Frage an Anja Hajduk von Heike M. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Hajduk,
wie genau soll Inklusion von schwerstbehinderten Kinder aussehen?
ein autistisches Kind z. B. ,ist in einer großen Klasse völlig überfordert, zu vielen Reizen ausgesetzt und kann dem Unterricht nicht folgen. Individuelle Förderung kann von den Lehrkräften nicht geleistet werden weil sie "zufällig" noch andere Kinder ( z. T. verhaltensauffällig) zu unterrichten haben. Wird hier nicht auf Kosten von Schülerinnen und Schülern eine finanzielle Sanierung des Bildungsressorts vorgenommen? Sofern es sich um körperliche Behinderungen handelt ist eine Inklusion ja vielleicht in vielen Fällen möglich , sofern eine Pausenbegleitung für Toilettengang und Medikamentengabe gewährleistet werden kann. Wenn aber ein Kind den ganzen Unterricht mit unkontrollierten Lebensäusserungen "stört" ist das konzentrierte Lernen für die Klassenkameraden erheblich erschwert. Da immer mehr Kinder mit Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwierigkeiten zu kämpfen haben kann ich mir eine wirkliche Inklusion von behinderten Kindern für keine der drei beteiligten Seiten ( behinderte Schüler, "gesunde" Schüler und Lehrer) segensreich vorstellen.
Bitte erklären Sie mir wieso Sie und Ihre Partei die Inklusion dennoch befürworten.
Mit freundlichen Grüßen
Heike Müller
Sehr geehrte Frau Müller,
vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema Inklusion.
Wir befürworten die Inklusion, weil sie die Form des Zusammenlebens ist, die niemanden ausschließt. Das ist selbstverständlich keine einfache Aufgabe. Aber wir wollen, dass Menschen mit Behinderungen voll und gleichberechtigt in allen Lebensbereichen an einer inklusiven und barrierefreien Gesellschaft teilhaben können. Das ist unser Ziel. Und es ist in den Menschenrechtskonventionen, die auch von Deutschland unterschrieben wurden, auch als gesamtgesellschaftliches Ziel festgeschrieben worden.
Die Umsetzung in den Schulen fällt natürlich nicht immer leicht. Wir wissen um die Herausforderungen, die die Inklusion dort mit sich bringt. Aber betrachten wir den jetzigen Zustand: 75 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die eine Förderschule besuchen, verlassen diese ohne Schulabschluss. Die anderen Schüler erreichen meist nur den Hauptschulabschluss, nur sehr wenige erlangen an Förderschulen mittlere Abschlüsse oder die Hochschulreife. Dafür gibt es verschiedenste Gründe. Schulen, deren Förderschwerpunkte sich nicht auf kognitive Beeinträchtigungen beziehen, sehen zum Beispiel in der Regel keinen höheren Abschluss als den Hauptschulabschluss vor. Deshalb führt der Weg für viele junge Menschen mit Behinderungen immer noch häufig direkt von der Förderschule in die Werkstatt. Nur ein Prozent schafft später den Sprung in den ersten Arbeitsmarkt.
Ich nehme die von Ihnen genannten Bedenken sehr ernst. Autistische Kinder aber haben beispielsweise schon vor der Einführung der Inklusion Gymnasien und allgemeine Schulen besucht. Voraussetzung dafür ist selbstverständlich eine entsprechende Unterrichtsgestaltung – gewiss eine Herausforderung für die Lehrkräfte, wenn auch eine machbare. Für Kinder mit körperlichen Behinderungen ist die so genannte Barrierefreiheit von großer Bedeutung. Deshalb werden Schulen nach und nach so gebaut, dass den Kindern der Zugang zu allen Räumen möglich ist. Eine Begleitung während der Schulzeit ist häufig ebenfalls nötig und vorhanden. Dies bezieht sich auch auf Schülerinnen und Schüler, die erst im Laufe ihres Lebens einen Unfall erleiden und schließlich auf den Rollstuhl angewiesen sind.
Dass Schülerinnen oder Schüler das konzentrierte Lernen innerhalb der Klasse stören können, muss selbstverständlich von den Lehrkräften und Pädagogen aufgefangen werden. Allerdings betrifft das nicht nur Schülerinnen oder Schüler mit Behinderungen. Hierzu bedarf es der angemessenen und ausreichenden Ausstattung mit Personal. Dies ist in Hamburg bislang leider vernachlässigt worden. Inklusion findet hier ausschließlich an Grund- und Stadtteilschulen statt. Gymnasien beteiligen sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht daran. Dazu kommt, dass es an Stadtteilschulen häufig an ausgebildeten Lehrkräften und Sonderpädagogen mangelt. Wir benötigen also mehr Weiter- und Fortbildungsangebote. Und mehr Ressourcen. Dann kann Inklusion gelingen – zur Zufriedenheit aller.
Mit freundlichen Grüßen
Anja Hajduk