des Erzieherberufs vom Betreuer- zum Bildungs- und Erziehungsparadigma? Und wie stehen Sie zur entsprechenden wirtschaftlichen Neupositionierung dieser Tätigkeit - auch als Anreiz, um hochqualifizierte junge Menschen in ausreichender Anzahl hierfür zu gewinnen?
Stimmen Sie mir zu, dass zwar über „me-too“-Themen und Quoten für weiblich besetzte Führungspositionen trefflich räsoniert wird, dass aber die Mängel in der gesellschaftlich-organisierten Kinderbetreuung objektiv nach wie vor auf dem Rücken erwerbstätiger und oftmals - wie im Falle meiner Schwiegertochter - hochqualifizierter Mütter ausgetragen werden? Quoten für Frauen in Führungsetagen, aber de facto Dr.-Ingenieurinnen zuhause an den Herd? Und das auch in seit fast einer Dekade grün-regierten Ländern und Städten? Was meinen Sie: könnte man sich „bessere“ Beispiele für Symbolpolitik ausdenken?
Mit gespanntem Interesse auf Ihre geschätzte Antwort & dabei mit freundlichen Grüßen
M. S.
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Die grüne Bundestagsfraktion steht für eine zeitgemäße Familienpolitik, die sich an den Bedürfnissen der Eltern und Kinder orientiert.
Der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ist eine bundesgesetzliche Regelung, die wir unterstützen. Genauso fordern wir, dass Kinder ab dem zweiten Lebensjahr bis zum Ende der vierten Klasse einen Rechtsanspruch auf ein ganztägiges Angebot frühkindlicher Bildung und Betreuung bekommen. Der Bund muss diesen Ausbau mitfinanzieren. Die Ausgestaltung der Rechtsansprüche liegt allerdings in der Verantwortung der Länder und Kommunen. Aber auch wenn der Bund hier finanziell unterstützt, volle Auftragsbücher der Baufirmen und fehlende Fachkräfte sind an vielen Orten das Problem, wenn der Bedarf an Betreuungsplätzen nicht erfüllt werden kann. Dennoch sieht man an den neuesten Zahlen zum Kitaausbau, das die Betreuungsquote der über dreijährigen Kinder bei über 90 Prozent liegt. Nun gilt es, auch für bei den unter dreijährigen Kindern eine Steigerung zu erzielen. Dazu muss es neben dem Platzausbau auch eine bundesweite Fachkräfteoffensive und eine Aufwertung des Berufs der ErzieherIn durch bessere Bezahlung, mehr Personal in den Einrichtungen und mehr Mitsprache und Aufstiegsmöglichkeiten geben.
Wir haben uns in der Debatte um das sogenannte "Gute-Kita-Gesetz" im letzten Jahr für eine Verbesserung des Betreuungsschlüssels in allen Kitas eingesetzt, damit ErzieherInnen ausreichend Zeit für die Kinder, für Vor- und Nachbereitung und Elterngespräche haben. Das sollte unserer Auffassung nach gesetzlich bundesweit sichergestellt werden. Nur so sichern wie einen bundesweiten Mindeststandard bei der Betreuung. Das verabschiedete Gesetz sieht aber vor, dass die Länder mit dem Bund individuelle Vereinbarungen treffen, wie sie das vom Bund bereit gestellte Geld verwenden. Nicht in allen Ländern wird es für die Verbesserung der Personalsituation, längere Betreuungszeiten oder andere Qualitätsverbesserungen eingesetzt, sondern vorrangig für die Befreiung der Eltern von den Gebühren. Daher wird es auch weiterhin so sein, dass es in Deutschland große Unterschiede gibt, wie viele Kinder eine Erzieherin oder ein Erzieher betreut oder wie lange eine Kita geöffnet hat.
Damit Eltern sich nach der Geburt eines Kindes ihre Erziehungsverantwortung besser aufteilen können, wollen wir eine "KinderZeit Plus" einführen. Jeder Elternteil hat Anspruch auf acht Monate Unterstützung. Weitere acht Monate können die Eltern frei untereinander aufteilen. Im ersten Lebensjahr des Kindes können beide Eltern - nacheinander oder gleichzeitig - vollständig aus dem Beruf aussteigen. Danach wird eine Reduzierung der Arbeitszeit finanziell abgefedert. Um sich das Mehr an Zeit für die Familie leisten zu können, gleichen wir das geringere Einkommen mit einer Lohnersatzleistung aus.
Damit Eltern Zeit für ihre Kinder oder Familienangehörigen haben und trotzdem ihrer Berufstätigkeit nachgehen können, brauchen sie flexible Arbeitszeiten. Egal ob sie in einer Führungsverantwortung sind oder nicht. Das haben wir in der Fraktion mit unserem Konzept "flexible Vollzeit" beschlossen, mit der Beschäftigte ihre Arbeitszeit um bis zu zehn Wochenstunden reduzieren und wieder erhöhen können.
Wenn Sie darüber hinaus Interesse an unserer grünen Familienpolitik haben, können Sie gern auf unserer Webseite weiter nachlesen:
https://www.gruene-bundestag.de/themen/familie
Mit freundlichen Grüßen
Annalena Baerbock