Frage an Andreas Schwab von Benedikt M. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Dr. Schwab,
ich würde gerne Ihren Standpunkt sowie Ihr Abstimmungsverhalten zum ESM-Vertrag kennen lernen.
Insbesondere die Erläuterung Ihres Standpunktes zu sowie eine kritische Diskussion der nachfolgenden ESM-Artikel im Zusammenhang mit dem essentiellen Budgetrecht des Bundestages wünsche ich mir:
Artikel 8: ... 700 Miliarden Euro ... die Brandmauer reicht nicht aus für alle Staaten und noch mehr Geld löst das Problem nicht, sondern schafft mehr Risiken. Eine Fiskalunion ist vertraglich ausgeschlossen.
Artikel 9: ... unwiderruflicher Kapitalabruf binnen 7 Tagen ...kein Einspruch seitens des Parlaments möglich ... sofort haushaltswirksam ... setzt europaweit die Abwärtsspirale in Gang
Artikel 10: ... Änderung des Grundkapitals ... jederzeit kann eine beliebige Erhöhung stattfinden, ohne Widerspruchsrecht ... keine Revidierung der Entscheidung möglich, auch nicht durch neu gewählte Volksvertreter
Artikel 27: ... volle Rechts- und Geschäftsfähigkeit des ESM und umfassende gerichtliche Immunität ... d.h. ESM kann klagen, aber nicht verklagt werden und dies auch nicht von den gewählten Parlamenten
Artikel 30: ... Immunität von Personen ... keinerlei Rechenschaftspflicht, noch nicht einmal Offenlegungspflicht
Es ist kaum vorstellbar, dass Sie als Privatperson einen Vertrag unterzeichnen würden, der Ihnen wie oben ausgeführt unwiderruflich jegliches Recht aus der Hand nimmt und über Ihr Leben sowie das Ihrer Nachfahren so tiefgreifend bestimmen kann.
Sie sind als Abgeordneter in erster Linie Ihrem Gewissen verpflichtet. Würden Sie diesen ESM-Vertrag stellvertretend für die Bundesbürger ihres Wahlkreises unterzeichnen?
Bitte nehmen Sie öffentlich dazu Stellung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Benedikt Mandel
Sehr geehrter Herr Dr. Mandel,
haben Sie zunächst vielen Dank für Ihre Frage.
Das Bundesverfassungsgericht hat am 12.09.2012 im Verfahren der einstweiligen Anordnung zunächst grünes Licht für den Euro-Rettungsschirm ESM erteilt. Es hat die gegen den ESM-Vertrag und den Fiskalpakt gerichteten Eilanträge überwiegend abgelehnt. Bei der Ratifizierung der Verträge müsse allerdings völkerrechtlich sichergestellt werden, dass die Haftung der Bundesrepublik auf den genehmigten Anteil am ESM in Höhe von rund 190 Milliarden Euro beschränkt bleibe.
Der Bundestag müsse dabei weiterhin die Kontrolle über fundamentale haushaltspolitische Entscheidungen behalten. Die Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand müsse mithin als grundlegender Teil der demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit in der Hand des Deutschen Bundestages verbleiben. Insofern sei es dem Deutschen Bundestag untersagt, Mechanismen zu begründen, die zu nicht kalkulierbaren haushaltsrelevanten Belastungen ohne erneute konstitutive Zustimmung des Bundestages führen können.
Nach Auffassung des BVerfG beeinträchtigt das Zustimmungsgesetz zur Einführung von Art. 136 Abs. 3 AEUV das Demokratiegebot jedoch nicht. Die vorgesehene Norm ermächtige zur Schaffung eines dauerhaften Mechanismus zur gegenseitigen Hilfeleistung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets. Damit werde die bisherige Wirtschafts- und Währungsunion zwar insofern umgestaltet, als sie sich von dem die Währungsunion bislang prägenden Prinzip der Eigenständigkeit der nationalen Haushalte löse. Die stabilitätsgerichtete Ausrichtung der Währungsunion werde dadurch jedoch nicht infragegestellt, weil insbesondere die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Haushaltsdisziplin und die Eigenverantwortlichkeit der nationalen Haushalte unangetastet blieben.
Überdies setze Art. 136 Abs. 3 AEUV selbst keinen Stabilisierungsmechanismus ins Werk, sondern eröffne den Mitgliedstaaten nur die Möglichkeit, einen entsprechenden Mechanismus auf völkervertraglicher Grundlage aufzubauen. Das Ratifikationserfordernis für die Einrichtung des Stabilitätsmechanismus setze sodann eine Mitwirkung der Gesetzgebungsorgane vor dessen Inkrafttreten voraus. Art. 136 Abs. 3 AEUV lege weiter im Falle von Hilfszahlungen über den ESM sowohl den Regelungszweck als auch den Charakter als Ausnahmevorschrift fest, indem die Finanzhilfen der Währungsstabilität dienen müssen und überdies nur aktiviert werden dürfen, wenn dies zur Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes insgesamt unabdingbar ist. Es bedürfe jedoch im Rahmen des völkerrechtlichen Ratifikationsverfahrens der Klarstellung, dass die Regelungen des ESM-Vertrages nur so ausgelegt werden, dass die Haftung der Bundesrepublik Deutschland nicht ohne Zustimmung des Bundestages über ihren Anteil am genehmigten Stammkapital des ESM in Höhe von 190.024.800.000 Euro hinaus erhöht werden kann und dabei die Unterrichtung von Bundestag und Bundesrat nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben sichergestellt bleibt.
Auch die sich aus dem Zustimmungsgesetz zum ESM-Vertrag und dem ESM-Finanzierungsgesetz (ESMFinG) ergebenden Vorschriften über die Einbindung des Deutschen Bundestages in die Entscheidungsprozesse des ESM entsprächen im Wesentlichen den Anforderungen des innerstaatlichen des Demokratieprinzips. Dies gelte sowohl für die Ausgestaltung der Mitwirkungsrechte als auch hinsichtlich der Informationsrechte und der personellen Legitimation der deutschen Vertreter in den Organen des ESM. Diese hätten an den Sitzungen der Organe des ESM teilzunehmen und die Beschlüsse des Deutschen Bundestages umzusetzen. Das ESM-Finanzierungsgesetz verlange zudem, dass die deutschen Vertreter an die Beschlüsse des Bundestages gebunden und ihm gegenüber rechenschaftspflichtig seien. Weiterhin dürfen die Regelungen des ESM-Vertrages über die Unverletzlichkeit der Unterlagen des ESM sowie die berufliche Schweigepflicht aller für den ESM tätigen Personen eine umfassenden Unterrichtung des Bundestages und des Bundesrates nicht behindern.
Auf der Grundlage dieses Urteils des Bundesverfassungsgerichts kann der ESM insgesamt einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Staatsschuldenkrise in Europa leisten. Entscheidend ist aber, dass die Hilfen aus dem ESM nur im Falle der Einhaltung strenger Reformzusagen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der hilfsbedürftigen Länder gewährt werden dürfen. Unter den vorgenannten Voraussetzungen kann der ESM maßgeblich dafür sorgen, das Vertrauen der Investoren in den europäischen Wirtschafts- und Währungsraum zurück zu gewinnen. Im Falle des Staatsbankrotts von einem oder mehrerer Mitglieder der Eurozone drohen dagegen massive Wachstumseinbrüche insbesondere auch im Hinblick auf die deutsche Volkswirtschaft sowie gravierende reale Forderungsverluste infolge von Abschreibungen in den öffentlichen Haushalten.
Deshalb bin ich davon überzeugt, dass der ESM im Verbund mit den weiteren Rettungsmaßnahmen in der gegenwärtigen Lage eine gute und tragfähige Antwort auf die Staatsschuldenkrise bietet.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Andreas Schwab