Frage an Anette Hübinger von Christina R.
Sind Sie, als meine gewählte Vertreterin, über den Stand der geheimen Verhandlungen zu TTIP im Detail informiert? Können Sie meine Interessen überhaupt vertreten?
Wie stellen Sie sicher, dass die deutschen Steuerzahler_Innen nicht durch außergerichtliche Einigungen zum Investorenschutz (z.B. Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln, zukünftige Umweltstandards) belastet werden?
Warum sollte der demokratisch legitimierte Handlungsspielraum des Gesetzgebers, also des Staates, mit Blick auf transnationale Unternehmen geschmälert werden?
Ich würde mich freuen, wenn Ihre Antwort über Sprachhülsen z.B. über den „garantierten Schutz der Konsumentenrechte“ hinaus gehen würde.
Mit freundlichen Grüßen
C. Rühmland
Sehr geehrte Frau Rühmland,
vielen Dank für Ihre Mail zur geplanten Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP).
Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass die TTIP-Verhandlungen, anders als bisherige Freihandelsabkommen, transparent geführt werden. Positionen aus der Zivilgesellschaft sowie aus den Verbänden können sowohl über die EU-Kommission, das Europäische Parlament sowie die EU-Mitgliedstaaten und nationalen Parlamente aufgegriffen werden und fließen zum Teil bereits in die Verhandlungsposition der EU ein. Das Verhandlungsmandat für TTIP liegt bei der EU-Kommission. Dieses Mandat wurde ihr durch die Mitgliedstaaten erteilt. Die Kommission informiert die Mitgliedstaaten und die nationalen Parlamente regelmäßig über den Stand der Verhandlungen, bindet diese in die Findung der Verhandlungsposition ein und veröffentlicht diese zum Teil vorab. In Deutschland hat die Bundesregierung durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie auf breiter Basis eine Beteiligung sowohl der Wirtschaftsverbände als auch von Akteuren der Zivilgesellschaft durchgeführt, um alle relevanten Aspekte einzubeziehen. Die Bundesregierung informiert den Bundestag und die Bundesländer, Vertreter der Zivilgesellschaft und von Wirtschaftsverbänden über den Verhandlungsverlauf. Damit ist sichergestellt, dass alle demokratisch legitimierten Akteure Zugang zu den relevanten Informationen haben.
Man sollte sich zunächst vergegenwärtigen, worum es eigentlich im Zuge der bisherigen Verhandlungsrunden seit Herbst 2013 geht. Das zentrale Anliegen besteht darin, Zölle zwischen den USA und Europa umfassend abzubauen. So sollen u.a. die Zölle für Industrie- und Agrargüter substanziell gesenkt werden. Trotz des geringen Durchschnittszolls hätte ein umfassender Zollabbau aufgrund des hohen Handelsvolumens hohe Kosteneinsparungen zur Folge. Zum Beispiel belaufen sich allein in der Automobilindustrie die Zölle auf 1 Mrd. US-Dollar pro Jahr. Ein wichtiger Bereich ist die öffentliche Beschaffung. Der ungehinderte Zugang zu den öffentlichen Beschaffungsmärkten auch in den US-Bundesstaaten könnte erhebliche Chancen für europäische Unternehmen eröffnen. Insbesondere durch die geltenden „Buy American“-Beschränkungen werden nicht-amerikanische Unternehmen bei öffentlichen Ausschreibungen in den USA diskriminiert.
Über den Abbau von Zöllen hinaus streben die Verhandlungspartner einen möglichst weitreichenden Abbau sogenannter nicht-tarifärer Handelshemmnisse an. Es geht um eine bessere Vereinbarkeit der jeweiligen regulativen Vorschriften in den USA und der EU. Zudem soll beim Erlass neuer Regelungen mehr Transparenz geschaffen werden sowie grundsätzlich die Zusammenarbeit der Regulierungsbehörden auf beiden Seiten des Atlantiks verbessert werden. Besonders kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sind von unterschiedlichen Regelsetzungen negativ betroffen. Dies hat ganz praktische Folgen im Alltag. Einem mittelständischen Maschinenbauer aus Deutschland entstehen jährlich hunderttausende Euro Zusatzkosten allein durch zusätzliche Bürokratie- und Zertifizierungserfordernisse beim Export in die USA, obwohl das Niveau der Sicherheitsanforderungen dasselbe ist. Andere Beispiele kommen aus der Automobilindustrie. Während in den USA der hintere Blinker rot sein darf, muss er in der EU gelb sein. In Europa darf das Abblendlicht nur den rechten Fahrbahnrand ausleuchten, nicht die Mitte der Fahrbahn, damit niemand geblendet wird. Dafür ist ein Blendkeil nötig. US-Fahrzeuge haben diese Abblendkeile nicht. Laut einer Studie des niederländischen Instituts Ecorys würde der Abbau nicht-tarifärer Hemmnisse in der Automobilindustrie zu jährlichen Einsparungen in Höhe von 11,5 Mrd. Euro führen. Auch in der chemischen Industrie, der Pharmabranche und anderen Bereichen gibt es zahlreiche solcher Beispiele.
Nach meiner Überzeugung bietet TTIP für Europa und insbesondere für die Exportnation Deutschland eine große Chance. Durch TTIP würde der weltweit größte Binnenmarkt mit 800 Mio. Menschen entstehen. Gemeinsam erwirtschaften die USA und die EU fast 50 Prozent des weltweiten BIP und generieren ein Drittel des weltweiten Handels. Die USA sind der wichtigste Handelspartner Deutschlands außerhalb der EU. Schätzungen gehen von einem jährlichen Wachstumsimpuls von 119 Milliarden Euro auf europäischer und 95 Milliarden Euro auf amerikanischer Seite aus. Allein in Europa könnten bis zu 400.000 neue Arbeitsplätze entstehen.
Darüber hinaus können wir aus meiner Sicht auch entscheidende strategische Weichen für das 21. Jahrhundert stellen, etwa mit Blick auf globale Abkommen im Handels- oder Klimaschutzbereich, indem wir gemeinsam mit den USA möglichst hohe globale Standards für das 21. Jahrhundert setzen. So bietet TTIP die Chance, unseren hohen westlichen Standards (z.B. in den Bereichen Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitnehmerschutz) weltweit Geltung zu verschaffen. Damit kann TTIP Vorbildcharakter für andere internationale Abkommen entwickeln. Angesichts des Aufstiegs anderer Gestaltungsmächte wie China und Russland, entscheidet sich am Erfolg oder Scheitern von TTIP nicht zuletzt die Frage, ob die westlichen Demokratien im 21. Jahrhundert in der Lage sein werden, ihre Standards auch global durchzusetzen oder ob sie in Zukunft die Standards anderer übernehmen müssen. Zudem ist eine enge transatlantische Partnerschaft nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch unter sicherheitspolitischen Aspekten enorm wichtig. Gerade die derzeitige Russland-Ukraine-Krise macht erneut deutlich, welch hohen Stellenwert dieses Bündnis auch in Zukunft haben wird.
Es geht also gerade nicht darum, die hohen europäischen Schutzstandards abzusenken. Das Gegenteil ist der Fall! Die USA verhandeln parallel auch mit den asiatischen Staaten ein Freihandelsabkommen. Sollte TTIP scheitern, dann werden sich eben die anderen Standards auf dem Weltmarkt durchsetzen. Das kann doch keinesfalls in unserem Interesse sein.
Auch die von Ihnen beschriebene Einschränkung demokratischer Rechte sehe ich nicht. Die nationalen Parlamente werden, wie oben dargestellt, in die Verhandlungen eng mit eingebunden. Darüber hinaus handelt es sich bei TTIP um ein sogenanntes Gemischtes Abkommen, d.h. die Inhalte des Abkommens betreffen auch Zuständigkeiten der Mitgliedsstaaten. Daher bedarf es neben der Zustimmung des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rats auch einer Ratifizierung durch die 28 EU-Mitgliedstaaten. Die Ratifizierung erfolgt in Deutschland durch den Deutschen Bundestag und den Bundesrat.
Ihrer Argumentation folgend wäre ja die Europäische Integration als gemeinsamer Binnenmarkt ebenso eine Einschränkung demokratischer Rechte. Natürlich gibt es sämtliche Vorteile sowohl der EU als auch von TTIP nicht ohne Gegenleistung. Natürlich werden auch Zuständigkeiten von nationalen Parlamenten verlagert. Aber man muss doch immer das Gesamtergebnis beurteilen. Und im Zuge einer solchen Abwägung sämtlicher Chancen und Risiken überwiegen aus meiner Sicht gerade für uns Deutsche die Vorteile in erheblichem Maße.
Daher muss ich im Ergebnis festhalten, dass die Verhandlungen transparent und nachvollziehbar sind und die Vorteile des Abkommens, die Hoffnungen und Erwartungen, die Bedenken aus meiner Sicht eindeutig überwiegen. Wir begleiten die Verhandlungen kritisch, aber konstruktiv und achten bei jedem einzelnen Punkt sehr genau auf die Interessen der Menschen in unserem Land. Schließlich soll das Abkommen zu unserem Wohle sein und nicht zum Nachteil gereichen.
Ich hoffe, dass ich Ihre Anfrage damit beantwortet und Ihnen meine Sichtweise nachvollziehbar erläutert habe und einige Ihrer Bedenken und Vorbehalte vielleicht sogar abbauen konnte.
Anette Hübinger MdB