Frage an Anja Siegesmund von Christoph S. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrte Frau Siegesmund,
bei den Bildungsstudien PISA und IGLU hat Thüringen überdurchschnittlich gut abgeschnitten. Trotzdem wollen die Bündnisgrünen massive Veränderungen im Thüringer Schulsystem durch gemeinsames Lernen bis zur 9. Klasse herbeiführen. Das verstehe ich nicht.
Ich befürchte, dass eine Realisierung Ihres Modells zu einer allgemeinen Qualitätsverschlechterung bei den Leistungen der Thüringer Schüler führen würde, weil eben nicht mehr genug auf die individuellen Bedürfnisse der Mädchen und Jungen eingegangen werden könnte. Leistungsschwache Schüler wären in der Einheitsklasse überfordert, leistungsstarke demgegenüber unterfordert.
Ihre Partei fordert für die Thüringer Schüler Chancengleichheit bzw. Bildungsgerechtigkeit. Die Idee klingt gut, für realistisch halte ich sie trotzdem nicht. Menschen sind nun einmal verschieden. Und das gilt auch für ihre intellektuellen Fähigkeiten. Es wird immer Schüler geben, für die Bildung mehr Frust als Lust ist. Denen müssen Sie auch eine Lebensperspektive aufzeigen, ohne erst übermäßig viel Bildung von ihnen einzufordern!
Meine Frage:
Wie wollen Sie in einer Einheitsschule sowohl den Bedürfnissen der leistungsschwachen als auch denen der leistungsstarken Schüler gerecht werden und zugleich die anerkannte Qualität des Thüringer Bildungssystems bewahren?
Danke schon jetzt für Ihre Antwort!
Mit freundlichen Grüßen
Christoph Schmidt
Sehr geehrter Herr Schmidt,
vielen Dank für Ihre Frage. Bildungspolitik ist einer unserer Schwerpunkte auch in diesem Wahlkampf.
Gemeinsames Lernen bis zur 9. Klasse ist uns aus drei Gründen wichtig:
1. Fallen zu viele Schüler nach der 4. Klasse in das Raster "zu-schlecht-fürs-Gymnasium", bei denen einfach der "Knoten später erst platzt", deshalb wollen wir allen Schülern mehr Zeit geben, sich zu orientieren und zu entfalten. Wir wollen mehr Zeit für gemeinsames Lernen. Das Thüringer Schulsystem bietet unter den drei Schulformen kaum Durchlässigkeit, weshalb wir fest davon überzeugt sind, dass das System nicht den SchülerInnen gerecht wird. Nicht für umsonst verlassen jährlich 9 Prozent aller Jugendlichen in Thüringen die Schule ohne Abschluss! Damit muss Schluss ein. Hamburg macht es vor.
2. Muss sich aus unserer Perspektive jede Schule verpflichten, SchülerInnen zum Abschluss zu führen. Deshalb brauchen wir neben der Aufhebung der Gliedrigkeit des Systems auch mehr Qualität der Lehre, also mehr Stunden, die Lehrer auch an der Schule, die wir ja gemeinhin gern als Lern- UND Lebensort bezeichnen, verbringen. So kann auch den Schwächsten geholfen werden, die am Nachmittag noch Fragen haben. Deshalb braucht es echte Ganztagsschulen, die in offener oder gebundener Form Angebote vorhalten. Sie kommen aus Jena und wissen vielleicht, an welchen Schulen in Jena das schon Gang und gebe ist, z.B. an der Jenaplan-Schule.
3. Es geht uns nicht um eine Revolution, sondern um ein schrittweise reformieren des Bildungssystems, damit Kinder bedürfnisgerecht und individuell gefördert werden können, so wie bspw. in Finnland. Immer noch hängt der Schulerfolg bzw. der Bildungsweg von Kindern zu sehr von der sozialen Herkunft der Eltern ab. Wir wollen auch den Schwächsten helfen, das geht gemeinsam am besten.
Ich hoffe ich konnte ihre Frage zufriedenstellend beantworten.