Frage an Annalena Baerbock von Thomas G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Liebe Annalena Baerbock,
wie stellen Sie sich vor, dass die Gewaltenteilung von exekutiver, legislativer und judikativer Gewalt gestärkt werden kann?
Wie könnten die Abstimmungen und die Sachthemen im Bundestag mehr zu Gewissensentscheidungen des einzelnen Angeorneten werden?
Viel mehr als bisher in der "Berliner Republik" verwirklicht stelle ich mir vor, dass die Parlamente und die Kabinette sich an die Präambel und die 146 Artikeln des Grundgesetzes binden, auf die Minister, Präsidenten. Kanzler, Staatssekretäre, Landräte, Richter, Staatsanwälte Bürgermeister, Soldaten, Polizisten und Lehrer (sofern Beamte) vereidigt werden.
Dass Gesetzgebungsverfahren immer mehr zu Lobby-Veranstaltungen entwickeln ist nicht
im Sinne des Volkes, "dem wahren Souverän", sondern Ausdruck einer "Lobby-Kratie" im Gegensatz zur "Demo-Kratie".
Wie können Sie persönlich darauf hin wirken, vorausgesetzt Sie
erhalten ein Abgeordnetenmandat bei dieser Wahl und wie verwirklichen Sie dieses bereits jetzt verantwortlich als Bürger und/oder Mandatsträger in dieser Republik?
Und eine letzte Frage an den Abgeordneten / die Abgeordnete meines Wahlkreises:
Wie können parteiunabhängige Kandidaten über aussichtsreiche Listenplätze Ihrer Partei in die Parlamente gewählt werden?
Besten Gruß
Thomas Gamer ( Freier Journalist )
Sehr geehrter Herr Gamer,
vielen Dank für Ihre Fragen. Ich versuche trotz der Komplexität nicht allzu lang zu werden.
In Sachen Gewaltenteilung sprechen sie einen großen Punkt an. Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass wir in Deutschland, verglichen mit vielen anderen Staaten dieser Erde, ganz gut aufgestellt sind, was Demokratie, Freiheit und Teilhabe anbelangt. Doch darauf will ich mich nicht ausruhen. Denn auch bei uns gibt es Möglichkeiten, die Gewaltenteilung zu stärken.
Beispielhaft will ich hier die Judikative anführen. Als Grundvoraussetzung einer unabhängigen Justiz erachte ich deren ausreichende Ausstattung – sowohl personell als auch sachlich. Denn ausreichend Personal verhindert, dass sich Verfahren, wie beispielsweise in Brandenburg am Sozialgericht, über Jahre hinziehen. Eine ausreichende sachliche Ausstattung der Justiz kann dazu dienen, den Zugang zu Recht und Justiz für alle zu verbessern – unabhängig von ihrer eigenen finanziellen Ausstattung. Auch das stärkt die Judikative – ebenso wie bspw. transparente Stellenausschreibungen und -besetzungen.
Bei der Stärkung von Exekutive und Legislative sehe ich die Verantwortung zum einen bei den Bürgerinnen und Bürgern. Das können sie dadurch tun, indem sie ihr Wahlrecht wahrnehmen und damit sowohl die legislative als auch die exekutive Gewalt in ihrer Legitimation stärken. Denn ein demokratisches System mit starker Gewaltenteilung wird auch durch demokratische Beteiligung gestärkt. In diesem Sinne rufen wir als Bündnis 90/Die Grünen auch dazu auf, sich zu beteiligen, sich einzubringen und zur Wahl zu gehen. Zum anderen sind natürlich auch wir als Abgeordnete gefragt, uns kritisch damit auseinander zu setzen, dass beispielsweise die Wahlbeteiligung nicht die beste ist. Offensichtlich müssen hier neue Formate des Bürgerdialogs gefunden werden.
Zudem zeigt insbesondere die Situation der öffentlichen Verwaltung in Berlin, dass ein Kaputtsparen der öffentlichen Verwaltung auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat massiv schädigt.
Zu Ihrem Punkt, Gewissensentscheidungen bei Abstimmungen zu stärken: Hier sehe ich ehrlich gesagt keinen gesetzlichen, sondern eher einen parlamentskulturellen Reformbedarf, denn wir als Abgeordnete sind bei jeder Abstimmung frei in unserer Entscheidung. Gerade in der Grünen Bundestagsfraktion wird das auch sehr hoch gehängt.
Die vier bisherigen Jahre im Bundestag haben mir eher verdeutlicht, dass es ein Problem ist, dass es offensichtlich kulturell im Parlament so gewachsen ist, dass man als Regierung alles aus der Opposition ablehnt. Das kann gerade in Zeiten sehr großer Mehrheiten die Ausschussarbeit etwas zur Farce werden lassen. Andere Parlamente, wie bspw. das Europäische oder das französische Parlament, handhaben das etwas anders. In diesem Sinne könnte aus meiner Sicht die Zusammensetzung der Fachausschüsse überdacht werden. Wenn diese wirklich inhaltliche Stellungnahmen abgeben sollten, wäre es zum Beispiel nachdenkenswert, die Fraktionsgrößen anzugleichen. Oder die regierenden Fraktionen müssten sich selbst stärker dazu verpflichten, das Aufgreifen von Oppositionsanliegen nicht als „Niederlage“, sondern als Bereicherung wahrzunehmen.
Die Abstimmung über die Ehe für alle hat ja beispielsweise gezeigt, wie belebend auch die Debatten werden, wenn nicht nur im homogenen Stil diskutiert wird.
Ihre Anregung zur engeren Bindung an das Grundgesetz und ihrer Präambel kann ich mich nicht anschließen. Denn Abgeordnete sind nun mal keine Staatsdiener, sondern Volksvertreter. Entsprechend kann ich nicht erkennen, warum sie wie Beamtinnen oder Beamte vereidigt werden sollten.
Demo-Kratie statt Lobby-Kratie: Hier sprechen Sie einen sehr wichtigen Punkt an. In der zurückliegenden Legislaturperiode hat die Grüne Bundestagsfraktion mehrfach parlamentarische Initiativen für eine stärkere Regulierung von Lobbyinteressen eingebracht, doch die Große Koalition aus Union und SPD hat jede davon abgelehnt. Doch wir brauchen ganz dringend ein vollständiges Lobbyregister im Deutschen Bundestag. Und zwar aus Gründen der Transparenz. Denn die Organisation von Interessen gehört zur Demokratie: Der Austausch von Meinungen zwischen Interessengruppen und uns Abgeordneten ist Bestandteil unserer politischen und gesetzgeberischen Arbeit. Entsprechend heißen wir ja auch Volksvertreter, die alle Interessen anhören sollten. Um jedoch den Einfluss von Lobbyist*innen und Interessengruppen für alle Bürgerinnen und Bürger offenzulegen, braucht es ein verpflichtendes Lobbyregister. Transparenz ist letztlich die Voraussetzung dafür, Missstände zu kritisieren und zu verändern. Entsprechend habe ich auf meiner persönlichen Website auch all meine Gesprächstermine der Legislatur transparent offen gelegt: http://www.annalena-baerbock.de/gespraeche-lobbyliste/
Zu Ihrem letzten Punkt: Auf unseren Parteitagen mit Listenaufstellung haben auch parteiunabhängige Kandidierende die Möglichkeit, sich aufstellen zu lassen. Wer jedoch auf welchen Platz kommt, darüber entscheiden einzig und allein die Parteitagsdelegierten. Auf unserer Liste zur Europawahl wurde beispielsweise beim vorletzten Mal Sven Giegold als damaliger Attac-Vertreter gewählt. Auf kommunaler Ebene haben wir relativ viele parteilose Kandidat*innen auf unseren Listen. Zugleich wählen die Bürgerinnen und Bürger mit der Zweitstimme ja ganz bewusst eine Partei auf Grundlage von deren Wahlprogramm. Daher halte ich es auch für naheliegend, dass in der Regel die Vertreter*innen auf der Liste sich auch bewusst zu der Partei und ihrem Programm bekennen, was vor allem ja über eine Parteimitgliedschaft passiert. Für die stärkere personenbezogene Wahl sieht unser Wahlrecht ja ganz bewusst die Erststimme vor, wo man als Person und eben nicht als Partei antritt.
Herzliche Grüße
Annalena Baerbock