Frage an Andreas Jung von Harald B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Jung,
sicherlich haben auch Sie darüber gelesen, daß das Vertrauen der Wahlbevölkerung zu den heutigen Politikern im Allgemeinen "getrübt" ist.
Würden Sie für sich in Anspruch nehmen, eher den Willen der Wahlbevölkerung zu vertreten oder mehr den Vorgaben Ihres Parteivorstandes?
P.S. Ich nehme Bezug auf Ihr Abstimmungsverhalten zu dem TORNADO-Einsatz in Afghanistan.
Sehr geehrter Herr Buhr,
herzlichen Dank für Ihre Mail vom 11. März 2007.
Sie sprechen mich darin zu meinem Abstimmungsverhalten im Bundestag - konkret bei der Entscheidung über einen Einsatz von RECCE-Tornados zur Verstärkung unseres Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan im Rahmen von ISAF - an.
Lassen Sie mich vorab festhalten: Deutschland ist im Rahmen seines Mandates für den Erfolg der Gesamtmission in Afghanistan mit verantwortlich. Mit den Aufklärungs-Tornados wird es besser als jetzt möglich sein, Gefahren rechtzeitig zu erkennen. Damit wird vor allem der Schutz der afghanischen Bevölkerung, unserer Soldaten und unserer Verbündeten vergrößert. Ebenso dient eine verbesserte Aufklärung auch dem Schutz von zivilen Entwicklungshelfern sowie gefährdeter Wiederaufbauprojekte.
Nach eigenen Angaben haben die Taliban bis zu 10.000 Kämpfer zusammengezogen, um in den kommenden Monaten die Lage in Afghanistan zu destabilisieren, die Autorität der afghanischen Regierung zu unterminieren und erneut ein fundamentalistisches Regime zu errichten.
Gerade aus der deutschen Geschichte heraus ziehe ich unsere Verantwortung, dass es unser Auftrag ist, uns für Frieden und Freiheit in der Welt einzusetzen. In diesem konkreten Fall dafür, dass die Menschen in Afghanistan in Zukunft ohne die Knechtung der Taliban in eben dieser Freiheit leben können. Der Kampf gegen den Terror kommt neben den politischen, diplomatischen und zivilen Maßnahmen derzeit noch nicht ohne eine Begleitung durch militärische Unterstützung aus. Ich bedaure das. Aber aus der Region heraus wird uns übermittelt, dass ein sofortiger Truppenrückzug die ganz konkrete Gefahr mit sich bringen würde, dass das Volk von Afghanistan erneut unter den menschenschinderischen Taliban zu leiden hätte.
Es ist deshalb die Aufgabe der ISAF zu verhindern, dass diese bewaffneten Kräfte wieder die Oberhand gewinnen. Je besser die Aufklärungsfähigkeit von ISAF ist, desto besser, angemessener und verhältnismäßiger kann ISAF reagieren. Somit steht der geplante Einsatz von Tornado-Aufklärungsflugzeugen im Einklang mit der bisher verfolgten ISAF-Strategie in Afghanistan. Besonders im Süden und Osten des Landes sehen sich die Truppen unserer Verbündeten mit zunehmendem Widerstand und Gewalttaten der Taliban konfrontiert. Scheitert aber die Stabilisierung der Lage im Süden, ist auch der Erfolg beim Wiederaufbau im Norden infrage gestellt, wo die Bundeswehr vornehmlich stationiert ist.
Klar ist: Militäreinsätze können ein Terrorregime beenden - Demokratie und Rechtsstaatlichkeit schaffen können sie nicht. In Afghanistan fangen die Herausforderungen und die notwendigen Anstrengungen beim Aufbau einer zivilen Staatsstruktur und der Befriedung der Region deshalb erst an.
Afghanistan muss durch den Ausbau von Infrastrukturmaßnahmen u.a. im Bereich von Gesundheit und Bildung eine echte Chance erhalten, sich von Krieg und Terror zu verabschieden. Zivile Hilfe kann jedoch aufgrund der Sicherheitslage im Land nicht an Stelle der Militärpräsenz treten. Ohne den militärischen Einsatz wäre die mit Mitteln der Entwicklungshilfe geleistete Arbeit beim Aufbau von Schulen, Krankenhäusern und anderen öffentlichen Einrichtungen gefährdet.
Die deutsche Bundesregierung verfolgt daher einen vernetzten, zivilmilitärischen Ansatz und hat bereits eine Diskussion angestoßen, wie die Strategie zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan weiter entwickelt werden sollte. Dabei muss es um einen politischen Gesamtansatz gehen, der den zivilen Wiederaufbau und die zivil-militärische Kooperation nach dem Vorbild der regionalen Wiederaufbauteams (PRTs) im Norden verstärkt. Für diesen Ansatz hat die Bundesregierung viel Zustimmung von unseren Verbündeten erhalten.
Entsprechend ist der ganzheitliche Ansatz der Bundesregierung, der gemäß der internationalen Vereinbarungen zu Afghanistan (Bonner Abkommen, Afghanistan Compact) alle Arten von Unterstützungsleistungen für Afghanistan umfasst, in einem gemeinsam mit allen beteiligten Ressorts vereinbarten politischen Konzept eingebettet, welches im September 2006 angepasst wurde. Weder die Bundesregierung noch die Parlamentarier treffen ihre schwierige Entscheidung unter isoliert militärischer Betrachtung.
Ich kann Ihnen versichern, dass ich mich bei Abstimmungen im Deutschen Bundestag, in denen es um die Entsendung deutscher Soldaten in Krisengebiete geht, nicht leicht tue. Es sind die schwierigsten Entscheidungen, die wir als Abgeordnete zu treffen haben. Ich habe mich dafür entschieden, mit "Ja" zu stimmen, weil ich überzeugt bin, dass wir nicht nur für das verantwortlich sind, was wir tun, sondern auch Verantwortung übernehmen müssen für das, was geschehen würde, wenn wir uns verweigern und die Menschen in Afghanistan in dieser kritischen Phase alleine ließen.
Auch wenn Sie inhaltlich zu einem anderen Ergebnis kommen sollten, bitte ich Sie zu respektieren, dass ich mein Abstimmungsverhalten nicht von den Vorgaben irgendeines "Parteivorstandes", wie Sie schreiben, abhängig mache. Das können Sie im Übrigen unter anderem daran erkennen, dass ich, seit ich dem Deutschen Bundestag angehöre, bereits zweimal - bei den Abstimmungen über das Flugsicherungsgesetz sowie über das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, die so genannte "Gesundheitsreform" - anders als die Mehrheit meiner Fraktion abgestimmt habe, da ich persönlich zu einer anderen Überzeugung gekommen bin.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Jung