Frage an Andreas Schwab von Martina H. bezüglich Recht
TIPP. In welcher Form wurden Sie darüber informiert?
Haben Sie sich die Mühe gemacht, mehr als ca 50 der Tausenden von Seiten wenigstens ansehen zu wollen? Kennen Sie jemanden, der dies GEHEIMdokument gesehen hat und sich ohne Schreibstift mehr als eine halbe Seite auswendig ins Gedächtnis packen konnte?
MFG
Dr. M. Homma
Sehr geehrte Frau Dr. Homma,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage.
Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass der erfolgreiche Abschluss dieses Abkommens für die EU und die USA eine große Chance darstellen kann. Ein solches Abkommen würde unsere beiden Wirtschaftsräume enger vernetzen und somit mehr Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze schaffen. Allein um 2.2 Milliarden Euro an Zöllen in der EU könnten jährlich wegfallen, bei den USA um 3 Milliarden Euro. Die Volkswirtschaft der EU könnte hierdurch pro Jahr um 119 Milliarden Euro stärker wachsen als bisher. 80 % dieser potentiellen Gewinne würden sich allein aus der Senkung der durch bürokratische Doppelregelungen verursachten Kosten ergeben. Insbesondere vor dem Hintergrund der derzeitigen politischen Lage vor unserer Haustür, im Mittleren Osten sowie der wachsenden Wirtschaftskraft Chinas, ist eine engere Zusammenarbeit mit unserem Handelspartner und Freund USA auch eine wichtige strategische Entscheidung.
Bei allen wirtschaftlichen Vorteilen ist jedoch eins für mich klar: Unsere hohen Standards dürfen weder durch die „Hintertür“ umgangen, noch in irgendeiner Form gelockert oder verwässert werden. Dies gilt sowohl für die Bereiche Umwelt, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit als auch für unseren Datenschutz und unsere Arbeitnehmer- und Verbraucherrechte. Der US-amerikanische Präsident Barack Obama hat selbst bei seinem Besuch in Brüssel am 26. März 2014 betont, dass er sich seine gesamte politische Karriere lang für den Schutz von Verbrauchern und Umwelt eingesetzt und deshalb kein Interesse daran habe, mit einem Handelsabkommen diese Standards aufzuweichen. Ich hoffe, dass dies bei den Verhandlungen, die die EU-Kommission im Namen der Mitgliedstaaten führt und die ich intensiv verfolge, auch berücksichtigt wird. Da die Systeme auf beiden Seiten des Atlantiks sehr unterschiedlich sind, bin ich der Meinung, dass in gewissen Bereichen keine Liberalisierung unserer Märkte möglich sein wird. Nichtsdestotrotz gibt es beim bestehenden System Verbesserungspotential, das genutzt werden kann, um unsere globalen Märkte besser zu vernetzen.
Grundsätzlich gilt, dass die Mitgliedsstaaten, also auch Deutschland, der EU das Mandat übertragen haben, in internationalen Handelsfragen für die Mitgliedsstaaten aktiv zu werden. Die EU hat dadurch die Kompetenz, Freihandelsabkommen mit Drittstaaten – auch das Transatlantische Freihandelsabkommen – abzuschließen. Diese Abkommen werden von der Kommission für die EU im Rahmen eines konkreten Verhandlungsmandates verhandelt, welches durch den Ministerrat – die Mitgliedsstaaten – und nicht durch das Europäische Parlament vorher erteilt wird. Die Kommission, die derzeit die Verhandlungen führt, ist verpflichtet, das Parlament in allen Verhandlungsphasen (vor und nach den Verhandlungsrunden, so nun auch nach der sechsten Verhandlungsrunde Mitte Juli 2014) unverzüglich und umfassend zu unterrichten. Und nur wir, also das Parlament, können am Ende das TTIP-Abkommen in Kraft setzen, was jedoch nicht vor 2016 zu erwarten ist.
Die Kommission informiert seit Beginn der Verhandlungen umfassend. Die genauen Verhandlungspositionen der EU sowie die Ergebnisse der jeweiligen Verhandlungsrunden – die nächste Verhandlungsrunde findet am 29. September 2014 in Washington D.C. statt – sind auf der Internetseite der Generaldirektion Handel einzusehen und werden ständig aktualisiert ( http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/ttip/index_de.htm ).
Daneben veröffentlicht die Kommission fortlaufend Papiere zu den wichtigsten Verhandlungsthemen, hat einen Fragen-/Antwortenkatalog online gestellt und beantwortet weiterhin jede Frage, die an sie gerichtet wird. Außerdem bietet die Kommission gezielte Informationsveranstaltungen für Vertreter aller Interessengruppen an. Auch wurde ein neues Beratungsgremium geschaffen, welches sich paritätisch aus Vertretern aller Interessengruppen zusammensetzt (Gewerkschaften, Industrie, Verbraucherschutz, etc.) und regelmäßig informiert und konsultiert wird.
Die zwischen Kommission und Mitgliedstaaten beratenen Angebote der EU zu Marktzugang und Zollfragen unterliegen keinen Beschränkungen in einem Leseraum, sondern der Kontrolle der Mitgliedstaaten selbst. Diese entscheiden somit über die Vervielfältigung ihrer eigenen Angebote.
Lediglich die US-Papiere und konsolidierten Verhandlungstexte, die die Vorschläge von EU- und US-Seite kombinieren, werden aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht in der Öffentlichkeit verbreitet. Jedoch werden diese Abgeordneten des Europäischen Parlaments und Vertretern der Mitgliedstaaten im Leseraum zur Verfügung gestellt. Die EU-Kommission hat darüber hinaus die US-Regierung wiederholt gebeten, die Einsichtsmöglichkeiten zu verbessern.
Die häufig vertretene Ansicht, die Verhandlungen seien deshalb nicht transparent genug, teile ich aus diesem Grunde nicht: Denn bislang gibt es noch überhaupt keinen Text, vielmehr reden beide Seiten noch miteinander, um zu mehr Verständnis der gegenseitigen Systeme zu gelangen. Hierin sehe ich nichts Verwerfliches, denn ein solcher Austausch zählt meines Erachtens zu den Grundpfeilern der Demokratie.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Andreas Schwab